Musikinterventionen bei 132 gesunden älteren Erwachsenen verbessern die graue Substanz des Kleinhirns und das auditive Arbeitsgedächtnis trotz genereller Hirnatrophie
18.04.2023 Der normale Alterungsprozess ist mit einem fortschreitenden kognitiven Abbau verbunden. Aber können wir unser Gehirn trainieren, um diesen Prozess zu verzögern? Ein Team der Universität Genf (UNIGE), der HES-SO Genf und der EPFL hat herausgefunden, dass das Musizieren und Hören von Musik den kognitiven Abbau bei gesunden Senioren aufhalten kann, indem es die Produktion der grauen Substanz anregt.
Um diese Ergebnisse zu erzielen, haben die Forscher mehr als 100 pensionierte Personen beobachtet, die noch nie Musik gemacht hatten. Sie nahmen sechs Monate lang an einem Klavier- und Musikbewusstseinstraining teil. Diese Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven für die Unterstützung des gesunden Alterns. Sie wurden in NeuroImage: Reports veröffentlicht.
Im Laufe unseres Lebens baut sich unser Gehirn um. Die Morphologie und die Verbindungen des Gehirns verändern sich je nach Umgebung und Erfahrungen, zum Beispiel wenn wir neue Fähigkeiten erlernen oder die Folgen eines Schlaganfalls überwinden. Mit zunehmendem Alter nimmt diese „Gehirnplastizität“ jedoch ab. Das Gehirn verliert auch an grauer Substanz, in der sich unsere wertvollen Neuronen befinden. Dies wird als „Hirnatrophie“ bezeichnet.
Allmählich kommt es zu einem kognitiven Abbau. Das Arbeitsgedächtnis, das den Kern vieler kognitiver Prozesse bildet, ist eine der kognitiven Funktionen, die am meisten leiden. Das Arbeitsgedächtnis ist definiert als der Prozess, bei dem wir Informationen kurzzeitig behalten und verarbeiten, um ein Ziel zu erreichen, z. B. eine Telefonnummer lange genug zu behalten, um sie aufzuschreiben oder einen Satz aus einer Fremdsprache zu übersetzen.
Eine von der UNIGE, der HES-SO Genf und der EPFL durchgeführte Studie hat ergeben, dass das Praktizieren von Musik und aktives Zuhören den Abbau des Arbeitsgedächtnisses verhindern kann. Solche Aktivitäten förderten die Plastizität des Gehirns und wurden mit einer Zunahme des Volumens der grauen Substanz in Verbindung gebracht. Es wurden auch positive Auswirkungen auf das Arbeitsgedächtnis gemessen. Diese Studie wurde mit 132 gesunden Personen im Ruhestand im Alter von 62 bis 78 Jahren durchgeführt. Eine der Bedingungen für die Teilnahme war, dass sie in ihrem bisherigen Leben nicht länger als sechs Monate Musikunterricht genommen hatten.
Musik machen vs. Musik hören
Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip zwei Gruppen zugewiesen, unabhängig von ihrer Motivation, ein Instrument zu spielen. Die zweite Gruppe erhielt Unterricht im aktiven Hören, der sich auf die Erkennung von Instrumenten und die Analyse musikalischer Eigenschaften in einer Reihe von Musikstilen fokussierte. Der Unterricht dauerte eine Stunde. Die Teilnehmer beider Gruppen sollten jeden Tag eine halbe Stunde lang Hausaufgaben machen.
„Nach sechs Monaten fanden wir gemeinsame Effekte für beide Interventionen. Die Neurobildgebung zeigte bei allen Teilnehmern eine Zunahme der grauen Substanz in vier Hirnregionen, die an hochrangigen kognitiven Funktionen beteiligt sind, darunter auch Bereiche des Kleinhirns, die am Arbeitsgedächtnis beteiligt sind. Ihre Leistung stieg um 6 %, und dieses Ergebnis stand in direktem Zusammenhang mit der Plastizität des Kleinhirns“, erklärt Studienautorin Clara James von der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften der UNIGE. Die Wissenschaftler fanden auch heraus, dass die Qualität des Schlafs, die Anzahl der Unterrichtsstunden im Verlauf der Intervention und die tägliche Trainingsmenge einen positiven Einfluss auf den Grad der Leistungsverbesserung hatten.
Allerdings stellten die Forscher auch einen Unterschied zwischen den beiden Gruppen fest. Bei den Pianisten blieb das Volumen der grauen Substanz im rechten primären auditorischen Kortex – einer Schlüsselregion für die Klangverarbeitung – stabil, während es bei der Gruppe der aktiven Zuhörer abnahm. „Darüber hinaus war bei allen Teilnehmern ein globales Gehirnmuster der Atrophie vorhanden. Daher können wir nicht schließen, dass musikalische Interventionen das Gehirn verjüngen. Sie verhindern nur die Alterung in bestimmten Regionen“, sagt Studienautor Damien Marie.
© Psylex.de – Quellenangabe: Neuroimage: Reports (2023). DOI: 10.1016/j.ynirp.2023.100166
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