Abschweifende Gedanken und das Gehirn

Das gedankliche Abschweifen ist mit einer bestimmten Art von Gehirnaktivität verbunden, die mit Gedächtnis und Schlaf verknüpft ist

Abschweifende Gedanken und das Gehirn

26.05.2024 Forscher der Universität Osaka haben eine bestimmte Art von Gehirnaktivität identifiziert, die mit abschweifenden Gedanken verbunden ist.

Wenn wir über Dinge nachdenken, die in Wirklichkeit nicht geschehen, wie beim Tagträumen, erfindet das Gehirn im Wesentlichen Informationen, anstatt sie zu empfangen und zu verarbeiten – aus diesem Grund bezeichnen die Forscher diesen Zustand als „selbsterzeugt“. In einer in Nature Communications veröffentlichten Studie haben japanische Forscher herausgefunden, dass diese selbsterzeugten Zustände mit einem bestimmten Muster der Gehirnaktivität, den sogenannten „sharp-wave ripples“, verbunden sind. Diese Wellen beginnen im Hippocampus, einer Hirnregion, die für die Bildung und das Abrufen von Erinnerungen wichtig ist.

Sharp Wave Ripples

Um den Zusammenhang zwischen diesen Sharp Wave Ripples und verschiedenen Arten von Gedanken zu untersuchen, nutzte das Forscherteam die Daten, die erfasst werden, wenn Patienten mit arzneimittelresistenter Epilepsie kurz vor einer Operation stehen (um den Ausgangspunkt der epileptischen Aktivität im Gehirn zu entfernen). Bei diesen Patienten werden intrakranielle Elektroden in den Hippocampus implantiert, und die Aktivität im Gehirn wird kontinuierlich verfolgt, so dass die Chirurgen die epileptische Region identifizieren und sicher sein können, dass sie nicht einen Teil des Gehirns entfernen, der unerwartete Folgen haben wird.

„Wir haben die Patienten, die sich 10 Tage lang dieser elektroenzephalographischen Gehirnüberwachung unterzogen, gebeten, stündlich einen Fragebogen zu ihren Gedanken und Gefühlen auszufüllen“, sagt der Hauptautor der Studie Takamitsu Iwata. „Wir wollten vor allem sehen, ob wir irgendwelche Zusammenhänge zwischen der aufgezeichneten Hirnaktivität und den Gefühlen und Gedanken der Patienten zu diesem Zeitpunkt feststellen können.“

Hippocampus

Im Allgemeinen wurden die Sharp Wave Ripples des Hippocampus bei den Patienten nachts (vermutlich während des Schlafs) erzeugt. Darüber hinaus stellte das Forscherteam einen Zusammenhang zwischen erhöhter Aktivität der Sharp Wave Ripples und Gedanken fest, die lebhafter oder phantasievoller und weniger wünschenswert oder aufgabenbezogen waren, d. h. wenn die Gedanken abschweiften.

„Obwohl unsere Studie ausschließlich an Menschen mit Epilepsie durchgeführt wurde, haben wir unser Bestes getan, um epilepsiebezogene Daten zu streichen, damit die Ergebnisse auch auf gesunde Bevölkerungsgruppen übertragbar sind“, erklärt Takufumi Yanagisawa, Hauptautor der Studie.

Es gibt immer mehr Belege dafür, dass selbst erzeugte Hirnzustände, einschließlich des gedanklichen Abschweifens und intrusiver Gedanken, in einem komplexen Zusammenhang mit Intelligenz, Autismus, Aufmerksamkeitsdefizitstörung und Glück/Wohlbefinden stehen. Ein besseres Verständnis der Gehirnregionen und -aktivitäten, die diese Zustände verursachen, könnte daher Menschen mit einer Reihe verschiedener Erkrankungen helfen, schließen die Autoren.

