Denken über das Denken: Die Menschen unterschätzen, wie unterhaltsam und anregend Warten und Nachdenken sein kann
28.07.2022 Laut einer von der American Psychological Association veröffentlichten Studie unterschätzen Menschen immer wieder, wie sehr sie es genießen würden, Zeit allein mit ihren Gedanken zu verbringen, ohne dass irgendetwas sie ablenkt.
„Menschen haben eine erstaunliche Fähigkeit, sich in ihre eigenen Gedanken zu vertiefen“, sagte die Hauptautorin der Studie, Dr. Aya Hatano von der Universität Kyoto in Japan.
„Unsere Forschung deutet darauf hin, dass Menschen Probleme haben zu erkennen, wie fesselnd das Denken sein kann. Das könnte erklären, warum Menschen es vorziehen, sich mit Smartphones und anderen Ablenkungen zu beschäftigen, anstatt sich im Alltag einen Moment Zeit zum Nachdenken und für die Fantasie zu nehmen“.
Die Studie wurde im Fachblatt Journal of Experimental Psychology: General veröffentlicht.
Die Experimente
In einer Reihe von sechs Experimenten mit insgesamt 259 Teilnehmern verglichen die Forscher die Vorhersagen der Menschen darüber, wie sehr sie es genießen würden, einfach nur dazusitzen und nachzudenken, mit ihrer tatsächlichen Erfahrung, dies zu tun.
Im ersten Experiment sollten die Probanden vorhersagen, wie sehr sie es genießen würden, 20 Minuten lang allein mit ihren Gedanken zu sitzen, ohne etwas anderes Ablenkendes tun zu dürfen, wie z. B. lesen, spazieren gehen oder auf ein Smartphone schauen. Anschließend berichteten die Teilnehmer, wie sehr sie es genossen hatten.
Zeit mit Nachdenken verbringen kann Spaß machen
Tatsächlich genossen die Teilnehmer die Zeit, die sie mit ihren Gedanken verbrachten, deutlich mehr als sie erwartet hatten. Dies galt für alle Varianten des Experiments, bei denen die Teilnehmer in einem kahlen Konferenzraum oder in einem kleinen, dunklen zeltartigen Bereich ohne visuelle Reize saßen; für Varianten, bei denen die Denkzeit drei Minuten oder 20 Minuten dauerte; und für eine Variante, bei der die Forscher die Teilnehmer baten, über ihr Vergnügen in der Mitte der Aufgabe zu berichten anstatt nach deren Beendigung. In jedem Fall hatten die Teilnehmer mehr Spaß am Nachdenken, als sie erwartet hatten.
In einem weiteren Experiment verglichen die Forscher die Vorhersagen einer Gruppe von Teilnehmern, wie viel Spaß ihnen das Denken machen würde, mit den Vorhersagen einer anderen Gruppe, wie viel Spaß es ihnen machen würde, die Nachrichten im Internet zu lesen. Auch hier stellten die Forscher fest, dass die Menschen ihre Freude am Denken unterschätzten. Die Gruppe der Nachdenker erwartete, dass ihnen die Aufgabe deutlich weniger Spaß machen würde als die Nachrichtengruppe, aber im Nachhinein berichteten beide Gruppen über ein ähnlich hohes Vergnügen.
Diese Ergebnisse sind besonders wichtig in unserem modernen Zeitalter der Informationsflut und des ständigen Zugangs zu Ablenkungen, so der Mitautor Kou Murayama von der Universität Tübingen. „Es ist heute extrem einfach, die Zeit totzuschlagen“. Im Bus auf dem Weg zur Arbeit kann man auf sein Handy schauen, anstatt sich in seine inneren, frei wandernden Gedanken zu vertiefen, weil man erwartet, dass das Denken langweilig sein wird“, sagte er. „Wenn diese Erwartung jedoch nicht zutrifft, verpassen Sie eine Gelegenheit, sich positiv zu beschäftigen, ohne sich auf solche Stimulationen zu stützen.“
Nutzen, wenn man seinen Gedanken freien Lauf lässt
Diese verpasste Gelegenheit hat ihren Preis, denn frühere Studien weisen auf einige Vorteile, wenn man seinen Gedanken freien Lauf lässt, schreiben die Psychologen. Es kann den Menschen bei der Lösung von Problemen helfen, ihre Kreativität fördern und ihnen sogar helfen, einen Sinn im Leben zu finden. „Wenn die Menschen Denkaktivitäten aktiv vermeiden, entgehen ihnen möglicherweise diese wichtigen Nutzen“, sagte Murayama.
Es ist wichtig anzumerken, dass die Teilnehmer das Denken nicht als extrem angenehme Aufgabe bewerteten, sondern einfach als angenehmer, als sie dachten, dass es sein würde, so Murayama. Im Durchschnitt lag das Vergnügen der Teilnehmer bei 3 bis 4 auf einer 7-Punkte-Skala. Zukünftige Forschungen sollten sich damit befassen, welche Arten des Denkens am meisten Spaß machen und motivierend sind, so Murayama. „Nicht jedes Denken ist an sich lohnend, und manche Menschen neigen sogar zu Teufelskreisen des negativen Denkens“, sagte er.
© Psylex.de – Quellenangabe: Journal of Experimental Psychology (2022). doi.org/10.1037/xge0001255
Ähnliche Artikel / News / Themen
- Tagträumen und die Psyche
- Umherschweifender, wandernder Geist: Grundlage für Kreativität & psychische Erkrankungen?