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- Die Rolle der Spiegelneuronen bei der moralischen Entscheidungsfindung
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Definition
Spiegelneurone bzw. Cubelli-Neurone sind Nervenzellen in verschiedenen Teilen des Gehirns, die sowohl feuern, wenn eine Handlung vollzogen wird, als auch wenn man die gleiche Aktion beobachtet, die von einem anderen ausgeführt wird. So „spiegeln“ diese Neuronen das Verhalten des anderen wider, als ob der Betrachter selbst handelt.
Solche Neuronen wurden direkt bei Primatenarten beobachtet. Es wurde gezeigt, dass Vögel ein imitatives Resonanzverhalten haben, und neurologische Belege deuten auf das Vorhandensein einer Form von Spiegelsystemen hin.
Beim Menschen wurde eine Hirnaktivität, die mit der von Spiegelneuronen übereinstimmt, in der prämotorischen Rinde, dem ergänzenden motorischen Bereich, der primären somatosensorischen Rinde und der inferioren parietalen Rinde gefunden.
Die Rolle der Spiegelneuronen bei der moralischen Entscheidungsfindung
08.01.2018 Die Aktivität der Spiegelneuronen sagt die Entscheidungsfindung der Menschen bei moralischen Dilemmata voraus laut einer aktuellen neuropsychologischen Studie.
Moralisches Dilemma
Es ist Krieg. Sie und Ihre Gefährten verstecken sich vor feindlichen Soldaten, als ein Baby zu weinen beginnt. Sie halten den Mund des Babys zu, um es ruhig zu stellen. Wenn Sie Ihre Hand entfernen, wird das Weinen die Aufmerksamkeit der Soldaten erregen, die dann alle töten werden. Wenn Sie das Kind ersticken, wird dies Sie und die anderen retten. Was würden Sie tun?
Eine solche Situation ist ein moralisches / ethisches Dilemma, das z.B. in der letzten Episode der TV-Serie „M.A.S.H.“ aus den 70er und 80er Jahre dramatisiert wurde.
Die Ergebnisse einer neuen Studie der University of California, Los Angeles legen nahe, dass Wissenschaftler die Entscheidungsfindung bzw. die Antwort eines Menschen auf diese Frage gut abschätzen können, basierend darauf, wie dessen Gehirn (genauer die sogenannten ‚Spiegelneurone‘) auf die bei anderen Menschen beobachteten Schmerzen reagiert.
Einblick in die Natur der Moral
Die Studie fand heraus, dass diese Reaktionen voraussagen, ob Menschen eher sozial entscheiden, wenn sie mit moralischen Dilemmata konfrontiert werden. Die Ergebnisse geben uns einen Einblick in die Natur der Moral, sagte Dr. Marco Iacoboni.
In der in Frontiers in Integrative Neuroscience veröffentlichten Studie analysierten Iacoboni und Kollegen Spiegelneurone – Gehirnzellen, die beim „Betrachten“ eines Vorgangs das gleiche Aktivitätsmuster zeigen wie bei dessen „eigener“ Ausführung. Spiegelneurone spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie Menschen durch Mimikry lernen und Empathie für andere empfinden.
Neuronale Resonanz
Wenn man beim Anblick eines Menschen mit Schmerzen zusammenzuckt – ein Phänomen, das als „neuronale Resonanz“ bezeichnet wird – sind Spiegelneuronen verantwortlich.
Bild: Colin Behrens
Iacoboni fragte sich, ob die neuronale Resonanz eine Rolle spielen könnte, wenn es darum geht, wie Menschen komplizierte Probleme meistern, die sowohl bewusste Überlegungen als auch die Berücksichtigung der Gefühle eines anderen erfordern.
Um das herauszufinden, zeigten die Forscher 19 Freiwilligen zwei Videos: eines von einer subkutanen Nadel, die eine Hand durchbohrt, und eines von einer Hand, die sanft von einem Wattestäbchen berührt wird. In beiden Fällen benutzten die Wissenschaftler einen MRT-Hirnscanner um die Aktivität im Gehirn der Probanden zu messen.
Später fragten die Forscher die Teilnehmer, wie sie sich bei einer Reihe von moralischen Dilemmata verhalten würden, einschließlich des Szenarios mit dem schreienden Baby; eines bei der eine andere Person gefoltert werden muss, um zu verhindern, dass eine Bombe viele andere Menschen tötet; und ob sie Versuchstiere verletzen würden, um AIDS zu heilen.
Die Teilnehmer antworteten auch auf Szenarien, in denen Schäden / Verletzungen verursachende Handlungen die Welt noch schlimmer machen würden – z.B. würde man eine andere Person verletzen, um zwei Wochen schwerer Arbeit zu vermeiden – um die Bereitschaft zu messen, aus moralischen Gründen und aus weniger edlen Motiven Schaden anzurichten.
Aktivität im unteren frontalen Cortex
Iacoboni und seine Kollegen stellten die Hypothese auf, dass Menschen, die eine größere neuronale Resonanz als die anderen Teilnehmer hatten – während sie sich das Video anschauten – auch weniger wahrscheinlich das Baby in dem hypothetischen Dilemma zum Schweigen brächten – und dies erwies sich als wahr.
Tatsächlich waren Menschen mit stärkerer Aktivität im unteren frontalen Cortex – einem Teil des Gehirns, der für Empathie und Nachahmung unerlässlich ist – weniger bereit, direkten Schaden anzurichten, wie z.B. das Baby zum Schweigen zu bringen.
Aber die Forscher fanden keine Korrelation zwischen der Hirnaktivität der Menschen und ihrer Bereitschaft, einer Person hypothetisch im Interesse des größeren Wohlergehens Schaden zuzufügen – wie z.B. das Baby zum Schweigen zu bringen, um mehr Leben zu retten. Sie nehmen an, dass diese Entscheidungen auf kognitivere und abwägendere Prozesse zurückzuführen sind.
Echtes Mitgefühl
Die Studie bestätigt, dass echte Fürsorge / Mitgefühl im Hinblick auf den Schmerz anderer eine kausale Rolle bei moralischen Dilemma-Entscheidungen spielt, sagte Iacoboni. Mit anderen Worten, die Weigerung einer Person, das Baby zum Schweigen zu bringen, ist auf die Sorge um das Baby zurückzuführen, nicht nur auf das Unbehagen der Person selbst, wenn sie diese Maßnahme ergreift.
Anwendung
Die Forscher wollen nun herausfinden, ob die Erhöhung oder Herabsetzung der Aktivität in diesen Hirnregionen über Hirnstimulation die moralische Entscheidungsfindung beeinflusst.
Diese Befunde zu den Spiegelneuronen könnten z.B. für die Behandlung von psychischen Erkrankungen wie der Schizophrenie wichtig werden, da bei dieser Störung die Fähigkeit zur Nachahmung beeinträchtigt sein kann, wobei dies die zwischenmenschlichen Beziehungen stören kann.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of California; Frontiers in Integrative Neuroscience – DOI: 10.3389/fnint.2017.00034; Jan. 2018
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