Eine Lernerfahrung? Freude beim ersten Mal und die geschlechtsspezifische Diskrepanz beim sexuellen Verlangen unter jungen Erwachsenen
21.02.2022 Für die meisten Menschen ist das erste Mal ein bedeutungsvolles und unvergessliches Erlebnis.
Psychologin Diana Peragine von der University of Toronto Mississauga und Kollegen berichten jedoch im Fachblatt Journal of Sex Research, dass diese Erfahrung auch dauerhafte Auswirkungen auf das sexuelle Verlangen einer heterosexuellen Frau im späteren Leben hat.
Schwächerer Trieb bei den Frauen?
Die gängige Auffassung besagt, dass Frauen einen schwächeren Sexualtrieb haben als Männer, dass der Unterschied in der Libido groß und über die gesamte Lebensspanne hinweg stabil ist, weil Frauen von Natur aus weniger Lust auf Sex haben als Männer, erklärt Pergaine.
Die Studie umfasste 838 heterosexuelle Erwachsene, viele davon vom UTM-Campus, und ergab, dass sich Frauen nur dann in ihrem Wunsch nach Sex in der Partnerschaft von Männern unterscheiden, wenn ihre erste sexuelle Erfahrung nicht angenehm war, d. h. wenn es beim „ersten Mal“ keinen Orgasmus gab.
Frauen gaben im Vergleich zu Männern mit halb so hoher Wahrscheinlichkeit an, beim ersten Geschlechtsverkehr befriedigt woden zu sein, und hatten mit etwa achtmal geringerer Wahrscheinlichkeit einen Orgasmus, sagt Peragine. Frauen, die beim ersten Mal einen Orgasmus hatten, waren stärker an Sex in der Partnerschaft interessiert und ihr aktuelles Verlangen war danach gleich hoch wie das der Männer.
Wichtigkeit der ersten Erfahrungen
Dies legt nahe, wenn erste Erfahrungen eine wichtige Lektion sind, dann ist der erste Geschlechtsverkehr keine Ausnahme. Er kann für viele als ‚Lernerfahrung‘ dienen und ist wichtig für die Entwicklung der Erwartung, dass Sex angenehm sein kann, und für die Überzeugung, dass wir es verdienen und ein Recht darauf haben, ihn zu genießen, sagt sie.
Die Studie ergab auch, dass die erste sexuelle Erfahrung der Männer keinen offensichtlichen Einfluss auf ihr aktuelles sexuelles Verlangen hat.
Die Ergebnisse sprechen nicht wirklich für feste geschlechtsspezifische Unterschiede im sexuellen Verlangen, sondern lassen die Möglichkeit zu, dass ein sexuelles Debüt ohne Orgasmus ein häufiger Teil der sexuellen Sozialisation von Frauen ist, der sie von sexueller Aktivität abhält, sagt Peragine. „Es ist ein sexuelles Debüt, das eher frustrierend als belohnend ist“.
Frühere Forschungen hatten gezeigt, dass Männer eher als Frauen unter Problemen mit hohem sexuellen Verlangen leiden, während Frauen eher Probleme mit geringem sexuellen Verlangen haben, und dass die Kluft zwischen gesundem männlichen und weiblichen Verlangen auch im Erwachsenenalter bestehen bleibt – was den Mythos bestätigt, dass Frauen von Natur aus einen schwächeren Sexualtrieb haben als Männer.
Früher gab es die Vorstellung, dass sexuelles Verlangen wie Hunger oder Durst von innen kommt und spontan auftritt, sagt Peragine. Aber nun wissen wir, dass es dynamischer ist und auf Erfahrungen beruht, und dass lohnende sexuelle Erfahrungen unsere sexuellen Erwartungen prägen.
© Psylex.de – Quellenangabe: The Journal of Sex Research (2022). DOI: 10.1080/00224499.2022.2027855
Ähnliche Artikel / News / Themen
- Artikel zur Sexualpsychologie
- Paartherapie zur Verbesserung des sexuellen Verlangens. Durchführbarkeit einer kognitiv-behavioralen Paartherapie bei Störungen des sexuellen Interesses und der sexuellen Erregung