Autismus: Vermeidung des Augenkontakts

Autismus: Vermeidung des Augen- / Blickkontakts

Warum Menschen mit Autismus den Augenkontakt vermeiden

04.07.2017 Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) haben oft Probleme, anderen in die Augen zu sehen. Dieses Vermeidungsverhalten wird normalerweise als Zeichen sozialer und persönlicher Gleichgültigkeit interpretiert, aber Berichte von Autisten legen etwas anderes nahe.

Stressender Blickkontakt

Viele sagen, dass der Blickkontakt unangenehm oder stressig für sie ist – einige sagen sogar, dass “es brennt” – all dies weist auf eine neurologische Ursache.

Nun hat ein Forscherteam am Massachusetts General Hospital die Hirnmechanismen untersucht, die an diesem Verhalten beteiligt sind.

Kein Desinteresse

Die Ergebnisse zeigen, dass der offensichtliche Mangel an zwischenmenschlichem Interesse bei Menschen mit Autismus nicht an einem Mangel an Interesse zurückzuführen ist – wie viele glauben, sagt Studienautorin Nouchine Hadjikhani. Vielmehr zeigen die Ergebnisse, dass dieses Verhalten ein Weg ist, um eine unangenehme übermäßige Erregung durch die Überaktivierung in einem bestimmten Teil des Gehirns zu verringern.

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Bild: Tobias Dahlberg (pixabay)

Das subkortikale System des Gehirns, das für die natürliche Ausrichtung bei Neugeborenen gegenüber Gesichtern verantwortlich und später für die Wahrnehmung von Emotionen wichtig ist, kann durch Augenkontakt gezielt aktiviert werden.

Das subkortikale System

Eine vorherige Arbeit von Hadjikhani und Kollegen zeigte, dass das subkortikale System überempfindlich gegenüber Effekten war, die durch direktes Anschauen und emotionale Mimik hervorgerufen wurden.

In der vorliegenden Studie knüpfte sie an diese Beobachtung an und untersuchte, was passiert, wenn Autisten gezwungen sind, in die Augen von Gesichtern mit verschiedenen Emotionen zu blicken.

Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) maßen sie die Unterschiede in der Aktivierung innerhalb der Komponenten der Gesichtsverarbeitung des subkortikalen Systems bei Menschen mit Autismus und bei Kontrollteilnehmern, während diese Gesichter entweder ganz oder nur deren Augenregion betrachteten.

Was im Gehirn passiert

Während die Aktivierung dieser neuronalen Strukturen bei beiden Gruppen beim Betrachten des ganzen Gesichts ähnlich war, wurde eine Überaktivierung bei den Teilnehmern mit Autismus beobachtet, wenn sie sich auf die Augenregion fokussierten.

Dies traf insbesondere bei ängstlichen Gesichtern zu, obwohl bei der Betrachtung von fröhlichen, wütenden und neutralen Gesichtern ähnliche Effekte beobachtet wurden.

Ungleichgewicht zwischen stimulierenden u. hemmenden Netzen

Die Ergebnisse der Studie unterstützen die Hypothese eines Ungleichgewichts zwischen den exzitatorischen (stimulierenden) und inhibitorischen (hemmenden) Signaling-Netzwerken des Gehirns bei Autismus – exzitatorische beziehen sich auf Neurotransmitter, die das Gehirn stimulieren, während inhibitorische auf diejenigen weisen, die es hemmen, beruhigen und ein Equilibrium (Gleichgewicht) bieten.

Ein solches Ungleichgewicht, wahrscheinlich das Ergebnis verschiedener genetischer und umweltbedingter Ursachen, kann die exzitatorische Signalweiterleitung in den subkortikalen Netzwerken verstärken, die an der Gesichtserkennung beteiligt sind. Dies wiederum kann zu einer anormalen Reaktion auf Augenkontakt, eine Abneigung gegen den direkten Blick und damit eine abnormale Entwicklung des sozialen Gehirns führen.

Erzwingen des Blickkontakts

Bei der Klärung der zugrundeliegenden Ursachen für die Vermeidung des Augenkontakts, schlägt die Studie auch effektivere Möglichkeiten zur Lösung dieser Schwierigkeiten vor.

Die Befunde legen nahe, dass das Erzwingen des Blickkontakts bei Kindern mit Autismus in der Verhaltenstherapie große Angst auslösen kann, sagt Hadjikhani.

Ein Ansatz, der eine langsame Gewöhnung an den Augenkontakt beinhaltet, kann helfen, diese Überreaktion zu überwinden und sie in die Lage versetzen, den Blickkontakt auf lange Sicht zu bewältigen, wodurch die kaskadierenden Effekte vermieden werden, die diese Blickvermeidung auf die Entwicklung des sozialen Gehirns hat.

Die Forscher planen bereits, die Forschung fortzusetzen. Hadjikhani versucht nun eine Studie auf die Beine zu stellen, in der die Beziehung zwischen dem subkortikalen System und der Augenkontakt-Vermeidung bei Autismus mit Hilfe von Eye-Tracking, Magnetoenzephalographie und Verhaltenstests tiefer untersucht werden kann.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Harvard, Scientific Reports – DOI: 10.1038/s41598-017-03378-5; Juli 2017

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