Räumlich-zeitlich gegliederte frontotemporale Netzwerke für das Lesen von Sätzen
18.04.2023 Wenn jemand einen Satz liest, werden zwei verschiedene Netzwerke im Gehirn aktiviert, die zusammenarbeiten, um die Bedeutungen der einzelnen Wörter zu integrieren und eine komplexere, übergeordnete Bedeutung zu erhalten laut einer in Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlichten Studie der University of Texas Health Science Center at Houston.
„Diese Studie hilft uns, besser zu verstehen, wie verteilte Knotenpunkte im Sprachnetzwerk des Gehirns zusammenarbeiten und interagieren, damit wir komplexe Sätze verstehen können“, sagt Studienautor Dr. Oscar Woolnough. „Unser Gehirn ist in bemerkenswerter Weise vernetzt, und damit wir Sprache verstehen können, muss eine präzise Abfolge von schnellen, dynamischen Prozessen an mehreren Stellen in unserem Gehirn ablaufen.“
Um die spezifischen Rollen und Interaktionen der am Lesen beteiligten Hirnareale zu ermitteln, führte das Forscherteam Aufzeichnungen von Gehirnen von Patienten durch, denen zur Lokalisierung von Epilepsie chirurgisch Elektroden eingesetzt worden waren. Die neuronale Aktivität dieser Patienten wurde gemessen, während sie drei Arten von Sätzen lasen: normale Sätze, „Jabberwocky“-Sätze (nach Lewis Carrolls „Jabberwocky“-Gedicht), die zwar eine korrekte Grammatik und Syntax verwenden, aber unsinnige Wörter enthalten, so dass sie bedeutungslos sind, und Listen von Wörtern oder unsinnigen Wörtern.
Zwei Netzwerke im Gehirn
Anhand dieser Aufzeichnungen identifizierten sie zwei Gehirnnetzwerke, die eine Schlüsselrolle beim Leseprozess spielen. Ein Netzwerk umfasst eine Region des Frontallappens des Gehirns, die Signale an den Temporallappen sendet, der eine zunehmende Aktivierung zeigt, wenn eine Person eine komplexe Bedeutung entlang der Länge eines Satzes aufbaut.
Das zweite Netzwerk umfasst eine andere Region des Schläfenlappens des Gehirns, die Signale an einen Bereich des Frontallappens sendet, der es ermöglicht, den Kontext eines Satzes zu verstehen und so jedes neue gelesene Wort leichter zu erfassen und zu verarbeiten.
„Implantierte Elektroden im Gehirn geben uns einen unvergleichlichen Einblick in das Innenleben des menschlichen Geistes, insbesondere bei schnellen Prozessen wie dem Lesen. Unsere Arbeit macht deutlich, dass die meisten Prozesse – z. B. das Verstehen oder die Spracherzeugung – nicht in einer einzigen Region stattfinden, sondern am besten als sehr flüchtige Zustände zu verstehen sind, die von vielen verschiedenen Bereichen des Gehirns durch sehr kurze, aber entscheidende Interaktionen erreicht werden“, sagt Studienautor Nitin Tandon.
© Psylex.de – Quellenangabe: Proceedings of the National Academy of Sciences (2023). DOI: 10.1073/pnas.2300252120