Amygdala (Gehirn, Psychologie)

Amygdala (Gehirn, Psychologie)

Hirnforschung

Definition

Die Amygdalae (Singular: Amygdala; auch Corpus amygdaloideum genannt) sind zwei mandelförmige (daher der Name) Gruppen von Kernen, die sich tief und medial in den Temporallappen des Gehirns bei komplexen Wirbeltieren (einschließlich des Menschen) befinden. Sie spielen eine primäre Rolle bei der Verarbeitung von Gedächtnisinhalten, Entscheidungsfindungen und emotionalen Reaktionen (z.B. Angst); sie sind Teil des limbischen Systems.

Funktionen: Hemisphärische Spezialisierungen

Es gibt funktionelle Unterschiede zwischen der rechten und linken Amygdala. So konnten in einer Studie durch elektrische Stimulationen der rechten Amygdala negative Emotionen induziert werden – vor allem Angst und Traurigkeit. Im Gegensatz dazu ist die Stimulation des linken Amygdala entweder mit angenehmen (Freude) oder unangenehmen (Angst, Furcht, Traurigkeit) Emotionen verbunden gewesen. Andere Hinweise zeigen, dass die linke Amygdala eine Rolle im Belohnungssytem des Gehirns spielt.

Jede Seite enthält eine spezifische Funktion, wie wir Emotionen wahrnehmen und verarbeiten. Die rechten und linken Abschnitte der Amygdala verfügen über unabhängige Gedächtnissysteme, aber arbeiten zusammen, wenn es um das Speichern, kodieren und interpretieren von Emotionen geht.

Angstzentrum

Die rechte Hemisphäre ist mit negativen Emotionen verbunden. Sie spielt eine Rolle bei der Expression von Angst und bei der Verarbeitung von Angst-auslösenden Stimuli. Angstkonditionierung tritt innerhalb der rechten Hemisphäre auf.

Wenn einem Individuum ein konditionierter, aversiver Reiz präsentiert wird, wird er in der rechten Amygdala verarbeitet, und erzeugt eine unangenehme oder ängstliche Reaktion. Diese emotionale Reaktion ruft beim Individuum Vermeidungsverhalten bezüglich des auslösenden Reizes aus.

Gedächtnisfunktionen

Die rechte Hemisphäre wird auch mit dem deklarativen Gedächtnis verknüpft, das aus zuvor erlebten Ereignissen von Fakten und Informationen besteht und bewusst abgerufen werden muss. Es spielt auch eine wichtige Rolle beim episodischen Gedächtnis. Das episodische Gedächtnis besteht aus den autobiografischen Aspekten des Gedächtnisses, und erlaubt persönliche emotionale und sensorische Erfahrungen eines Ereignisses zu erinnern. Diese Art von Gedächtnis erfordert kein bewusstes Abrufen. Die rechte Amygdala spielt eine Rolle bei der Verbindung mit Zeit und Orten und deren emotionalen Eigenschaften.

Der erste direkte Beleg für ultraschnelle Reaktionen bei Angst in der menschlichen Amygdala

Warum sich Angst unserer willentlichen Kontrolle entziehen kann

17.06.2016 Ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Universität Complutense Madrid (UCM) und der Universidad Politécnica de Madrid veröffentlichte in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience, dass die Amygdala des menschlichen Gehirns imstande ist, mögliche Bedrohungen in der visuellen Umgebung ultraschnell zu entdecken.

Die Forscher maßen die elektrische Aktivität in der Amygdala bei Patienten durch implantierte Elektroden, um ihre Epilepsie besser diagnostizieren zu können; die Forscher konnten so zeigen, wie Informationen sich zwischen den visuellen und emotionalen Netzen bewegen.

Schlüsselrolle in der emotionalen Verarbeitung

Die Amygdala ist eine Gehirnstruktur, die ein Teil des limbischen Systems ist und eine Schlüsselrolle in der emotionalen Verarbeitung spielt.

Im Vergleich mit dem Neocortex – dem äußeren Teil des Gehirns, der beide Hemisphären bedeckt und auch die meisten höheren kognitiven Funktionen beim Menschen wie visuelle Verarbeitung oder Sprache beherbergt – sitzt die Amygdala im inneren bzw. subkortikalen Teil des Gehirns.

