Mütter und Väter teilen sich die Erwerbs- und Sorgearbeit in Deutschland nach wie vor sehr ungleich auf. Mit den Einstellungen in der Bevölkerung deckt sich das jedoch kaum
17.07.2024 Zu diesem Schluss kommt eine gemeinsame Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf Basis des familiendemografischen Panels FReDA. So würden deutlich mehr Personen das Erwerbs- und Sorgemodell bevorzugen, in dem beide Elternteile etwa 30 Stunden pro Woche erwerbstätig sind. Auch das universale Erwerbstätigenmodell, in dem beide in Vollzeit einen Beruf ausüben, wird häufiger als ideal erachtet, als es gelebt wird. Beim sogenannten Familienernährermodell, in dem der Vater in Vollzeit erwerbstätig ist und die Mutter gar nicht, sowie beim Zuverdienermodell, in dem die Mutter maximal in Teilzeit erwerbstätig ist, verhält es sich umgekehrt: „Diese beiden Erwerbskonstellationen werden deutlich seltener als ideal angesehen, als sie in der Realität vorkommen,“ berichtet Elena Ziege, Mitautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des BiB.
Laut der Studie klaffen Ideale und die Realität bei der Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit in Deutschland teils deutlich auseinander: „Die Einstellungen zur Arbeitsteilung bei Paaren mit Kindern weichen immer noch stark von der gelebten Wirklichkeit ab,“ sagt C. Katharina Spieß, Direktorin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Die Studie hat Spieß gemeinsam mit Ludovica Gambaro und Elena Ziege vom BiB sowie Katharina Wrohlich und Annica Gehlen vom DIW erstellt.
Erwerbskonstellationen in Ostdeutschland egalitärer
Dabei haben die Studienautorinnen die Daten getrennt für West- und Ostdeutschland ausgewertet. Demnach gibt es im Osten mehr Zustimmung für egalitäre Erwerbskonstellationen als im Westen. Vor allem eine Vollzeiterwerbstätigkeit beider Elternteile wird in Ostdeutschland mit – je nach Alter des Kindes – bis zu 62 Prozent deutlich häufiger befürwortet als in Westdeutschland mit bis zu 38 Prozent. Zwar setzen erheblich weniger Eltern dieses Modell letztlich um, mit bis zu 43 Prozent im Osten aber weiterhin mehr als im Westen mit maximal 16 Prozent. Das Erwerbs- und Sorgemodell, in dem Vater und Mutter jeweils 30 Stunden ihrem Beruf nachgehen, sehen im Osten bis zu 30 Prozent als ideal an und im Westen bis zu 27 Prozent. In der Realität spielt es in beiden Landesteilen mit einem Anteil von höchstens sechs Prozent an allen Erwerbskonstellationen aber kaum eine Rolle. „Die Mehrheit der befragten Personen sieht eine gleichberechtigte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern als optimal an – aber die Eltern schaffen es nicht, mit diesem Ideal Schritt zu halten“, fasst Ludovica Gambaro vom BiB die Ergebnisse zusammen.
Steuer- und Transfersystem macht Zuverdienermodell finanziell besonders attraktiv
„Ein wichtiger Grund für die Diskrepanzen ist das deutsche Steuer- und Transfersystem, insbesondere das Zusammenspiel von Ehegattensplitting und Minijobs sowie der beitragsfreien Mitversicherung von Ehepartnerinnen und -partnern in der gesetzlichen Krankversicherung“, erklärt Katharina Wrohlich vom DIW. Hinzu kommt der Gender Pay Gap, also der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern. All dies macht ein Zuverdienermodell, in dem der Mann in Vollzeit erwerbstätig ist und die Frau einen Minijob hat, mit Blick auf das Nettoeinkommen pro geleisteter Arbeitsstunde finanziell am attraktivsten: Unter der Annahme durchschnittlicher Löhne bleiben in diesem Modell netto pro Stunde 17,26 Euro hängen. Wenn beide Elternteile in Vollzeit arbeiten oder beide gleich viel in Teilzeit, sind es mit 14,02 Euro beziehungsweise 14,74 Euro deutlich weniger. Auch die Relation von gemeinsamer Arbeitszeit und dem Nettoeinkommen eines Paares ist im Zuverdienermodell mit Minijob am attraktivsten: Im Vergleich zur Konstellation „Beide Elternteile in Vollzeit erwerbstätig“ gibt es 71 Prozent des Nettoeinkommens für nur 57 Prozent der Arbeitszeit.
Vielfältige Reformen nötig, damit Erwerbs- und Sorgearbeit egalitärer aufgeteilt wird
Wenn die Politik eine gleichere Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit fördern will, müsste den Studienautorinnen zufolge gleich auf mehreren Feldern gehandelt werden. Neben einer Reform des Ehegattensplittings und einer weitgehenden Abschaffung von Minijobs ginge es vor allem auch um eine „bedarfsgerechte Kinderbetreuungsinfrastruktur für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr bis zum Alter von zwölf Jahren“, betont Spieß. „Fehlende Kita-Plätze halten trotz Rechtsanspruch bis heute viele Mütter davon ab, in größerem Umfang erwerbstätig zu sein. Zudem muss der Ausbau von Ganztagsgrundschulen deutlich beschleunigt werden – sonst wird der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für Grundschulkinder ab August 2026 kaum einzulösen sein“, so Spieß.
Quellenangabe: Pressemitteilung Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung