Iatrogene Erkrankungen in der Psychiatrie
Klinische Psychologie – psychische Krankheiten
Iatrogene Störungen bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen sind weit verbreitet und werden vernachlässigt
16.07.2019 Eine in Psychotherapy and Psychosomatics veröffentlichte Studie untersuchte die Forschungsliteratur zu iatrogenen Erkrankungen in der Psychiatrie, die auf Medikamente oder Psychotherapie zurückzuführen sein könnten.
Die mit medizinischen bzw. psychotherapeutischen Eingriffen verbundenen Nebenwirkungen und Risiken werden als Iatrogenese definiert. In der Psychiatrie beschäftigt sich die Iatrogenese seit jeher mit den medizinischen Komplikationen der psychotropen Arzneimittelbehandlung (Psychopharmaka).
Nebenwirkungen psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlungen
Bild: George Hodan (publicdomainpictures)
Wie bei der medizinischen Therapie wurden die Nebenwirkungen psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlungen als die unvermeidlichen Nachteile jeder Form der medizinischen Therapie konzipiert. Den negativen psychologischen und verhaltensbezogenen Auswirkungen der psychiatrischen Behandlung auf die Psychopathologie und den Krankheitsverlauf psychischer Störungen wurde wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Aktuelle Klassifikationssysteme in der Psychiatrie berücksichtigen nicht die iatrogenen Komponenten der Psychopathologie im Zusammenhang mit den Nebenwirkungen bzw. unerwünschten Ereignissen beim Verhalten. Affektive medikamentöse Störungen sowie paradoxe Effekte, Toleranzmanifestationen (Verlust der klinischen Wirkung, Refraktärität), Entzugs- und Post-Entzugsstörungen werden aufgrund des weitverbreiteten Einsatzes von Psychopharmaka in der Bevölkerung immer häufiger.
Eine solche Vernachlässigung ist schwerwiegend, da Erscheinungsformen der Verhaltenstoxizität wahrscheinlich nicht auf psychiatrische Standardbehandlungen ansprechen werden und für das breite Spektrum der Störungen verantwortlich sein können, die unter der allgemeinen Rubrik der Behandlungsresistenz subsumiert werden.
Iatrogene Komorbidität
Der Begriff „iatrogene Komorbidität“ bezieht sich auf die ungünstigen Veränderungen im Verlauf, den Eigenschaften und des Ansprechens auf die Behandlung einer psychischen Krankheit, die mit zuvor verabreichten Therapien zusammenhängen können. Solche Modifikationen können auch zu einer Serienentwicklung mehrerer medizinischer und psychiatrischer Komplikationen führen (kaskadierte Iatrogenese).
Der Begriff der psychiatrischen Erkrankung steht nicht mehr im Einklang mit dem veränderten Gesundheitsspektrum und dem komplexen Zusammenspiel von biologischen, iatrogenen und psychosozialen Faktoren, schreiben die Autoren. Die Berücksichtigung iatrogener Faktoren stellt die meisten der derzeitigen Praktiken der Verschreibung von psychotropen Medikamenten in Frage.
Negative Auswirkungen der Behandlung
Derzeit wird der verschreibende Arzt von der evidenzbasierten Medizin und den Richtlinien, dem Marketingzweig der Pharmaindustrie, zu einer überbewerteten Betrachtung des potenziellen Nutzens, wenig Aufmerksamkeit auf die Wahrscheinlichkeit des Ansprechens und Vernachlässigung potenzieller Anfälligkeiten für die negativen Auswirkungen der Behandlung getrieben.
Die Autoren schließen mit dem Hinweis, dass die langfristigen Ergebnisse der Behandlung psychiatrischer Störungen nicht deshalb unbefriedigend sein dürften, weil technische Interventionen fehlen, sondern weil unsere konzeptionellen Modelle, die iatrogene Formen der Psychopathologie ignorieren, unzureichend sind.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Psychotherapy and Psychosomatics – DOI: 10.1159/000500151
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