Forschung: Ein Drittel der stationären Jugendlichen mit lebensbedrohlicher Anorexie sind nicht dünn und damit atypisch
03.12.2018 Jugendliche mit atypischer Anorexie und Gewichtsverlust sollten eng überwacht werden laut einer im Fachblatt Journal of Adolescent Health veröffentlichte Studie.
Sie ergab dass 31 Prozent der Patienten bzw. Patientinnen mit Anorexia nervosa (Magersucht) alle kognitiven Merkmale und körperlichen Komplikationen der Krankheit hatten, ohne untergewichtig zu sein.
Änderung der diagnostischen Kriterien
Melissa Whitelaw legt eine Änderung der diagnostischen Kriterien für diese Essstörung nahe, nachdem sie festgestellt hat, dass Patienten mit „atypischer Anorexie“ schwerwiegende gesundheitliche Probleme haben, obwohl sie innerhalb oder außerhalb des gesunden Gewichtsbereichs liegen.
Ihre Studie untersuchte 171 Patienten im Alter von 12-19 Jahren, die zwischen 2005 und 2013 in Melbourne, Australien in das Essstörungsprogramm des Royal Children’s Hospital aufgenommen wurden und unter Anorexia nervosa litten. Die Befunde:
- 51 der Patienten waren „atypisch“ mit signifikanter Psychopathologie einer Essstörung, aber nicht untergewichtig.
- Ohne untergewichtig zu sein, wurde ein größerer Gewichtsverlust mit lebensbedrohlich niedrigen Pulsraten in Verbindung gebracht, einer Komplikation des Verhungerns unter Anorexie, die eine Krankenhausaufnahme erfordert.
- Personen mit atypischer Anorexia nervosa litten ebenfalls unter niedrigem Blutdruck und gestörten Blutelektrolyten.
- Wichtig: Keine der Komplikationen waren unabhängig mit Untergewicht verbunden – dem Erkennungsmerkmal der Magersucht.
- Keiner der Teilnehmer der Studie wurde von einer Ärztin oder einem Arzt auf Gewichtsabnahme, der Verbindung zum Essen oder den Abnehm-Methoden überwacht.
Atypische AnorektikerInnen in der Abwärtsspirale
Whitelaw sagte, dass atypische AnorektikerInnen möglicherweise von Familienangehörigen oder Angehörigen der Gesundheitsberufe ermutigt würden, Gewicht zu verlieren, was häufig zu einer positiven Verstärkung und Ermutigung darüber führte, wie gut sie aussahen. Lob für das Abnehmen und die Fähigkeit, trendigere Kleidung zu tragen, könnte wiederum dazu angetrieben haben, mehr Gewicht zu verlieren.
Hungermodus: langsamere Herzfrequenz
Verlieren atypische Anorexie-Patienten etwa ein Viertel ihres Körpergewichts, könnte der Körper schon in den „Hungermodus“ übergehen, wenn nur 10 Prozent des Gewichts schnell verloren gehen, was dazu führt, dass die Herzfrequenz langsamer wird, um Energie zu sparen.
Whitelaw sagte, dass atypische Magersucht allgemein als weniger schwer wahrgenommen wird als typische Anorexie, aber ihre Forschung zeigt, dass die gesundheitlichen Folgen genauso gefährlich sein könnten, und es ist an der Zeit, die aktuellen diagnostischen Kriterien zu ändern, die besagen, dass die Magersüchtigen untergewichtig sein müssen.
Atypische können ebenfalls schwerkrank sein
Man kann ein gesundes Körpergewicht haben, aber genauso krank sein wie jemand mit typischer Anorexia nervosa, einschließlich der gleichen Gedanken über Essen und Trinken, sagte sie. Die Magersucht muss neu definiert werden, denn ein zunehmender Anteil der Patienten mit Anorexie ist atypisch und schwieriger zu erkennen. Die Definition sollte sich auf die Gewichtsabnahme beziehen, nicht nur auf Untergewicht.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Journal of Adolescent Health – https://dx.doi.org/10.1016/j.jadohealth.2018.08.019
Normales Körpergewicht kann Anorexie bei Heranwachsenden verdecken
07.11.2019 Jugendliche und junge Erwachsene mit atypischer Magersucht können ein normales Körpergewicht haben und trotzdem ernsthaft krank sein laut einer Forschungsarbeit der Universitäten Stanford und California-San Francisco.
