Chemohirn, Chemobrain
Gehirnforschung
Chemohirn: News und Forschungsartikel, die sich mit dem Chemobrain beschäftigen, dem veränderten Gehirn bei, aufgrund einer Chemotherapie.
Posttraumatischer Stress durch Krebsdiagnose wirkt auf ‚Chemo-Gehirn‘
28.04.2015 Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität München entdeckten, dass sich bei Krebspatientinnen (Brustkrebs) schon vor der Chemotherapie Aufmerksamkeitsstörungen zeigen können.
Allerdings konnten die Wissenschaftler keine weiteren kognitiven Dysfunktionen des sogenannten ‚Chemo-Brain‘ vor der Chemotherapiebehandlung bestätigen.
Das Chemohirn oder Chemo-Brain ist gekennzeichnet durch Aufmerksamkeit- und Gedächtnisstörungen und weiterer Funktionsstörungen des Gehirns.
(Symbol) – Bild: kai Stachowiak (pixabay)
Chemotherapie Nebenwirkungen
Lange wurde angenommen, dass diese Störungen hauptsächlich auf das Konto der Nebenwirkungen von Chemotherapeutika gehen. Einige Studien legten nahe, dass diese Dysfunktionen im Gehirn schon vor der Chemotherapiebehandlung auftraten. Jedoch konnten die Ursachen nur vermutet werden.
Die aktuelle Studie der LMU-Wissenschaftler analysierte die Daten von 166 Frauen mit diagnostiziertem Brustkrebs und 60 Frauen ohne Brustkrebs (Kontrollgruppe) im Alter von 65 Jahren oder jünger.
Die Frauen wurden im ersten Jahr nach der Krebsdiagnose zu drei verschiedenen Zeitpunkten vor der Behandlung auf ihre kognitiven Funktionen und Symptome von posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) untersucht. Bis auf die Aufmerksamkeit schnitten die Brustkrebspatientinnen bei den Gehirnfunktionen wie die Kontrollgruppe ab.
Je stärker die Symptome der PTBS, desto geringer die Aufmerksamkeit
Beim Aufmerksamkeitstest machten die Brustkrebspatientinnen deutlich mehr Fehler und dies stand im Zusammenhang mit dem Abschneiden beim PTBS-Test. D.h.: je größer die Ausprägung der Belastung durch den posttraumatischen Stress, desto mehr Fehler machten die Patientinnen.
„Der Zusammenhang war statistisch sehr signifikant“, sagte Dr. Kerstin Hermelink im Journal of the National Cancer Institute.
Eine Krebserkrankung bzw. die Diagnose kann traumatische Folgen haben und viele Patienten mit Krebs entwickeln PTBS-Symptome, sagte sie.
Aufmerksamkeitsstörungen des sogenannten Chemohirns können also schon vor der Behandlung aufgrund posttraumatischer Stresssymptome auftreten.
Die weiteren Charakteristika machen sich aber dann wohl erst während der Behandlung bemerkbar und sind auf diese zurückzuführen, denn bei den anderen kognitiven Funktionen gab es vor der Behandlung keine Unterschiede.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Ludwig-Maximilians-Universität München, Journal of the National Cancer Institute; April 2015
Faktoren, die Dauer und Anfälligkeit beeinflussen
11.01.2017 Die größte Studie bislang zum sogenannten „Chemobrain“ (dt.: Chemohirn) zeigt, dass Frauen mit Brustkrebs noch lange nach der Chemotherapie (mindestens 6 Monate) über große kognitive Probleme berichten.
Es ist in der Wissenschaft bekannt, dass mit Krebs bzw. Krebs-Chemotherapie verbundene kognitive Funktionsstörungen – wie Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- und Verarbeitungsstörungen – ein wichtiges Problem für Patienten ist. Doch frühere Forschungsarbeiten haben einige Fragen offengelassen, z.B. wann und warum das Chemo-Gehirn auftritt, und wer dafür besonders anfällig ist.
Denkstörungen
Die Forscher des Wilmot Cancer Institute der Universität Rochester verglichen die kognitiven Beeinträchtigungen von 581 Brustkrebs-Patientinnen und 364 gesunden Frauen in einem durchschnittlichen Alter von 53 Jahren. Die Wissenschaftler benutzten dazu den FACT-Cog, ein akkurates Maß für kognitive Beeinträchtigungen, das sowohl die selbst wahrgenommenen als auch die von anderen bemerkten kognitiven Probleme erfassen kann.
Es zeigte sich, dass im Vergleich zu gesunden Teilnehmerinnen die FACT-Cog-Werte von Frauen mit Brustkrebs um 45 Prozent niedriger waren.
Chemohirn bei Frauen mit Brustkrebs lang anhaltend
Tatsächlich zeigten 36,5 Prozent der Patientinnen über fast ein Jahr (von der Diagnose und Prä-Chemotherapie bis zum Postchemotherapie-Follow-Up nach sechs Monaten) kognitive Verluste im Vergleich zu 13,6 Prozent der gesunden Frauen.
Größere Ängstlichkeit und depressive Symptome zu Beginn führten zu einem größeren Abfall bei den FACT-Cog-Punkten, schreibt Studienautorin Dr. Michelle C. Janelsins im Journal of Clinical Oncology.
