Sprache und das Gehirn
Sprache wird in Gehirnnetzwerken gelernt, die schon vor dem Menschen da waren
04.02.2018 Es wurde oft behauptet, dass Menschen Sprache in Gehirnnetzwerken lernen, die speziell für diesen Zweck entwickelt wurden. Neue Erkenntnisse legen jedoch nahe, dass Sprache tatsächlich in Gehirnsystemen erlernt wird, die auch für viele andere Zwecke genutzt werden und sogar schon vor der Entstehung von Menschen existierten, schreiben Neurowissenschaftler im Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences.
Evolutionär alte Gehirnnetzwerke
Die Forschung kombiniert Ergebnisse aus mehreren Studien mit insgesamt 665 Teilnehmern. Sie zeigt, dass Kinder ihre Muttersprache und Erwachsene Fremdsprachen in evolutionär alten Gehirnnetzen lernen, die auch für so unterschiedliche Aufgaben wie das Erinnern einer Einkaufsliste und das Erlernen des Fahrens verwendet werden.
Bild: Gerd Altmann
Die Schlussfolgerung, dass Sprache in solchen alten ‘Allzwecksystemen’ gelernt wird, steht im Gegensatz zu der langjährigen Theorie, dass Sprache von angeborenen Sprachmodulen abhängt, die nur beim Menschen vorkommen, sagt der leitende Forscher der Studie Dr. Michael T. Ullman, Professor für Neurowissenschaften an der Georgetown Universität.
Deklaratives und prozedurales Gedächtnis
Diese Gehirnsysteme findet man auch bei Tieren – zum Beispiel benutzen Ratten sie, wenn sie lernen, durch ein Labyrinth zu navigieren, sagt Co-Autor Dr. Phillip Hamrick von der Kent State Universität. Was auch immer diese Systeme zur Unterstützung der Erlernung von Sprache verändert haben mag, die Tatsache, dass sie eine wichtige Rolle bei dieser überaus wichtigen menschlichen Fähigkeit spielen, ist bemerkenswert.
Die Studie hat wichtige Implikationen nicht nur für das Verständnis der Biologie und die Evolution der Sprache und wie sie gelernt wird, sondern auch für die Verbesserung des Sprachenlernens, sowie für Menschen, die eine Fremdsprache lernen, als auch für Menschen mit Sprachstörungen wie Autismus, Legasthenie oder Aphasie (Sprachprobleme, die durch Hirnschäden wie Schlaganfall verursacht werden).
Wortschatz
Die Forschung hat statistisch die Ergebnisse von 16 Studien zusammengetragen, die das Sprachenlernen in zwei gut untersuchten Gehirnsystemen untersuchten: dem deklarativen und dem prozeduralen Gedächtnis.
Die Ergebnisse zeigen: Wie gut wir uns an die Worte einer Sprache erinnern können, hängt damit zusammen, wie gut wir im deklarativen Gedächtnis lernen – mit dem wir uns Einkaufslisten merken oder uns an das Gesicht des Busfahrers erinnern oder an das, was wir gestern Abend zum Abendessen gegessen haben.
Grammatikfähigkeiten
Die Grammatikfähigkeiten, die es uns erlauben, Wörter nach den Regeln einer Sprache zu Sätzen zusammenzufassen, zeigten ein anderes Muster.
Die grammatikalischen Fähigkeiten der Kinder, die ihre Muttersprache erlernen, korrelierten am stärksten mit dem Lernen im prozeduralen Gedächtnis – mit dem wir Aufgaben wie Autofahren, Fahrradfahren oder Musikinstrumente spielen lernen.
Fremdsprachen
Bei Erwachsenen, die eine Fremdsprache erlernen, hing die Grammatik mit dem deklarativen Gedächtnis in früheren Phasen des Sprachenlernens zusammen, jedoch mit dem prozeduralen Gedächtnis in späteren Phasen.
Die Zusammenhänge waren sehr deutlich und konnten auch über verschiedene Sprachen (z.B. Englisch, Französisch, Finnisch und Japanisch) und Aufgaben (z.B. Lese-, Hör- und Sprechaufgaben) beobachtet werden, was darauf hindeutet, dass die Verbindungen zwischen Sprache und den Gehirnsystemen robust und zuverlässig sind, schreiben die Neurowissenschaftler.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Georgetown Universität; PNAS – www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1713975115; Feb. 2018
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