Kinderfrei, kinderlos
Sozialer Druck, Stigmatisierung
Sozialpsychologie
Moralische Empörung gegenüber Menschen, die keine Kinder haben möchten
08.03.2017 Die Menschen in den westlichen Industrienationen schieben zunehmend die Entscheidung des Kinderkriegens hinaus oder verzichten sogar gänzlich auf die Elternschaft und bleiben kinderlos.
Laut einer aktuellen Studie des Fachbereichs für Psychologie der Indiana University-Purdue University Indianapolis werden freiwillig kinderlose – also ‚kinderfreie‘ – Menschen für ihre Entscheidung stigmatisiert.
Die Psychologie-Professorin Leslie Ashburn-Nardo untersuchte kürzlich diese moralische Empörung gegen Menschen, die sich entscheiden, keine Kinder zu wollen.
Bild: Rodrigo Fernandez
Moralische Verurteilung
Die Ergebnisse stehen im Einklang mit denen anderer Studien zu ausgeprägten Reaktionen gegenüber Personen, die soziale Rollen und andere stereotypische Erwartungen verletzen.
Wenn Menschen ihr erwartetetes Rollenverhalten verletzen, müssen sie mit sozialem Druck bzw. sozialen Sanktionen rechnen, sagte die Psychologin. Angesichts dessen, dass immer mehr Menschen in den Vereinigten Staaten (und in Europa) beschließen, keine Kinder in die Welt zu setzen, hat diese Arbeit weitreichende Implikationen.
Was die Ergebnisse so bemerkenswert macht, ist die moralische Empörung, die die Teilnehmer gegenüber einem Fremden empfinden, der die Entscheidung trifft, kinderfrei zu bleiben, sagte Ashburn-Nardo. Die Daten legen nahe, dass Kinderlosigkeit, nicht nur als atypisch oder überraschend, sondern auch als moralisch falsch gesehen wird.
Elternschaft als ein moralischer Imperativ
Die Psychologin sagt, dass diese Befunde die ersten bekannten empirischen Belege liefern, dass Elternschaft als ein moralischer Imperativ betrachtet wird.
Kinder zu haben ist offensichtlich eine typischere Entscheidung, deshalb sind die Leute wahrscheinlich auch ’normalerweise‘ überrascht, wenn sie verheiratete / zusammenlebende Erwachsene treffen, die keine Kinder wollen. Dass sie auch empört über kinderfreie Menschen sind, ist das Neue dieser Arbeit, schreibt sie im Fachblatt Sex Roles: A Journal of Research.
In der Studie lasen die Teilnehmer Beschriftungen zu Bildern von verheirateten erwachsenen Personen und schätzten dann den Grad der psychologischen Erfüllung / Verwirklichung der Person und ihre Gefühle für diesen Menschen ein. Die Beschriftung änderte sich nur in Bezug auf das Geschlecht der porträtierten Person, und ob sie beschlossen hätte, Kinder zu bekommen bzw. kinderlos zu bleiben.
Diskriminierung und Fehlverhalten
Im Einklang stehend mit vielen persönlichen Erzählungen schätzten die Teilnehmer freiwillig kinderfreie Männer und Frauen als deutlich weniger erfüllt ein als Männer und Frauen mit Kindern, sagte Ashburn-Nardo.
Dieser Effekt wurde angetrieben durch Gefühle der moralischen Empörung – Wut/Verärgerung, Missbilligung und Ekel – gegenüber den freiwillig kinderfreien Menschen.
Vorherige Forschungsarbeiten haben moralische Empörung mit Diskriminierung und zwischenmenschlichen Fehl-/Misshandlungen verbinden können, sagte die Psychologin.
Es ist möglich, dass kinderfreie Menschen einen ähnlichen sozialen Druck, ähnliche Konsequenzen – abhängig vom Ausmaß der moralischen Empörung, das sie hervorrufen – am Arbeitsplatz oder im Gesundheitswesen erleiden müssen. Dieses demografisch zu erfassen, ist das nächste Ziel der Wissenschaftlerin.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Indiana University-Purdue University Indianapolis, Sex Roles: A Journal of Research – DOI: 10.1007/s11199-016-0606-1; März 2017