Die Pille, die man nicht nehmen muss und die trotzdem wirkt: Das Gehirn bei einer imaginären Placeboeinnahme zur Regulation des Ekels
03.06.2024 In einer Studie wurden die Auswirkungen einer Placebopille und einer imaginären Pille auf die Verringerung des visuell ausgelösten Ekels verglichen. Die in Social Cognitive and Affective Neuroscience veröffentlichten Ergebnisse zeigten, dass beide Interventionen die Intensität des empfundenen Ekels bei den dargestellten Bildern verringerten, wobei das „imaginäre Placebo“ mit niedrigeren Ekelbewertungen und höheren Bewertungen der erwarteten und wahrgenommenen Wirksamkeit verbunden war.
Open-Label-Placebos (OLPs) sind Placebos ohne Täuschung in dem Sinne, dass die Patienten wissen, dass sie eine inaktive Behandlung erhalten, z. B. eine Pille, die keine aktiven Bestandteile enthält. Aber ist die Einnahme der Pille eine entscheidende Komponente des Placebo-Effekts?
Um diese Frage zu klären, hat das Forscherteam unter der Leitung von Anne Schienle mit Unterstützung der BIAL-Stiftung einen neuartigen Ansatz zur Verabreichung von OLP verwendet: die imaginäre Einnahme einer OLP-Pille zur Ekelregulation.
In dieser Studie wurden 99 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 23,2 Jahren nach dem Zufallsprinzip einer von drei Gruppen zugeteilt: In der ersten nahmen die Teilnehmerinnen eine Placebopille (OLP-Pille) ein, in der zweiten stellten sie sich die Einnahme einer Placebopille vor (imaginäre Pille), und in der dritten betrachteten sie passiv (PV) abstoßende und neutrale Bilder.
Die Teilnehmer sahen sich 30 ekelerregende Bilder (z. B. ekelerregende Tiere wie Würmer, verdorbenes Essen und Körpersekrete) und 30 neutrale Bilder (verpixelte Versionen der Ekelbilder mit mosaikartigem Aussehen) an, während die neuronale Aktivität des Gehirns mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) untersucht wurde.
Die Ergebnisse zeigten, dass beide Placebos die Intensität des erlebten Ekels im Vergleich zum passiven Betrachten (PV) der Ekelbilder verringerten, wobei die „imaginäre Pille“ als wirksamer angesehen wurde als die OLP-Pille, da sie mit einer geringeren Bewertung des Ekels und einer höheren Bewertung der erwarteten und wahrgenommenen Wirksamkeit verbunden war.
Diese fMRT-Studie war laut den Forschern die erste, die die Auswirkungen verschiedener Formen der OLP-Verabreichung verglich und zeigte, dass die imaginäre Einnahme einer OLP-Pille eine bessere Methode zur Regulation von Ekelgefühlen zu sein scheint als die tatsächliche Einnahme einer Placebopille.
Laut Anne Schienle eröffnet der innovative Ansatz der Studie neue Perspektiven für das Potenzial von Placebo-Interventionen bei der Emotionsregulation. „Diese Ergebnisse haben wichtige Implikationen für die Entwicklung neuer OLP-basierter Interventionen in klinischen und nicht-klinischen Kontexten“, sagt die Forscherin von der Universität Graz.
© Psylex.de – Quellenangabe: Social Cognitive and Affective Neuroscience (2024). DOI: 10.1093/scan/nsae021