Immunsystem u. soziales Verhalten

Immunsystem u. soziales Verhalten

Biologische Psychologie – Gesundheit – Neurologie

Beeinflusst das Immunsystem unser soziales Verhalten?

Psyche und Immunsystem

15.07.2016 In einer überraschenden Entdeckung, die grundsätzliche Fragen über das menschliche Verhalten aufwirft, haben Forscher der Universität Virginia festgestellt, dass das Immunsystem direkt das soziale Verhalten von Tieren beeinflussen – und sogar – kontrollieren kann, etwa: den Wunsch mit anderen zu interagieren.

Zusammenspiel mit neuropsychiatrischen Erkrankungen?

Könnten also Probleme des Immunsystems zu einer Unfähigkeit beitragen, normale soziale Beziehungen herzustellen? Die Antwort scheint zu sein Ja, und diese Entdeckung hätte eine große Bedeutung für neuropsychiatrische Erkrankungen wie Autismus und Schizophrenie.

Keine Trennung zwischen Gehirn und Immunsystem

Man hat angenommen, dass das Gehirn und das anpassungsfähige Immunsystem voneinander isoliert wären, und jede Immunaktivität im Gehirn wurde als Zeichen einer Pathologie wahrgenommen, sagte Dr. Jonathan Kipnis. „Und nun zeigen wir nicht nur, dass sie eng zusammenarbeiten, sondern auch, dass einige unserer Verhaltensweisen sich entwickelt haben könnten, weil unser Immunsystem auf Pathogene (Krankheitserreger) reagiert.“

„Es ist verrückt, aber vielleicht sind wir nur vielzellige Schlachtfelder für zwei alte Kräfte: Pathogene und das Immunsystem. Ein Teil unserer Persönlichkeit könnte wirklich durch das Immunsystem bestimmt werden.“

Evolutionäre Kräfte bei der Arbeit

Erst im letzten Jahr entdeckte Kipnis Forscherteam, dass die Hirnhaut direkt das Gehirn mit dem lymphatischen System (Teil des Immunsystems) verbindet. Diese Entdeckung veränderte die Lehrmeinung, dass das Gehirn keine direkte Verbindung zum Immunsystem habe und öffnete völlig neue Wege zur Erkenntnis, wie das Gehirn und das Immunsystem aufeinander wirken.

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Bild: kai stachowiak

Die Anschlussbefunde sind ebenfalls bahnbrechend: beleuchten Arbeitsweisen von Gehirn und Evolution.

Die Beziehung zwischen Menschen und den Krankheitserregern könnte direkt die Entwicklung unseres sozialen Verhaltens beeinflusst haben, wodurch wir uns an den – für das Überleben der Art notwendigen – sozialen Interaktionen beteiligen, während Wege für unser Immunsystem entwickelt wurden, die uns vor den Krankheiten schützen, die die sozialen Interaktionen begleiten.

Soziales Verhalten ist natürlich im Interesse von Pathogenen, weil sie sich dadurch ausbreiten können.

Immunsystem-Protein Interferon-gamma

Die Forscher haben bereits zeigen können, dass ein spezifisches Molekül des Immunsystems – Interferon-gamma (hat antivirale, immunstimulierende und Anti-Tumor-Eigenschaften) – für das soziale Verhalten überaus wichtig zu sein scheint, und dass eine Reihe von Tieren wie Fliegen, Zebrafische, Mäuse und Ratten Interferon-gamma-Reaktionen aktivieren, wenn sie sozial tätig sind. Normalerweise wird dieses Molekül vom Immunsystem als Reaktion auf Bakterien, Viren oder Parasiten erzeugt.

Das Blockieren des Moleküls bei Mäusen durch eine genetische Modifikation, machte Gebiete des Gehirns überaktiv, wodurch die Mäuse weniger sozial wurden. Die Instandsetzung des Moleküls stellte die Gehirnkonnektivität und das normale Verhalten wieder her.

Die Forscher bemerken im Fachblatt Nature, dass das Immun-Protein eine „profunde Rolle bei der Aufrechterhaltung der angemessenen sozialen Funktionen spielt.“

Bedeutung für Evolution

Es ist für einen Organismus und für das Überleben der Arten äußerst kritisch, sozial zu sein. Es ist wichtig für Nahrungssuche, sexuelle Fortpflanzung, Sammeln, Jagd, sagte Studienleiter Dr. Anthony J. Filiano.

Die Annahme ist also, wenn Organismen zusammen kommen, breiten sich Infektionen auch eher aus. Sie müssen sozial sein, aber dabei haben Sie eine höhere Wahrscheinlichkeit, Pathogene zu verbreiten. Die Idee ist, dass Interferon-gamma in der Evolution einen effizienteren Weg zu sozialerem Verhalten bei gleichzeitiger Verstärkung antipathogener Reaktionen bietet, sagte er.

Neurologische und psychische Erkrankungen

Die Forscher bemerken, dass ein schlecht funktionierendes Immunsystem für soziale Defizite bei zahlreichen neurologischen und psychischen Störungen verantwortlich sein könnte. Aber was das genau für Autismus und andere bestimmte Erkrankungen bedeuten könnte, müsste erst noch untersucht werden.

Es ist unwahrscheinlich, dass irgendein Molekül für eine Krankheit allein verantwortlich oder den Schlüssel für ein Heilmittel liefern könnte, glauben die Forscher; stattdessen werden die Ursachen wahrscheinlich viel komplizierter sein.

Neue Möglichkeiten

Aber die Entdeckung, dass das Immunsystem – und vielleicht die Krankheitskeime, erweitert betrachtet – unsere sozialen Beziehungen kontrollieren können, ist aufregend und erschreckend zugleich. Sie öffnet jedoch neue Wege zur Behandlung psychischer bzw. neurologischer Erkrankungen und zum besseren psychologischen Verständnis des menschlichen Verhaltens.

Immun-Moleküle definieren tatsächlich, wie das Gehirn agiert, sagte Kipnis. Also, was und wie groß ist der gesamte Einfluss des Immunsystems auf unsere Gehirnentwicklung und Funktionen, fragt er. „Ich denke, dass die philosophischen Aspekte dieser Arbeit sehr interessant sind, aber sie hat potenziell auch sehr wichtige klinische Implikationen.“

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Virginia, Nature – dx.doi.org/10.1038/nature18626; Juli 2016

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