Selbstverletzendes Verhalten: Zusammenhang mit Gewalt gegen andere
07.04.2017 Laut einer aktuellen Studie gibt es eine Verbindung zwischen selbstverletzendem Verhalten und Gewalttätigkeiten gegenüber anderen Menschen.
Absichtliche Selbstverletzungen wie sich ritzen, schneiden, verbrennen oder Überdosen an Medikamenten / Drogen zu nehmen, um belastenden Emotionen zu entkommen oder auch suizidales Verhalten sind sehr ernstzunehmende und häufige Verhaltensweisen, schreiben die Wissenschaftler des Fachbereichs für Neurowissenschaften am Karolinska Institutet.
Aggressives Verhalten gegenüber anderen
Schon längere Zeit wurde vermutet, dass sich selbst verletztende Menschen auch anfällig für aggressives Verhalten gegenüber anderen sein könnten, aber die Studien dazu waren bislang nicht aussagekräftig genug.
Bild: George Hodan
Die aktuelle in JAMA Psychiatry veröffentlichte Studie untersuchte deshalb die Daten aller schwedischen Bürger, die zwischen 1982 und 1998 geboren wurden und folgte ihnen vom 15. Lebensjahr (insgesamt 1.850.525 Personen).
Verurteilungen wegen Gewaltdelikten
Während der erfassten Zeit wurden 55.185 Personen wegen Selbstverletzungen in Kliniken registriert, 66.561 wurden wegen eines gewaltsamen Verbrechens verurteilt und 8.155 wurden wegen Selbstverletzungen behandelt als auch wegen eines gewaltsamen Verbrechens verurteilt.
Personen, die wegen selbstverletzenden Verhaltens behandelt worden waren, wurden auch eher wegen Gewalttätigkeiten gegen andere verurteilt – das Risiko dafür war um gut 500% höher im Vergleich zu Personen, die nicht wegen eines selbstverletzenden Verhaltens (SVV) klinisch betreut wurden.
Ursache und Wirkung
SVV scheint das Risiko für Gewalt gegenüber anderen zu vergrößern, aber die Forscher fanden keine keine Unterstützung für die Hypothese, dass SVV Ursache für Gewaltverbrechen ist, sagte Studienautorin Hanna Sahlin.
Denn als sie die Analyse umkehrten und das Risiko für SVV bei wegen gewaltsamer Verbrechen verurteilten Personen untersuchten, fanden sie einen ähnlichen Zusammenhang. Zusammengefasst weist dies darauf hin, dass absichtliches selbstschädigendes Verhalten und Gewaltkriminalität eine Manifestation einer häufig zugrundeliegenden Anfälligkeit sind, sagte sie.
Männer und Frauen
Fast ebensoviele Männer wie Frauen waren aufgrund SVV klinisch versorgt worden. Die Wahrscheinlichkeit für Verurteilungen aufgrund Gewalttätigkeiten war besonders hoch für selbstverletzende Frauen mit begleitendem Substanzmissbrauch – das Risiko für eine Verurteilung aufgrund eines Gewaltverbrechens lag um 700% höher als bei Frauen, die nicht wegen SVV in einer Klinik versorgt worden waren.
Selbst nach der Berücksichtigung von potentiellen Störfaktoren – wie psychiatrischen Ko-Erkrankungen und sozioökonomische Faktoren – war selbstverletzendes Verhalten noch mit einem doppelt so hohen Risiko für Verurteilungen aufgrund Gewaltkriminalität verbunden – sowohl bei Männern als auch bei Frauen.
D.h., dass bei der Erfassung aggressiven Verhaltens auch Selbstverletzungen erfasst und behandelt werden müssen, und dies gilt auch umgekehrt, schlossen die Forscher.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Karolinska Institutet, JAMA Psychiatry – dx.doi.org/10.1001/jamapsychiatry.2017.0338; April 2017
Jugendliche, die sich selbst verletzen, werden eher gewalttätig
06.01.2019 Junge Menschen, die sich selbst verletzen, sind dreimal häufiger bereit, Gewalttaten zu begehen als Heranwachsende, die kein selbstverletzendes Verhalten (SVV) zeigen, laut einer im The American Journal of Psychiatry publizierten Forschungsarbeit.
Selbst Opfer von Gewalthandlungen in der Jugend
Bild: Carlo Sardena
Die Studie fand auch heraus, dass junge Menschen, die sich selbst verletzen und Gewaltverbrechen begehen, eher eine Vorgeschichte von Misshandlungen im Kindesalter und eine geringere Selbstkontrolle haben als diejenigen, die sich nur selbst verletzen.
So könnten Programme, die darauf abzielen, Misshandlungen im Kindesalter zu verhindern oder die Selbstkontrolle unter Selbstverletzern zu verbessern, helfen, Gewaltkriminalität zu verhindern.
Die Teilnehmer kamen aus einer national repräsentativen britischen Kohorte von 2.232 Zwillingen, die 1994 und 1995 geboren wurden und in den ersten zwei Lebensjahrzehnten beobachtet wurden.
Gewalt als Möglichkeit, Probleme zu lösen
Selbstverletzungen in der Adoleszenz wurden durch Interviews im Alter von 18 Jahren erfasst. Gewalttätige Straftaten wurden mit einem Computerfragebogen im Alter von 18 Jahren und Polizeiaufzeichnungen im Alter von 22 Jahren bewertet.
Durch den Vergleich von Zwillingen, die in derselben Familie aufgewachsen sind, konnten die Wissenschaftler testen, ob Selbstverletzung und Gewaltverbrechen nur aufgrund derselben genetischen oder familiären Risikofaktoren zusammenhängen, schreiben die Forscher um Leah S. Richmond-Rakerd von der Duke Universität. Tatsächlich stimme dies nicht.
Das bedeutet, dass junge, sich selbst verletzende Menschen Gewalt als eine Möglichkeit sehen können, Probleme zu lösen und sie sowohl gegen andere als auch gegen sich selbst einzusetzen.
Viktimisierung, psychotische Symptome und Drogenabhängigkeit
Die Forscher fanden auch heraus, dass Personen, die Gewalt gegen sich selbst und andere ausübten, in der Adoleszenz eher Viktimisierung erfahren hatten – also selbst Opfer von Gewalttaten wurden. Sie zeigten auch eine höhere Rate an psychotischen Symptomen und Drogenabhängigkeit.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: The American Journal of Psychiatry, Jan. 4, 2019. DOI: 10.1176/appi.ajp.2018.18060740
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