Eine der am besten vernetzten Strukturen

Die Amygdala sitzt an einem privilegierten Punkt im Gehirn; sie ist eine der am besten verbundenen Strukturen. Sie sendet und erhält Projektionen von Gehirnregionen auf unterschiedlichen Niveaus und ist zur gleichen Zeit dazu fähig, indirekt physiologische Veränderungen und autonome Nervensystem-Reaktionen loszuschicken, erklärte Studienautor Constantino Méndez-Bértolo.

Andererseits ist sie durch ihre Position tief innerhalb des Gehirns, schwer mit normalen bildgebenden Verfahren zu untersuchen.

In dieser Studie wurden am Hospital Ruber Internacional (Madrid) 11 Freiwilligen mit Epilepsie Elektroden in diesem Gehirnbereich implantiert.

Ultraschnelle Reaktion auf mögliche Gefahren

Die Analyse der Tätigkeit der Amygdala dieser Patienten erlaubte den Forschern, den ersten unmittelbaren Beleg bei Menschen zu erhalten, dass dieses Gebiet allein imstande ist, Informationen über biologisch relevante Stimuli im visuellen Bereich sehr schnell zu extrahieren, bevor ein genauerer visueller Input vom Neocortex erhalten wird.

Dazu führten die Wissenschaftler zwei Experimente durch. Im ersten sollten die Patienten durch das Drücken eines von zwei Knöpfen anzeigen, ob die Bilder, die sie sahen (Bilder zeigten Gesichter mit ängstlichem, frohem oder neutralem Gesichtsausdruck) einen Mann oder eine Frau darstellten.

Die Versuchsleiter veränderten nicht nur die Emotionen der Gesichter sondern auch die Raumfrequenz der Gesichter. Es wurden normale Fotos (mit allen Frequenzbändern) gemischt mit Bildern von Gesichtern gezeigt, die nur aus entweder niedrigen oder hohen Raumfrequenzbestandteilen zusammengesetzt waren.

Niedrige Frequenzbilder erscheinen wie verschwommene Fotos – man kann unterscheiden, ob die Augen oder der Mund offen oder geschlossen sind, aber Details sind nicht erkennbar – während hohe Frequenzbilder scharfe Ränder haben und Gesichtseigenschaften hervorgehoben erscheinen.

“Low-Road” und “High-Road” Signalwege

Es gibt zwei Signalwege, von denen man annimmt, dass die visuellen Informationen über sie zu den affektiven Nervenschaltungen reisen. Einer führt vom Thalamus direkt zur Amygdala. Dieser “low-road” Signalweg besteht aus Neuronen der magnozellulären Klasse, über den nur niedrige Raumfrequenzbestandteile übersandt werden.

Der andere Signalweg führt vom Thalamus zum occipitalen Cortex, wo normalerweise die Sehverarbeitung beginnt. Dieser “high-road” Signalweg besteht aus magnozellulären sowie parvozellullären Neuronen, über den sowohl hohe als auch niedrige Raumfrequenzen übertragen werden.

Amygdala kann schon mit groben Sehinformationen arbeiten

Die Autoren bemerken, dass die Amygdala schon mit groben Sehinformationen innerhalb eines Bildes arbeiten kann, wenn dieses Bild biologisch relevante Informationen der Bedrohung beinhaltet – in diesem Fall der Ausdruck der Furcht im Gesicht einer anderen Person.

Die Wissenschaftler begannen mit der Hypothese, dass, wenn die Amygdala eine schnelle emotionale Reaktion zeigen würde, diese für die negativen Gefühle größer ausfallen würde, und so lange auftritt, wie es niedrige Raumfrequenzbestandteile im visuellen Input gäbe, da die Information vom pulvinaren Kern des Thalamus zur Amygdala über die magnozellullären Axone ankommen würde, die keine hohen Frequenz-Rauminformationen tragen, sagte Studienautor Constantino Méndez-Bértolo.

