Lesegeschwindigkeit
Psychologie-Lexikon
Warum ältere Menschen langsamer lesen
10.12.2018 Eine der deutlichsten Veränderungen, die mit dem Altern (s.a. Psychologie des Alterns) einhergehen, ist, dass die ältere Menschen Dinge langsamer machen. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass das Altern auch die Sprachverarbeitung beeinflusst.
Auch neurologisch gesunde Menschen sprechen und rufen Wörter langsamer ab und sie lesen mit zunehmendem Alter langsamer. Aber ist diese Verlangsamung unvermeidlich?
Langsameres Lesen bei älteren Menschen strategisch?
Forscher des Zentrums für Sprache und Gehirn der National Research University Higher School of Economics untersuchten, ob langsameres Lesen bei älteren Menschen „strategisch“ ist. Die Forscher wollten verstehen, ob diese Verlangsamung absolut notwendig ist, um einen Text zu verstehen, oder ob sie aus „strategischen“ Gründen geschieht, wie übermäßige Vorsicht, Angst vor Fehlern oder um den kognitiven Aufwand zu minimieren und die Arbeitsbelastung an die neurophysiologischen Fähigkeiten anzupassen.
Bild: Yerson-Retamal
An der im Fachblatt Psychology and Aging veröffentlichten Studie nahmen Probanden aus zwei Altersgruppen teil: jüngere Menschen zwischen 18 und 24 Jahren und ältere Menschen zwischen 59 und 81 Jahren.
Zuerst bestimmten die Forscher die individuelle Lesegeschwindigkeit für jeden Teilnehmer: Sätze erschienen Wort für Wort auf einem Computerbildschirm, und die Teilnehmer mussten den Knopf drücken, um zum nächsten Wort zu gelangen. Dadurch konnte die von den Teilnehmern selbst bevorzugte Geschwindigkeit ermittelt werden.
Am nächsten Tag des Experiments wurde die Wortdarstellungsrate extern festgelegt: Im ersten Teil des Tests entsprach sie der durchschnittlichen Lesegeschwindigkeit des Teilnehmers, im zweiten Teil war sie doppelt so schnell.
Die Forscher gingen davon aus, dass die jüngeren Teilnehmer zunächst die schnellstmögliche Geschwindigkeit wählten, die es ihnen ermöglichte, zu verstehen, was sie gelesen hatten, während die älteren Teilnehmer ’strategisch‘ langsamer lasen, als sie es hätten tun können.
So wurde erwartet, dass die extern erhöhte Satzpräsentationsrate das Verständnis bei älteren Menschen in geringerem Maße verringern würde als bei jungen Menschen.
Fehlerrate erhöhte sich gleichermaßen bei schnellerem Lesen
Aber diese Annahme wurde nicht unterstützt: Als die Satzdarstellung beschleunigt wurde, sank die Rate der richtigen Antworten bei jüngeren und älteren Teilnehmern gleichermaßen.
So fand die Studie keine Hinweise darauf, dass ältere Menschen aus „strategischen“ Gründen bei der Wahl ihrer eigenen Lesegeschwindigkeit langsamer lesen.
Die altersbedingte Verlangsamung ist wahrscheinlich doch unvermeidlich, vermuten die Wissenschaftler. Sie kann die notwendige Zeit für den lexikalischen Zugang und die Grammatikanalyse bieten, legen die Forscher um Studienautorin Svetlana Malyutina nahe.
Die Forscher empfehlen, dass ältere Leser ihre natürliche Lesegeschwindigkeit akzeptieren und nicht versuchen sollten, sie mit Gewalt zu erhöhen. Diese Verlangsamung trägt aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem hohen Maß an Textverständnis bei.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Psychology and Aging – https://dx.doi.org/10.1037/pag0000302