Gehirnentwicklung
Biologische Psychologie – Gehirnforschung
Die sozioökonomischen Bedingungen der Familie / das Umfeld beeinflussen die Gehirnentwicklung während des Heranwachsens unabhängig von den Genen
23.05.2020 Das kindliche Umfeld und der sozioökonomische Status beeinflussen die kognitiven Fähigkeiten und die Gehirnentwicklung während des Heranwachsens unabhängig von genetischen Faktoren, berichten Forscher des Karolinska Institutet in einer neuen Studie, die in der Zeitschrift PNAS veröffentlicht wurde.
Die Studie zeigt, wie wichtig das familiäre Umfeld ist, nicht nur während der frühen Kindheit, sondern auch während der gesamten Adoleszenz.
Wie sich Gene und Umwelt auf das Gehirn und die kognitiven Fähigkeiten auswirken wurde bislang heftig diskutiert, frühere Studien haben die Gene bei der Untersuchung von Umwelteinflüssen jedoch nicht berücksichtigt.
Forscher des Karolinska Institutet in Schweden haben daher sowohl Umweltfaktoren als auch ein neues genetisches Maß untersucht – einen Indexwert, der auf einer Aggregation der etwa 5.000 DNA-Lokalisationen basiert, die am stärksten mit dem Bildungsniveau verknüpft sind.
An der Studie nahmen 551 Jugendliche aus verschiedenen sozioökonomischen Umfeldern in ganz Europa teil. Im Alter von 14 Jahren gaben die Teilnehmer DNA-Proben ab, führten kognitive Tests durch und liessen ihr Gehirn in einem MRT-Scanner abbilden, ein Vorgang zur Feststellung der Gehirnentwicklung, der fünf Jahre später wiederholt wurde.
Unterschiede in der Gesamtfläche des Gehirns
Bild: Gerd Altmann
Im Alter von 14 Jahren waren Gene und Umwelt unabhängig voneinander mit kognitiven Fähigkeiten (gemessen mit Arbeitsgedächtnistests) und der Gehirnstruktur verbunden.
Die Umwelteinflüsse waren jedoch 50 bis 100 Prozent stärker als die genetischen. Unterschiede im sozioökonomischen Status hingen mit Unterschieden der Gehirnentwicklung in der Gesamtoberfläche des Neokortex zusammen.
Neokortex
In der vorangegangenen Debatte ging es darum, ob es einen speziellen Bereich gibt, der von der Umwelt beeinflusst wird, wie zum Beispiel das Langzeitgedächtnis oder die Sprache, sagt Studienautor Nicholas Judd. Die Neuroforscher konnten jedoch zeigen, dass der Effekt im gesamten Neokortex auftritt und somit wahrscheinlich eine ganze Reihe von Funktionen beeinflusst.
Genetische Unterschiede konnten auch mit der Hirnstruktur in Verbindung gebracht werden, wobei nicht nur die Gesamtfläche des Gehirns betroffen war, sondern auch speziell ein Bereich des rechten Scheitellappens, der bekanntermaßen wichtig für mathematische Fähigkeiten, logisches Denken und das Arbeitsgedächtnis ist.
Dies ist das erste Mal, dass ein Hirnareal identifiziert wurde, das mit diesem genetischen Index in Verbindung steht, schreiben die Hirnforscher.
Follow-up zur Hirnentwicklung fünf Jahre später
Als die Forscher die Jugendlichen fünf Jahre später erneut untersuchten, konnten sie feststellen, wie Gene und Umwelt die Entwicklung des Gehirns während der Adoleszenz beeinflusst hatten.
Dabei fanden sie, dass die Gene zwar keine der zerebralen Veränderungen erklären konnten, die Umwelt jedoch schon. Es ist jedoch unbekannt, welche Faktoren der Umwelt dafür verantwortlich sind.
Es gibt eine Reihe möglicher Erklärungen, wie chronischer Stress, Ernährung oder intellektuelle Stimulation, aber die Studie zeigt, wie wichtig die Umwelt nicht nur in der frühen Kindheit für die Entwicklung des Gehirns und der kognitiven Fähigkeiten ist, sagt Studienleiter Torkel Klingberg vom Fachbereich für Neurowissenschaften des Karolinska Institutet.
Die wichtigsten Umweltfaktoren für die Optimierung der Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen zu finden, sei eine Frage der zukünftigen Forschung.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Proceedings of the National Academy of Sciences (2020). DOI: 10.1073/pnas.2001228117