Komplexes Denken (Psychologie)

Komplexes Denken (Psychologie)

Definition

Der Begriff des komplexen Gedankens wurde von dem französischen Philosophen Edgar Morin entwickelt und bezieht sich auf die Fähigkeit, verschiedene Dimensionen der Realität miteinander zu verbinden. Mit der Entstehung von Ereignissen oder multidimensionalen, interaktiven Objekten und mit zufälligen Komponenten sind wir gezwungen, eine Strategie des Denkens zu entwickeln, die nicht einfach oder totalisierend, sondern eher reflexiv ist. Morin nennt diese Fähigkeit komplexes Denken.

Inkongruente Informationen vertiefen komplexes Denken

Was im Denken des Gegenübers passiert, wenn dessen Ansichten infrage gestellt werden.

29.09.2017 Forscher der Universitäten Binghamton und New York State zeigen in einer im Fachblatt American Politics Research veröffentlichten psychologischen Studie, dass Menschen tiefer und komplexer nachdenken und bessere Argumente vorbringen können, wenn sie Informationen erhalten, die im Widerspruch zu ihren eigenen Annahmen stehen.


Bild: Sophie Janotta

Die Forscher konfrontierten 541 Personen mit entweder liberaler oder konservativer politischer Einstellung mit Aussagen eines vorgetäuschten politischen Kandidaten zu den Themen illegale Einwanderung, Wirtschaftskrise und nukleare Entwicklung des Irans.

Die Hälfte der Probanden wurden mit Aussagen konfrontiert, die mit ihren politischen Überzeugungen unvereinbar waren (z. B. wurden Konservative mit liberalen Aussagen konfrontiert und umgekehrt) und die andere Hälfte erhielt Aussagen, die mit ihren Überzeugungen übereinstimmten.

Die Teilnehmer sollten dann ihre unterstützenden und widersprechenden Gedanken zu den Aussagen des Kandidaten mitteilen.

Veränderung des Denkens

Die Ergebnisse zeigten, dass inkongruente (also mit der eigenen Meinung nicht übereinstimmende) Informationen das Denken der Menschen über Politik erheblich veränderten.

Bemerkenswert ist, schreiben die Forscher um Cengiz Erisen, dass die neuen Informationen ihre bestehenden Überzeugungen verstärkten, anstatt die Teilnehmer davon zu überzeugen, ihre Meinung zu ändern, und dass sie die Menschen tatsächlich eher dazu brachten, länger und hartnäckiger nachzudenken, so dass sie tiefgründigere, komplexere Argumente fanden, wie sie ihre eigenen Auffassungen verteidigen konnten.

Unterstützung der eigenen ideologischen Sicht

Die robusten Befunde legen nahe, dass der Widerstand gegen eine konträre Ansicht oder die Unterstützung der eigenen ideologischen Sichtweise eine tiefere und aufwändigere – also komplexere – Informationsverarbeitung auslöst, was dazu führt, dass mehr Gedanken und Begründungen aus dem Gedächtnis abgerufen und verschiedene Dimensionen des Themas erkannt werden, so Erisen.

Dies könnte etwas über die Natur motivierter Argumentation verraten: Menschen widersetzen sich anderen politischen Ansichten, nicht nur durch wenige engstirnige Äußerungen, die den Anderen beschuldigen oder herabsetzen; sie bemühen sich, gegensätzliche Gedanken zu konstruieren, die mehr Inhalt und Umfang haben, schreiben die Wissenschaftler.

Ideologische Auseinandersetzung

Ob sie sich nun der gegensätzlichen ideologischen Aussage widersetzen oder eine Aussage im Einklang mit ihrer eigenen Ideologie unterstützen, die Menschen produzieren Gedanken und Ideen von besserer Qualität, wenn sie ihre Ansichten verteidigen.

D.h. aber auch: Wenn gegensätzliche Argumente aufgefahren werden, denken die Menschen in erster Linie komplexer, um ihre eigenen Standpunkte zu verteidigen. Die Frage ist jetzt wohl auch, ab welchem Punkt – bzw. was psychologisch passieren muss, damit – die eigene Ansicht korrigiert wird.

Bedeutung für die Politik

Erisen glaubt, dass sich die Politik der Folgen ihrer Rhetorik bewusst sein muss.

Je mehr sie die andere Seite missachtet oder sich der widersprüchlichen oder gegensätzlichen politischen Statements widersetzt, desto mehr wird dies die Öffentlichkeit bemerken. Je weniger Informationen ausgetauscht werden, desto größer wird der Konflikt sein, schreibt er.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Binghamton; American Politics Research – dx.doi.org/10.1177/1532673X17725864 ; Sept. 2017

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