Unethische Amnesie
News/Forschung, die sich mit der Psychologie der moralischen Überlegenheit beschäftigen.
Vergangene Missetaten werden vergessen, um zukünftige zu rechtfertigen: Unethische Amnesie reagiert mehr auf instrumentale als auf hedonische Motive
30.09.2020 Es ist eine erwiesene Tatsache: Wir erinnern uns leichter an unser altruistisches Verhalten als an egoistische Handlungen oder Missetaten, die gegen unser eigenes Moralempfinden verstoßen.
Strategisches Ziel des Vergessens?
Menschen zeigen oft Verhaltensweisen, die ihrem moralischen Selbstbild widersprechen. Eine unethische Amnesie tritt auf, wenn Menschen sich nicht oder weniger lebhaft an dieses Verhalten erinnern.
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Von Wissenschaftlern als „unethische Amnesie“ beschrieben, wird sie im Allgemeinen mit der Aufrechterhaltung des Selbstbildes erklärt. Aber könnten diese selektiven Fehlleistungen, die nicht unbedingt bewusst sind, ein strategischeres Ziel haben?
In dieser Forschungsarbeit wurden also zwei Gründe untersucht, aus denen Personen eine unethische Amnesie erleben können. Das Vergessen vergangener unethischer Verhaltensweisen kann durch rein hedonische oder affektive Gründe motiviert sein, wie z.B. die Bereitschaft, das moralische Selbstbild aufrechtzuerhalten, aber auch durch instrumentelle oder strategische Motive, in Erwartung künftigen Fehlverhaltens.
Um dies herauszufinden, hat ein Team von Verhaltensökonomen des CNRS der Universität Lyon in einem Online-Experiment, das sich über zwei Sitzungen erstreckte, 1.322 Freiwillige rekrutiert.
Das Experiment
Die erste Sitzung beinhaltete 20 Wiederholungen einer Lotterieaufgabe, deren Ergebnisse die monetäre Auszahlung der Teilnehmer bestimmten; da die Teilnehmer die Ergebnisse jedoch selbst melden mussten, hatten sie die Möglichkeit zu betrügen.
Während der zweiten Sitzung, drei Wochen später, wurden dieselben Teilnehmer finanziell dazu angeregt, sich so genau wie möglich an die Ergebnisse zu erinnern, über die sie in der vorangegangenen Sitzung berichtet hatten.
Die Hälfte der Probanden wurde darüber informiert, dass sie dann die Möglichkeit haben würden, freiwillig einen Teil des Geldes zurückzugeben, wenn sie in der ersten Sitzung einen zu hohen Betrag einbehalten hatten.
Rechtfertigung zukünftiger unethischer Entscheidungen?
Innerhalb dieser Konfiguration waren die Teilnehmer am anfälligsten für unethische Amnesie, wie die Wissenschaftler um Fabio Galeotti in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences berichteten.
Mit anderen Worten, sie erinnerten sich weniger genau an ihr betrügerisches Verhalten, wenn sie wussten, dass sie erneut eine moralische Entscheidung treffen mussten, obwohl sie mehr Geld verdienen konnten, wenn sie sich an die berichteten Ergebnisse erinnerten.
Es war, als ob das Vergessen dieses Vorfalls es ihnen ermöglichen würde, ihren Ruf wiederherzustellen, wodurch er für einen künftigen unethischen Verstoß akzeptabler würde, sagen die Forscher.
Hedonische Erwägungen bei den Teilnehmern reichten nicht aus, um das Vergessen eines zurückliegenden vorsätzlichen Fehlverhaltens zu motivieren.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Proceedings of the National Academy of Sciences (2020). DOI: 10.1073/pnas.2011291117