Große, schnelle Gewichtsabnahme ist der beste Indikator für medizinische und psychologische Probleme bei PatientInnen mit atypischer Anorexia nervosa – nicht ihr Körpergewicht bei der Diagnose – laut der in Pediatrics veröffentlichten Studie.
Andrea K. Garber und Kollegen untersuchten die Gewichtsentwicklung und die Schwere der Erkrankung bei Patienten im Alter von 12 bis 24 Jahren mit Anorexia nervosa (66 Patienten) und atypischer Anorexie (50 Patienten).
Gewichtsverlauf; Herzfrequenz
Es wurden die Zusammenhänge zwischen Gewichtsverlauf und Markern der Krankheitsschwere bei der Aufnahme untersucht. Die Teilnehmer waren zu 91 Prozent Frauen mit einem Durchschnittsalter von 16,5 Jahren.
Die Forscher beobachteten keine Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich Gewichtsentwicklung oder der Herzfrequenz bei der Aufnahme. In der Gruppe der atypischen Magersüchtigen lag der Gesamtscore des Fragebogens zur Untersuchung von Essstörungen höher.
Unabhängig vom Aufnahmegewicht war eine niedrigere Herzfrequenz mit einem schnelleren Gewichtsverlust verbunden, und ein niedrigerer Serumphosphor war mit einem größeren Gewichtsverlust und einer längeren Dauer verbunden.
Wenn aus übergewichtigen Jugendlichen magersüchtige werden
Der größere Zusammenhang ist, dass sich in den letzten 30 Jahren die Prävalenz von jugendlicher Adipositas vervierfacht hat, und den Heranwachsenden wird gesagt, sie sollen Gewicht verlieren, ohne dass ihnen Werkzeuge an die Hand gegeben werden, dies auf gesunde Weise zu tun, schreiben die Autoren in einer Erklärung.
Adipöse Jugendliche, die ungesundes Verhalten an den Tag legen – wie z.B. starke Nahrungseinschränkung und extremen Sport, hören zunächst Lob für eine Gewichtsabnahme oder ihnen wird gesagt, dass sie sich keine Sorgen um Essstörungen machen sollen, weil sie nicht untergewichtig sind. Bis sie dann einen Arzt aufsuchen, haben sie enorm an Gewicht verloren, ihre Vitalparameter sind instabil und sie müssen ins Krankenhaus eingeliefert werden, schließen die Forscher.
Die Ergebnisse detaillierter
- Vor der Entwicklung einer Essstörung hatten Patientinnen mit atypischer Anorexie ein höheres Gewichts-zu-Längen-Verhältnis als typische Patientinnen.
- Während ihrer Krankheit verloren die Patientinnen in beiden Gruppen die gleiche Menge an Gewicht, durchschnittlich knapp 14 kg über 15,9 Monate.
- Die beiden Gruppen hatten gleichermaßen schlechte Vitalparameter, darunter eine niedrige Herzfrequenz und niedrige Elektrolyte.
- Das Ausbleiben der Menstruation, eine Nebenwirkung von Magersucht, war in beiden Gruppen gleichermaßen verbreitet.
- Einige Mitglieder beider Gruppen hatten auch einen sehr niedrigen Blutdruck, obwohl dies bei Patientinnen mit typischer Anorexie häufiger der Fall war.
- Atypische Patientinnen hatten im Durchschnitt schwerwiegendere psychische Symptome.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Pediatrics – DOI: https://doi.org/10.1542/peds.2019-2339