© Psylex.de – Quellenangabe: Nature Communications (2024). DOI: 10.1038/s41467-024-48367-1

News zu: Abschweifende Gedanken und das Gehirn

Wie sich gedankliches Abschweifen im Gehirn abbildet

18.06.2020 Jeder schweift mit den Gedanken mal ab. Das kann aber nicht nur die eigene Leistung mindern. Bei risikoreichen Arbeiten kann es auch gefährlich sein. Forschende des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) haben das Phänomen in einer aktuellen Studie in Zusammenarbeit mit Forschenden der Universität Heidelberg untersucht. Die Messung von Alpha-Aktivität im Gehirn ist demnach ein guter Indikator für gedankliches Abschweifen. Das Ergebnis könnte sowohl in der Forschung als auch in der Praxis genutzt werden.

Man kann ziemlich schnell gedanklich abschweifen. Egal, ob man während der Arbeit bereits über den Feierabend nachdenkt oder beim Autofahren die Einkaufsliste im Kopf zusammenstellt. Das schadet aber der kognitiven Leistung, zum Beispiel wenn es um anhaltende Aufmerksamkeit oder das Gedächtnis geht. Verschiedene Studien haben zwar untersucht, wie sich Abschweifen im Gehirn abbildet, kommen aber nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Das liegt vor allem daran, dass viele unterschiedliche Methoden verwendet worden sind.
Der Fokus der Forschenden um IfADo-Psychologen Dr. Stefan Arnau lag deswegen insbesondere auf der Methodik der Studie. Sie vermuteten einen Zusammenhang zwischen gedanklichem Abschweifen und der Alpha-Aktivität im Gehirn. Die Alpha-Aktivität ist einer von fünf Frequenzbereichen, in denen die Aktivität des Gehirns mittels Elektroenzephalographie (EEG) gemessen wird. Sie zeigt sich vorwiegend, wenn sich die Aufmerksamkeit ins Innere richtet. Die Alpha-Aktivität könnte deswegen eine vielversprechende Variable zur Erkennung von gedanklichem Abschweifen sein.
Insgesamt nahmen 100 Personen zwischen 18 und 60 Jahren an den Versuchen teil, die an der Universität Heidelberg durchgeführt wurden. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden dabei zwei verschiedene einfache und eher monotone Aufgaben am PC gestellt. Insgesamt mussten sie 640 Aufgaben in mehreren Blöcken erledigen. Sie wurden zwischen den Aufgabenblöcken zu zufälligen Zeitpunkten befragt, ob sie gerade abgeschweift sind. War das der Fall, wurden die drei zuletzt gemachten Aufgabenblöcke als „Abschweifen“ bezeichnet. 32 Personen gaben häufig genug an, gedanklich abgeschweift zu sein, um das Phänomen anhand ihrer Daten untersuchen zu können. Neben der Reaktionszeit und der Antwortgenauigkeit wurde die Hirnaktivität mittels EEG erfasst.

Erhöhte Alpha-Aktivität bei gedanklichem Abschweifen
Wer mit seinen Gedanken bei den Aufgaben woanders war, machte signifikant mehr Fehler. Auf die Reaktionszeit hatte das gedankliche Abschweifen jedoch keinen Einfluss. Grundsätzlich waren alle Teilnehmenden schneller, wenn sie in einem Aufgabenblock dieselbe Aufgabe lösen sollten wie in dem vorherigen.

Auch im EEG gab es eindeutige Ergebnisse: Die Alpha-Aktivität war besonders zwischen den Aufgabenblöcken erhöht, bei denen die Testpersonen gedanklich abgeschweift sind. In künftigen EEG-Studien kann dieses Ergebnis berücksichtigt werden, besonders wenn die Versuche eher monoton gestaltet sind und Abschweifen einen Einfluss auf die Ergebnisse haben könnte. Darüber hinaus ließe sich die Alpha-Aktivität durchaus auch am Arbeitsplatz messen. Wenn damit also ein Abschweifen frühzeitig erkannt werden kann, könnten so potenzielle Gefahrenquellen minimiert werden.
Die Studie erschien im Journal „Psychophysiology“ und wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert.

Quellenangabe: Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund – Arnau, S, Löffler, C, Rummel, J, Hagemann, D, Wascher, E, Schubert, A‐L. Inter‐trial alpha power indicates mind wandering. Psychophysiology. 2020; 57:e13581. https://doi.org/10.1111/psyp.13581

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