Die Erstellung von Mikroglia-Transkriptionsprofilen bei schweren depressiven Störungen zeigt eine Hemmung der Mikroglia in der kortikalen grauen Substanz
22.05.2023 Menschen mit Depressionen haben weniger aktive Mikrogliazellen laut einer neuen in Biological Psychiatry veröffentlichten Studie des Netherlands Institute for Neuroscience. Was bedeutet das?
Eine neue Studie von Karel Scheepstra und seinem Team unter der Leitung von Inge Huitinga und Jörg Hamann untersuchte postmortales menschliches Hirngewebe von Menschen mit Depressionen. Dieses Hirngewebe stammt von kürzlich verstorbenen Spendern, die ihre Gehirne der niederländischen Hirnbank für Psychiatrie (NHB-Psy) gespendet haben. Und was haben sie gefunden?
Eine bestimmte Art von Immunzellen in unserem Gehirn – die sogenannten Mikrogliazellen – sind bei Menschen mit Depressionen weniger aktiv. Entgegen den Erwartungen tritt sogar das Gegenteil einer Entzündung ein: Die Immunzellen werden gehemmt.
Neuronen beeinflussen Mikroglia
Mikrogliazellen sind wichtig, weil sie die Kontaktstellen zwischen den Neuronen (Synapsen) aufrechterhalten und so dazu beitragen, dass die Neuronen effizient miteinander kommunizieren. Darüber hinaus suchen Mikrogliazellen das zentrale Nervensystem ständig nach beschädigten Neuronen, Synapsen und Krankheitserregern ab. In den Proben von Menschen mit Depressionen zeigten nur Mikrogliazellen in der Nähe von Neuronen eine verringerte Aktivität.
Das Team untersuchte daher, ob die Neuronen bei Depressionen Signale an die Mikrogliazellen senden und diese dadurch weniger aktiv werden. Und dies war tatsächlich der Fall.
Karel Scheepstra (an der Studie beteiligter Forscher, der auch als Psychiater am Amsterdamer UMC arbeitet) sagt: „Bei der Studie verwendeten wir frisches Gewebe unmittelbar nach dem Tod, um Mikroglia zu isolieren und verglichen diese zwischen depressiven Menschen und Kontrollpersonen. Wir konnten bei depressiven Patienten abnorme Mikroglia feststellen, wobei die größten Abnormitäten bei den Patienten zu beobachten waren, die kurz vor dem Tod am stärksten depressiv waren.“
„Interessanterweise wurden Abnormalitäten nur in der grauen Substanz und nicht in der weißen Substanz des Gehirns festgestellt. Das deutet darauf hin, dass es wahrscheinlich eine Wechselwirkung zwischen den Mikroglia und den Strukturen in der grauen Substanz gibt: den Neuronen und Synapsen.“
„Wir haben auch die Art der Veränderungen untersucht. Wir stellen seit Jahren die Hypothese auf, dass Depressionen mit einer Entzündung des Gehirns einhergehen, aber jetzt sehen wir genau das Gegenteil: keine Neuroinflammation, sondern eher eine immunsupprimierte Art von Mikroglia. Wir nannten sie ‚depressive Mikroglia‘ und fragten uns, wie genau das möglich ist. Die Proteine CD200 und CD47 befinden sich auf Gehirnzellen und Synapsen“.
„Sie interagieren mit Mikroglia und sind sozusagen eine Art ‚friss mich nicht‘-Signal. Was wir beobachtet haben, ist, dass diese Proteine erhöht waren, was zu einer Unterdrückung der Mikroglia führte und sie so möglicherweise daran hinderte, geschädigte Verbindungen zu räumen.“
Neuroplastizität
„Man nimmt an, dass Depressionen etwas mit einer Veränderung der Neuroplastizität zu tun haben: der Fähigkeit, neue Verbindungen zwischen Neuronen herzustellen. Ein relativ neues Antidepressivum ist Esketamin, ein Medikament, das in diesen Prozess eingreift und dafür sorgt, dass wieder mehr Verbindungen entstehen. In dieser Studie zeigen wir, dass die Interaktion zwischen Neuronen und Mikroglia gestört ist. Der nächste Schritt wäre, herauszufinden, was genau die Folgen der inaktiven Mikroglia für die Aufrechterhaltung und Bildung von Verbindungen zwischen Neuronen sind.“
„Wenn wir wissen, wo in diesem Prozess etwas schief läuft, kann dies Ansatzpunkte für neue Medikamente liefern. Können wir diese Mikroglia wieder aktiver machen? Und welche Auswirkungen hat das auf den Krankheitsverlauf? Bislang haben wir gezeigt, dass die Gehirne von Menschen, die während ihres Lebens depressiv waren, eine veränderte Zellaktivität aufweisen. Das gibt uns ein besseres Verständnis dafür, was schief läuft, und darauf können wir dann aufbauen.“
© Psylex.de – Quellenangabe: Biological Psychiatry (2023). DOI: 10.1016/j.biopsych.2023.04.020
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