Sehr schnelle Reaktion auf grobe Bedrohungsinformationen

Indem sie intrakranial die Amygdala erfassten, waren die Forscher imstande, eine sehr schnelle elektrische Reaktion – weniger als 100 Millisekunden – auf die niedrigen Frequenzbestandteile der ängstlichen Gesichtsstimuli zu entdecken.

Hierauf folgten Reaktionen – beträchtlich später – sowohl in Amygdala als auch im Sehkortex auf die Bilder mit hohen oder niedrigen Raumfrequenzbestandteilen.

Keine schnelle Reaktion auf komplexe Stimuli

In einem zweiten Experiment sahen sich die Patienten neutrale und äußerst unangenehme visuell komplexe Bilder an, und zeigten an, ob das Bild zu einer Innen- oder Außenszene gehörte.

Die Ergebnisse – verglichen mit denen des vorherigen Experiments, wo nur Gesichter gezeigt wurden – weisen darauf hin, dass eine solch schnelle Reaktion nicht bei komplexeren visuellen Reizen vorhanden waren.

Besseres Verständnis für Angst und Angststörungen

Diese neue Einsicht, wie Informationen zwischen dem visuellen System und den emotionalen Netzen reisen, könnte zu einem besseren Verständnis von Pathologien mit starken Angstgefühlen – wie bei Phobien bzw. Angststörungen – führen, von denen man annimmt, dass die Amygdala bei ihnen eine fundamentale Rolle spielt.

“Unsere Arbeit betont die Wichtigkeit ultraschneller Gehirnreaktionen auf visuelle Stimuli, die mit Bedrohungen verbunden sind.” Die Reaktionen in der Amygdala sind so schnell, dass sie einen automatischen oder unbewussten Sehprozess widerspiegeln könnten, der erklären könnte, warum sich Angst manchmal unserer willentlichen Kontrolle entziehen kann, sagte Dr Bryan Strange.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Complutense Madrid, Universidad Politécnica de Madrid; Nature Neuroscience – DOI: 10.1038/nn.4324; Juni 2016

Gesündere Amygdala durch Wohngegend am Wald

04.10.2017 Eine im Fachblatt Scientific Reports veröffentlichte deutsche Hirnstudie konnte eine Verbindung zwischen dem Leben in einer naturnahen Wohngegend und der Gehirngesundheit in Großstädten zeigen.

Frühere Studien mit Landbewohnern zeigten bereits, dass das Leben in einer natürlicheren Umgebung (s.a. Natur und Gehirn) gut für die psychische Gesundheit und das psychologische Wohlbefinden ist.

Die Forscher um die Psychologin Simone Kühn analysierten die Daten von 341 ältere Erwachsene im Alter zwischen 61 und 82 Jahren aus der Berliner Altersstudie II (BASE-II), in der körperliche, psychische und soziale Bedingungen für ein gesundes Älterwerden ausgewertet werden.

Die Teilnehmer nahmen teil an Denk- und Gedächtnisaufgaben. Außerdem wurden ihre Gehirne bzw. die Struktur von stressverarbeitenden Hirnregionen (prägenueller anteriorer cingulärer und dorsolateraler präfrontaler Cortex und die Amygdala, ein Bereich des Gehirns, der bei der Emotions- und Stressverarbeitung involviert ist) gescannt.

Zusätzlich erfassten die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung die Geoinformationen zum Wohnort der Teilnehmer.

Die Forscher fanden dann auch eine Verbindung zwischen Wohnort und Gesundheit des Gehirns:

Nahe am Wald wohnende Teilnehmer wiesen deutlichere Hinweise auf eine “physiologisch gesunde Struktur der Amygdala” auf. Dies legt nahe, dass sie deswegen vermutlich auch besser mit Stress fertigwerden, schreiben die Wissenschaftler. Eine Richtung des Zusammenhangs konnten sie allerdings nicht feststellen.

Die Wirkung blieb auch nach Berücksichtigung möglicher Störfaktoren wie Bildungsabschluss und Einkommenshöhe bestehen. Einen Zusammenhang zwischen städtischen Wasser- oder Grünflächen sowie Brachland und den untersuchten Hirnbereichen konnte nicht beobachtet werden.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Scientific Reports – doi: 10.1038/s41598-017-12046-7; Sept. 2017

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