01.07.2024 Vom Amateurtheater bis zur Landesbühne – welche Theater gibt es in peripheren ländlichen Räumen und welches Publikum erreichen diese? Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Birgit Mandel und ihr Team haben erstmalig Theater und ihr Publikum in ländlichen Räumen erforscht: Welche Anbieter gibt es, was sind Motive um Theaterangebote zu nutzen und wodurch unterscheidet sich das Publikum in ländlichen von dem in städtischen Räumen? In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt untersuchten die Wissenschaftler*innen, wie die Theater ihre Besucher*innen erreichen – und was sie dahingehend verbessern können.
Die Hälfte der Deutschen geht nie ins Theater.* Hingegen besucht nur eine einstellige Prozentzahl regelmäßig Theaterstücke. Was sind die Gründe dafür? In der Kulturforschung weiß man: Es ist vor allem fehlendes Interesse, das auf alternative Freizeitmöglichkeiten, eine mangelnde kulturelle Prägung durch Schule oder Elternhaus sowie die ineffektive Öffentlichkeitsarbeit von Theatern zurückzuführen ist. Daneben spielen auch „zu wenig Zeit“, fehlende Begleitpersonen und zu hohe Ticketkosten eine Rolle.
In den bisherigen Studien wurden aber nur städtische Besucher*innen oder aber ein bundesweiter Durchschnitt untersucht. Was dagegen Theatergänger*innen aus ländlichen Regionen denken – da herrscht größtenteils noch Unwissenheit. Jetzt hat ein Forscherteam der Universitäten Hildesheim und Göttingen (Prof. Dr. Birgit Mandel und Nele Gittermann von der Universität Hildesheim und Prof. Dr. Kilian Bizer und Dario Gödecke von der Universität Göttingen) auch diese Gruppe näher in den Blick genommen. Dies erfolgte im Rahmen einer repräsentativen Besucherstudie für die Region Südniedersachsen. „Dabei wurde deutlich, dass das Publikum aus ländlichen Regionen sich tendenziell dadurch unterscheidet, dass es sozial heterogener ist und nicht nur die Menschen mit hohem Bildungsniveau erreicht werden, sondern vor allem die Amateurbühnen die ganze Bandbreite der Bevölkerung zu Gast haben“, betont Prof. Dr. Birgit Mandel, Professorin für Kulturvermittlung und Kulturmanagement an der Universität Hildesheim.
Warum gehen Menschen ins Theater?
Die Befragung von rund 6.000 Theaterbesucher*innen in Niedersachsen zeigt: Zu den drei häufigsten Gründen für einen Theaterbesuch gehören
- Eine Auszeit vom Alltag zu haben und ein Kunsterlebnis zu genießen.
- Die Energie und Atmosphäre einer Live-Aufführung zu spüren.
- Eine gute Zeit mit Freund*innen, Familie oder Bekannten zu verbringen oder Teil einer gemeinschaftlichen Erfahrung zu sein.
Besucher*innen aus ländlichen Regionen gewichten die sozialen Gründe signifikant noch stärker. „Man geht ins Theater, weil man dort Bekannte, Freunde oder Familie trifft und zusammen etwas Schönes unternehmen möchte. Zudem möchte man die Akteure, die man häufig persönlich kennt, unterstützen“, berichtet Prof. Dr. Birgit Mandel.
Wer sind Theaterakteure in ländlichen Räumen und wie binden sie ihr Publikum?
Es gibt auch in ländlichen Räumen eine große Vielfalt an Akteuren, die Theater anbieten: Die öffentlichen Landesbühnen mit ihren Gastspielen wie das Theater für Niedersachsen Hildesheim, die privaten Gastspieltheater (wie das Ohnsorg-Theater aus Hamburg), die Freie Szene und auch viele Amateurtheater.
Vor allem die Amateurtheater haben keine Probleme ihr Publikum zu finden und zu binden, denn es sind meist Verwandte, Freunde und Bekannte der Mitspielenden. Die Aufführungen sind zugleich ein soziales Event für die Dorfgemeinschaft, bei dem am Schluss gemeinsam gefeiert wird. Außerdem wählen sie solche Programme und Stoffe, die dem Publikum vor Ort mehrheitlich Spaß machen und gute Unterhaltung versprechen (vor allem Komödien).
Aber auch die privaten Gastspieltheater ebenso wie die Landesbühnen und Freie Szene bemühen sich, ihr Publikum zu erreichen, indem sie Kontakte zu örtlichen Mittlern aufbauen, in Schulen vermitteln, örtliche Amateurvereine in ihre Stücke einbinden oder in Dorfgaststätten spielen. „Dennoch gibt es Defizite in der Öffentlichkeitsarbeit der Gastspielhäuser, die oft nicht ankommt in den ländlichen Räumen“, ergänzt Prof. Dr. Birgit Mandel. Auch geeignete Räume und Aufführungsorte sind für Gastspieltheater, vor allem aber auch für Amateurbühnen in ländlichen Regionen, oft schwer zu finden.
Das Durchschnittsalter der knapp 6.000 Befragten liegt bei mehr als 50 Jahren. Theater versuchen deswegen verstärkt eine jüngere Zielgruppe zu erreichen. Denn diese spielt für den Erhalt von Theatern eine erhebliche Rolle: Im Kindes- und Jugendalter hat kulturelle Bildung einen starken nachhaltigen Effekt auf das gesamte Leben. Wer im Kindesalter positive Erfahrungen mit Theater gemacht hat, wird sich auch später dafür interessieren. Das spricht für enge Kooperationen der Theater mit den Schulen. Eine weitere Herausforderung für die Amateurtheater besteht darin, Nachwuchsschauspieler*innen für ihre Gruppen zu finden. Auch hier wäre eine enge Anbindung an die lokalen Schulen hilfreich.
Quellenangabe: Pressemitteilung Universität Hildesheim
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