Gehirndekodierung spontaner Gedanken: Prädiktive Modellierung von Selbstrelevanz und Valenz anhand persönlicher Erzählungen
11.04.2024 Ein Forscherteam unter der Leitung von Kim Hong Ji und Woo Choong-Wan am Center for Neuroscience Imaging Research (CNIR) des Institute for Basic Science (IBS) hat in Zusammenarbeit mit Emily FINN vom Dartmouth College einen neuen Bereich des menschlichen Gehirns erschlossen.
Das Team demonstrierte die Möglichkeit, mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) und Algorithmen des maschinellen Lernens subjektive Gefühle in den Gedanken der Menschen beim Lesen von Geschichten oder in einem Zustand des freien Denkens vorherzusagen. Die Studie wurde in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.
Das Gehirn ist ständig aktiv, und selbst im Ruhezustand oder im Schlaf treten spontane Gedanken auf. Diese Gedanken können alles Mögliche sein, von Erinnerungen an die Vergangenheit bis hin zu Wünschen für die Zukunft, und sie sind oft mit Gefühlen und persönlichen Sorgen verbunden. Da spontane Gedanken jedoch in der Regel ohne Bewusstseinseinschränkung auftreten, stellt ihre Erforschung eine Herausforderung dar – selbst wenn man Personen fragt, was sie gerade denken, kann sich die Art ihrer Gedanken ändern.
Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass es möglich sein könnte, Vorhersagemodelle für affektive Inhalte während spontaner Gedanken zu entwickeln, indem persönliche Erzählungen mit fMRI kombiniert werden. Erzählungen und spontane Gedanken weisen ähnliche Merkmale auf, darunter reichhaltige semantische Informationen und eine zeitliche Abfolge. Um ein breites Spektrum an Gedankenmustern zu erfassen, verfassten die Teilnehmer in Einzelgesprächen personalisierte Erzählstimuli, die ihre vergangenen Erfahrungen und Emotionen widerspiegelten. Während die Teilnehmer ihre Geschichten im MRT-Scanner lasen, wurde ihre Gehirnaktivität aufgezeichnet.
Nach dem fMRI-Scan sollten die Teilnehmer die Geschichten erneut lesen und zu jedem Zeitpunkt die wahrgenommene Selbstrelevanz (d.h. wie sehr dieser Inhalt mit ihnen selbst zusammenhängt) und die Valenz (d.h. wie sehr dieser Inhalt positiv oder negativ ist) angeben.
Aktivitäten im Gehirn
Unter Verwendung eines Quintils (fünf Stufen) der Selbstrelevanz- und Valenzbewertungen jedes Teilnehmers wurden 25 (5 Stufen der Selbstrelevanzbewertung × 5 Stufen der Valenzbewertung) mögliche Segmente von fMRI- und Bewertungsdaten erstellt. Das Team machte sich dann Techniken des maschinellen Lernens zunutze, um Vorhersagemodelle zu trainieren und diese Daten mit den fMRT-Gehirnscans von 49 Personen zu kombinieren, um die „emotionalen Dimensionen“ von Gedanken in Echtzeit zu entschlüsseln.
Um die Hirnrepräsentationen der Vorhersagemodelle zu interpretieren, wendete das Forschungsteam mehrere Ansätze an, wie z. B. die Analyse virtueller Läsionen und virtueller Isolationen auf der Ebene von Regionen und Netzwerken. Durch diese Analysen entdeckten sie die Bedeutung des Standardmodus, der ventralen Aufmerksamkeit und der frontoparietalen Netzwerke sowohl für die Vorhersage der Selbstrelevanz als auch der Valenz. Insbesondere stellten sie fest, dass die anteriore Insula und der midcinguläre Kortex an der Vorhersage der Selbstrelevanz beteiligt sind, während die linke temporoparietale Verbindung und der dorsomediale präfrontale Kortex eine wichtige Rolle bei der Valenzvorhersage spielen.
Vorhersage von Selbstrelevanz und Valenz
Darüber hinaus zeigte sich, dass die Vorhersagemodelle in der Lage waren, sowohl die Selbstrelevanz als auch die Valenz vorherzusagen, und zwar nicht nur während des Lesens von Geschichten, sondern auch, wenn sie auf Daten von Personen angewendet wurden, die sich mit spontanem, aufgabenfreiem Denken beschäftigten oder sich sogar im Ruhezustand befanden. Diese Ergebnisse zeigen, wie vielversprechend die Entschlüsselung von Tagträumen ist.
„Mehrere Technologieunternehmen und Forscherteams bemühen sich derzeit darum, Wörter oder Bilder direkt aus der Gehirnaktivität zu entschlüsseln, aber es gibt nur wenige Initiativen, die darauf abzielen, die intimen Emotionen zu entschlüsseln, die diesen Gedanken zugrundeliegen“, erklärte Dr. Woo Choong-Wan. „Unsere Forschung konzentriert sich auf menschliche Emotionen mit dem Ziel, Emotionen innerhalb des natürlichen Gedankenflusses zu entschlüsseln, um Informationen zu erhalten, die der psychischen Gesundheit der Menschen zugute kommen können.“
Die Doktorandin Kim Hongji, Erstautorin der Studie, betonte: „Diese Studie ist insofern von Bedeutung, als wir den emotionalen Zustand entschlüsselt haben, der mit allgemeinen Gedanken verbunden ist, und nicht auf Emotionen abzielen, die auf bestimmte Aufgaben beschränkt sind“, und fügte hinzu: „Diese Ergebnisse fördern unser Verständnis der inneren Zustände und Kontexte, die das subjektive Erleben beeinflussen, und könnten Licht in die individuellen Unterschiede bei Gedanken und Emotionen bringen und bei der Bewertung des psychischen Wohlbefindens helfen.“
© Psylex.de – Quellenangabe: Proceedings of the National Academy of Sciences (2024). DOI: 10.1073/pnas.2401959121