Andere Faktoren, die einen kognitiven Abbau beeinflussten waren ein jüngeres Alter und eine dunkelhäutige Rasse. Frauen, die mit einer Hormontherapie und/oder Strahlentherapie nach der Chemotherapie behandelt wurden, hatten ähnliche kognitive Probleme wie Frauen, die nur Chemotherapie allein erhielten.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Rochester, Journal of Clinical Oncology – DOI: 10.1200/JCO.2016.68.5826; Jan. 2017
Chemohirn: Eher Folge psychologischer Faktoren
04.05.2017 Eine im Fachmagazin Journal of the National Cancer Institute veröffentlichte Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München kommt zu dem Schluss, dass das sogenannte ‚Chemobrain‘ oder ‚Chemohirn‘ eher eine Folge psychologischer Faktoren ist als die der neurotoxischen Nebenwirkungen durch die Krebsbehandlung.
Folgen für die Psyche
„Es wäre sonderbar, wenn all das, was eine Krebserkrankung an Folgen für die Psyche und an Eingriffen in das Leben mit sich bringt, spurlos am Gehirn und den kognitiven Funktionen vorübergehen würde.“
Bild: Gerd Altmann
„In unserer Studie haben wir uns auf die Effekte von posttraumatischem Stress beschränkt, aber auch Schlaflosigkeit, unter der viele Krebspatientinnen leiden, eine berufliche Auszeit, Angst, Depressivität und andere Faktoren könnten an der Verursachung der kognitiven Beeinträchtigungen beteiligt sein.“
„In der Forschung zu kognitiven Störungen bei Krebspatienten sind solche Faktoren bisher vernachlässigt worden. Wenn überhaupt, sind sie nur mit Screening-Fragebogen erfasst worden – angesichts der subtilen kognitiven Auffälligkeiten, um die es hier geht, ist das viel zu ungenau“, sagte die Studienautorin Dr. Kerstin Hermelink, Psychologin am Brustzentrum der LMU.
Die Wissenschaftler untersuchten in ihrer Studie, ob Brustkrebspatientinnen mit und ohne chemotherapeutische Behandlung unter kognitiven Problemen – wie Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen – leiden.
166 Frauen mit neu diagnostiziertem Brustkrebs – sowie 60 Frauen ohne Diagnose – wurden zu drei Zeitpunkten während eines Jahres auf posttraumatische Symptome untersucht. Außerdem wurden ihre kognitiven Fähigkeiten mit neuropsychologischen Tests erfasst.
Leichte Abnahme der kognitiven Leistung
Die psychologischen Tests konnten einen leichten Rückgang der kognitiven Performance bei den mit Brustkrebs diagnostizierten Patientinnen im Vergleich zu der Kontrollgruppe feststellen.
Auch schnitten die Patientinnen schlechter bei Tests zur Aufmerksamkeit ab.
Diese schlechteren Resultate bei den neuropsychologischen Maßen standen in Verbindung mit der Ausprägung der posttraumatischen Symptome, schreiben die Studienautoren.
Rechnete man den Effekt des posttraumatischen Stresses heraus, konnte keine statistische Signifikanz mehr durch die Auswirkung der Krebserkrankung auf die neuropsychologischen Resultate und die Aufmerksamkeit festgestellt werden.
Allerdings zeigten die Patientinnen noch einige Monate nach der Beendigung der Chemotherapie ‚etwas längere Reaktionszeiten‘ bei einem Computertest, die nicht durch die posttraumatischen Symptome erklärt werden konnten.
„Der minimale Unterschied – im Mittel 19 Millisekunden – könnte auch durch eine periphere Neuropathie, eine Schädigung der Fingernerven durch bestimmte Zytostatika, entstanden sein und nichts mit kognitiven Funktionen zu tun haben,“ vermutet Hermelink.
Posttraumatischer Stress
„Es ist gut nachgewiesen, dass posttraumatischer Stress – nicht zu verwechseln mit normalem Alltagsstress – tief in die Arbeitsweise des Gehirns eingreift“, sagte sie.
„Eine Krebserkrankung kann als Trauma erlebt werden. Deshalb war es naheliegend, die Hypothese aufzustellen, dass kognitive Auffälligkeiten bei Krebspatientinnen eine Folge von posttraumatischer Stressbelastung sind.“
Die Befunde zeigen, dass das ‚Chemobrain‘ – die Störungen der Denkfunktionen – bei Krebspatientinnen eher psychologisch – als Folge von posttraumatischen Stress – erklärt werden kann, und weniger eine Auswirkung der neurotoxischen Nebenwirkungen der Chemotherapie ist.
„Unser Gehirn ist keine Maschine, die immer gleich funktioniert, sondern es verändert seine Funktionsweise und auch seine Struktur ständig in Abhängigkeit von dem, was wir tun und erleben“, sagte die Psychologin.
Dies sei dann auch für Krebspatienten „eine gute Nachricht“, da die neurotoxischen Effekte der Chemo-Behandlung nicht zwangsläufig zu einer Schädigung der Denkfähigkeiten – also zum Chemohirn – führt.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Ludwig-Maximilians-Universität München, Journal of the National Cancer Institute – https://academic.oup.com/jnci/article-lookup/doi/10.1093/jnci/djx108; Mai 2017
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