Überwindung von (musikalischen) Grenzen durch Untersuchung der Dynamik der Ereignissegmentierung im Gehirn beim Hören von Musik

27.08.2024 Was passiert im Gehirn, wenn eine musikalische Phrase endet und eine andere beginnt? Die Antwort liegt in den musikalischen Grenzen – den unsichtbaren Linien, die unser Hörerlebnis prägen.
Forscher der Universität Jyväskylä (Finnland) haben neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie das Gehirn musikalische Grenzbereiche verarbeitet – die Punkte in der Musik, an denen eine Phrase endet und eine neue beginnt – und dabei untersucht, ob es einen Unterschied macht, Musiker zu sein.
Die Studie, die von der Postdoc-Forscherin Iballa Burunat zusammen mit den Professoren Daniel Levitin und Petri Toiviainen (die zufällig alle sowohl Neurowissenschaftler als auch Musiker sind) geleitet wurde, ist in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht worden. Durch die Analyse von fMRI-Reaktionen von Musikern und Nicht-Musikern beim Hören von Musik fanden sie signifikante Unterschiede in der Gehirnaktivität an musikalischen Übergängen.
Ähnlich wie wir natürlich gesprochene Sprache in Sätze zerlegen, um eine Bedeutung abzuleiten, erkennen und verarbeiten Menschen auch musikalische Grenzen, um musikalische Kompositionen zu verstehen. Die Fähigkeit, diese Grenzen zu erkennen und zu verarbeiten, ist von entscheidender Bedeutung für ein kohärentes Verständnis von Musik und für die Freude an ihr, aber auch für unsere Fähigkeit, uns an sie zu erinnern.
„Ohne erkennbare Segmente würde der Musik ein Sinn für Form fehlen, sie würde sich wie ein endloser, chaotischer Strom von Klängen anfühlen, ähnlich wie das Lesen eines Textes ohne Interpunktion oder Pausen zwischen den Sätzen, was es schwierig macht, der Erzählung zu folgen“, erklärt Dr. Burunat.
Die Grenzwahrnehmung ist eine Fähigkeit, die über die Musik hinausgeht: Sie beeinflusst, wie wir verschiedene Aspekte unseres täglichen Lebens wahrnehmen und interpretieren, z. B. das Verstehen von Sprache, die Steuerung sozialer Interaktionen und das Befolgen komplexer Anweisungen – alles Aufgaben, bei denen Informationen in kleinere Stücke zerlegt werden müssen, um sie zu verstehen. Bei Musik ist das nicht anders.
„Wenn wir Musik hören, erkennt unser Gehirn ständig Muster und antizipiert, was als Nächstes kommt. Die Fähigkeit, musikalische Begrenzungen zu verarbeiten, hilft uns also, die musikalische Struktur und Bedeutung zu verstehen“, erklärt Burunat.
Die Aktivität im Gehirn
Die Studie ist auch wegen ihres Ansatzes zur Untersuchung dieser Phrasenübergänge von Bedeutung: Sie versucht, die realen Bedingungen so gut wie möglich zu simulieren, indem sie die Teilnehmer reale Musik verschiedener Genres hören lässt und die Teilnehmer während des Hörexperiments keine Selbstauskünfte geben müssen.
„In unserer Studie wurden unterschiedliche Muster der Gehirnaktivität an musikalischen Grenzen festgestellt. Wenn wir uns einem Übergang nähern, bereiten sich die posterioren auditiven Bereiche auf den Übergang vor. Während und nach dem Übergang verlagert sich die Hirnaktivität in die mittleren und anterioren auditiven Regionen, um die neuen Informationen zu verarbeiten, wobei die frontalen Regionen merklich deaktiviert werden“, erklärt Burunat.
„Diese dynamische Verarbeitung ähnelt der Art und Weise, wie wir Sätze in der Sprache analysieren; ähnlich wie bei der Sprachverarbeitung werden bei musikalischen Phrasen gemeinsame neuronale Substrate aktiviert, die an der syntaktischen Verarbeitung und der Regelerkennung beteiligt sind.“
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Musiker und Nicht-Musiker
„Wir haben auch beobachtet, dass Musiker und Nicht-Musiker diese beiden Netzwerke auf subtil unterschiedliche Weise aktivieren. Musiker verlassen sich in erster Linie auf spezialisierte Netzwerke für die auditive Verarbeitung, während Nicht-Musiker ein breiteres, allgemeineres Netzwerk nutzen, um musikalische Grenzbereiche zu erfassen. Dies verdeutlicht die bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit des menschlichen Gehirns darauf, wie Expertise die Verarbeitung von Klängen gestalten und verfeinern kann.“
Diese Forschung erweitert unser Verständnis darüber, wie das Gehirn Musik wahrnimmt, und unterstreicht die Rolle von Expertise bei der Verfeinerung der neuronalen Verarbeitung, während sie gleichzeitig Wege für die Erforschung möglicher musikbasierter Therapien für das Sprachverständnis eröffnet, schließen die Forscher.
© Psylex.de – Quellenangabe: Proceedings of the National Academy of Sciences (2024). DOI: 10.1073/pnas.2319459121
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