Handlungsketten und Absichtsverständnis bei 3- bis 6-jährigen Kindern
17.07.2024 Im Alter von drei Jahren sind Kinder in der Lage, andere zu verstehen und ihre Mitmenschen zu „spiegeln“, um deren Absichten nachzuahmen und zu antizipieren. Sie sind dazu in der Lage dank der hochentwickelten neurofunktionalen Architektur, die notwendig ist, um die Absichten anderer zu verstehen – den Spiegelneuronen – die bereits in diesem Alter aktiv sind.
Dies geht aus einer in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie hervor, die in Zusammenarbeit zwischen Giacomo Rizzolatti von der Universität Parma, dem Entdecker der Spiegelneuronen, und der Forschungsgruppe von Cinzia Di Dio, Laura Miraglia und Giulia Peretti unter der Leitung von Antonella Marchetti, Direktorin der Abteilung für Psychologie an der Università Cattolica, Campus Mailand, durchgeführt wurde.
Dies ist eine sehr wichtige Entdeckung, erklärt Prof. Marchetti, denn sie zeigt, dass Kinder bereits in einem so jungen Alter mit einem ‘Resonanzsystem‘ ausgestattet sind, das aus Spiegelneuronen besteht, die die Grundlage für ein komplexeres und differenzierteres Verständnis der sozialen Welt im Laufe der Entwicklung und Erfahrung bilden.
Obwohl Vorschulkinder in der Lage sind, zielgerichtete motorische Handlungsabläufe zu planen, wurde ihr Verständnis für die Absichten anderer, die motorische Aufgaben ausführen, bisher noch nicht gründlich untersucht. Die Gruppe der Università Cattolica hat zusammen mit Professor Rizzolatti die Fähigkeit von Vorschulkindern untersucht, eine Abfolge von motorischen Handlungen zu organisieren, indem sie die Absicht hinter der Handlungskette einer anderen Person erkennen.
Um diese Fähigkeit zu überprüfen, maßen die Forscher die Aktivierung des Musculus mylohyoideus, der an der Öffnung des Mundes beteiligt ist, während die Kinder ein Stück Essen oder ein Stück Papier ergriffen, um es in einen Behälter zu legen. Beim Greifen nach dem Essen begann die Aktivierung des Mylohyoideusmuskels mehrere Millisekunden vor Abschluss der Handlung.
Beim Greifen des Papiers wurde der Muskel nicht aktiviert, was auf eine geplante Abfolge von motorischen Ereignissen hindeutet, die auf das Ziel der Handlung ausgerichtet ist. Wenn die Kinder einen Versuchsleiter beobachteten, der dieselben Greifaufgaben ausführte, wurde der Mylohyoideus-Muskel auch während der Beobachtung der Essaufgabe aktiviert.
Marchetti erklärt: „Wir haben jedoch festgestellt, dass die Muskelaktivierung langsamer erfolgt als bei älteren Kindern im Alter von 6 bis 9 Jahren (die in früheren Studien untersucht wurden), die durch die Entwicklung anspruchsvollerer kognitiver Prozesse unterstützt werden.“
Nach Ansicht der Autoren deuten die Ergebnisse darauf hin, dass das Verstehen der motorischen Absichten anderer eine sich entwickelnde Fähigkeit bei Vorschulkindern ist.
Marchetti: „Die aktuellen Daten liefern weitere Belege für die verschiedenen Stadien der kindlichen Entwicklung in diesem Bereich und stehen in Kontinuität mit der Forschung an Kleinkindern, die eine frühe Einstimmung auf zielgerichtete motorische Handlungen zeigen.“
„Insgesamt sind diese Ergebnisse auch aus der Perspektive der Frühdiagnose relevant, zum Beispiel bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen, da sie es ermöglichen würden, eine psychophysikalische instrumentelle Bewertung eines möglichen Defizits beim Verstehen von Absichten und einer möglichen Beeinträchtigung grundlegender Vorläufer für die Entwicklung sozialer Fähigkeiten durchzuführen“, schließt sie.
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© Psylex.de – Quellenangabe: Proceedings of the National Academy of Sciences (2024). DOI: 10.1073/pnas.2317653121
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