Rituale gegen Angst (Psychologie)

Rituale gegen Angst

Angst – Psychologie

Angst und ritualisiertes Verhalten

Oder: Warum wir auf Stress und Angst mit Ritualen reagieren

26.06.2015 Forscher der Universität Connecticut haben den ersten wissenschaftlichen Beleg für die Verbindung zwischen Angst und sich wiederholendem Verhalten in der Zeitschrift Current Biology präsentiert.

Bewältigungsstrategien zur Angstlinderung

Die Studie ‚Die Effekte von Angst auf spontanes ritualisiertes Verhalten‘ hat herausgefunden, dass Stress Verhaltensweisen hervorrufen kann, die als Bewältigungsstrategien zur Angstreduzierung dienen können. Dieser Zusammenhang verhilft zu einem besseren Verständnis von psychiatrischen Erkrankungen wie z.B. Autismus und vor allem Zwangsstörungen.

Obwohl der Zusammenhang seit vielen Jahren in der Psychologie vermutet wird, konnten erst durch diese Studie mit modernen Bewegungssensoren die ersten eindeutigen Belege geschaffen werden laut Studienautor Martin Lang.

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Bild: Gerd Altmann

Stress in unsicheren Situationen

Die Theorie dahinter ist: Wenn Menschen mit unsicheren oder unkontrollierbaren Situationen konfrontiert werden, stresst es sie, weil sie nicht vorhersagen können, was geschehen wird, sagt Lang.

Menschen möchten vorhersagen und sich dem anpassen können, was geschehen wird. Deswegen glauben sie, dass Rituale ihnen helfen könnten, die Kontrolle über ihre Umgebung zu bekommen.

Das Experiment

Für die Studie wurden 62 männliche und weibliche Teilnehmer zufällig einer von zwei Gruppen zugeteilt: In der einen wurde starke Angst (durch die Vorbereitung auf das Halten einer Rede über eine Metallskulptur vor einem Expertengremium) in der anderen geringere Angst (nur Vorbereitung) ausgelöst.

Beide Gruppen wurden am Ende ihrer Aufgabe gebeten, die Skulptur zu reinigen. Alle Teilnehmer trugen ein Herzfrequenz-Messgerät und einen Handgelenk-Beschleunigungsmesser, um die Handbewegungen während des Reinigungsprozesses zu messen.

Rituale

Die Forscher nahmen an, dass Reinigungsprozesse – wie Hände waschen oder ein Weinglas abwischen, optimal messbare Aktivitäten wären. Denn diese sind oft Teil religiöser Rituale oder ausgeprägte Verhaltensweisen bei Zwangsstörungen; und sie sind die am meisten beobachteten Rituale, sagte Lang.

Die Studie fand heraus, dass die Teilnehmer der Gruppe mit der größeren Angst (diejenigen, die eine Rede halten sollten) mehr Zeit mit der Reinigung der Skulptur verbrachten und mehr von denselben sich wiederholenden Handbewegungen einsetzten als diejenigen, die keine Rede halten sollten.

„Es ist die Verbindung zwischen klassischer Theorie und neuer Technologie“, sagt Lang.

Erklärung

Der Wunsch, die Kontrolle über die Umgebung zurückzuerhalten, wird vor allem von Menschen mit Zwangsstörungen erfahren, sagt Lang. Normalerweise glauben diese schnell, dass sie die Kontrolle über Situationen verlieren, und müssen etwas tun, um sie zu kontrollieren.

Die Forscher sagen, dass die Studie weitreichende Auswirkungen hat. Zum Beispiel könnten die Befunde bei der Entwicklung von wirkungsvollen Techniken helfen, um chronischen und akuten Stress zu bewältigen.

„Dieser Befund erlaubt uns, neue Richtungen innerhalb und über die anthropologische Forschung hinaus einzuschlagen“, sagt Koautor Dimitris Xygalatas. „Wir müssen die Schleife jetzt schließen, und das heißt: Herausfinden, ob das Ausführen ritualisierter Handlungen auch tatsächlich die Angst verringert.“

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Connecticut, Current Biology; Juni 2015

Rettungsanker: Rituale lindern Angstzustände

02.07.2020 Wenn Abschlussfeiern, Hochzeiten, Begräbnisse, Jahresparaden und viele andere rituelle Versammlungen abgesagt werden – wie in Corona-Zeiten, wird es offensichtlich, dass das Leben vieler Menschen angefüllt mit Ritualen ist.

Assistenzprofessor für Anthropologie an der University of Connecticut Dimitris Xygalatas untersucht Rituale und wie sie sich auf unsere psychische und körperliche Gesundheit auswirken.

In einer in Philosophical Transactions of the Royal Society veröffentlichten Forschungsarbeit untersuchten Xygalatas und Mitarbeiter der Masaryk-Universität in der Tschechischen Republik, darunter der ehemalige UConn-Student Martin Lang, welche wichtige Rolle Rituale bei der Linderung der Ängste spielen.

Rituale als Resilienz-Mechanismen

Xygalatas sagt, dass Rituale eine wichtige Rolle im Leben der Menschen spielen, da sie ihnen helfen, mit Ängsten umzugehen und als Resilienz-Mechanismen dienen (also die psychische Widerstandkraft kräftigen).

In der vorliegenden Studie untersuchten sie die angstlindernden Effekte religiöser Praktiken in der Marathi-Hindu-Gemeinschaft auf Mauritius und prüften, ob diese Effekte durch den Grad der Ritualisierung der angewandten Praktiken begünstigt werden.

75 Teilnehmer sollten eine Rede vor anderen halten, wodurch eine angstauslösende Situation geschaffen wurde. Die Probanden konnten entweder ihr gewohnten Rituale in einem lokalen Tempel durchführen (rituelle Bedingung) oder sich einfach hinsetzen und entspannen (Kontrollbedingung).

Die Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer der rituellen Bedingung nach dem Ausführen der Rituale über eine geringere wahrgenommene Angst berichteten und eine geringere physiologische Angst zeigten (gemessene Herzfrequenzvariabilität).

Der Grad der Ritualisierung in der rituellen Bedingung zeigte suggestive, jedoch variable Effekte, so dass weitere Untersuchungen erforderlich sind, schreiben die Wissenschaftler.

Rituale sind repetitiv und vorhersehbar

Die Forscher schlagen einige Mechanismen vor, die die beobachteten anxiolytischen (angstlösenden) Effekte rituellen Verhaltens erklären könnten und in Zukunft untersucht werden sollten.

Gut eingeübte Rituale sind repetitiv und vorhersehbar, und deshalb glauben die Forscher, dass sie unserem Gehirn das Gefühl von Kontrolle und Struktur geben, nach dem wir uns sehnen, und diese Gefühle helfen, Stress abzubauen.

Struktur, Regelmäßigkeit und Vorhersehbarkeit

Der hier greifende Mechanismus – bei dem das Ritual dazu beiträgt, Ängste abzubauen – wirkt, indem dem Gehirn ein Gefühl von Struktur, Regelmäßigkeit und Vorhersehbarkeit vermittelt wird, glauben sie.

Xygalatas weist darauf hin, dass er und seine Kollegen beabsichtigen, mehr an den genauen Mechanismen zu arbeiten, die diesen Wirkungen des Rituals bei der Linderung von Angst zugrundeliegen.

Natürlich ist es eine Kombination von Faktoren, und das ist der Grund, warum Rituale so mächtig sind: weil sie eine Reihe von Mechanismen kombinieren, die sowohl mit dem Verhalten selbst, den körperlichen Bewegungen, als auch mit dem kulturellen Kontext, der Symbolik und den Erwartungen, die in dieses Verhalten einfließen, zu tun haben, sagt er.

Wir untersuchen diese Faktoren nacheinander. Diese Rituale haben einen kulturellen Ausleseprozess durchlaufen, und sie begleiten uns immer noch, weil sie bestimmte Funktionen erfüllen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Philosophical Transactions of the Royal Society – https://doi.org/10.1098/rstb.2019.0431

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