Ist körperliche Fitness gut für den Kopf?
Fördert körperliche Fitness die Gesundheit des Gehirns? Belege für diese These – wenngleich kein eindeutiger Beweis – kommen von einer neuen Studie. Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Universitätsmedizin Greifswald analysierten Daten von mehr als 2.000 Erwachsenen. Sie stellten fest: je besser die körperliche Fitness, umso größer das Hirnvolumen. Die Ergebnisse sind im Fachjournal „Mayo Clinic Proceedings“ veröffentlicht.
Angesichts steigender Lebenserwartung entwickelt sich Demenz zu
einer der größten Herausforderungen der medizinischen Versorgung. Weil
bislang wirksame Therapien fehlen, insbesondere bei der
Alzheimer-Erkrankung, rückt die Prävention immer mehr in den Fokus. Hier
geht es darum, das Auftreten der Demenz hinauszuzögern oder gar zu
verhindern. „Körperliche Inaktivität ist ein Risikofaktor für Demenz.
Dagegen scheinen körperliche Fitness und regelmäßiger Sport vorbeugende
Wirkung zu haben. Diverse Studien deuten darauf hin. Die Mechanismen
dahinter sind jedoch unklar“, sagt Prof. Hans Jörgen Grabe,
Forschungsgruppenleiter am DZNE-Standort Rostock/Greifswald und Direktor
der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin
Greifswald (UMG).
Daten der SHIP-Studie
Eine neue Untersuchung legt nun nahe, dass körperliche Aktivität in der
Tat einen positiven Einfluss auf die Gesundheit des Gehirns und die
kognitive Leistungsfähigkeit haben kann. Ein Forscherteam um Prof. Grabe
und Privatdozent Dr. Sebastian Baumeister, wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der UMG, analysierte dazu Daten der sogenannten
SHIP-Studie in Hinblick auf die Frage, ob körperliche Fitness in
Zusammenhang mit dem Hirnvolumen steht. Die SHIP-Studie (Study of Health
in Pomerania) befasst sich mit Faktoren für Gesundheit und Krankheit in
der Bevölkerung. Mehrere tausend Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern
nehmen daran teil.
Für die aktuelle Untersuchung wurden Daten von 2.103 Frauen und Männern
im Alter zwischen 21 bis 84 Jahren berücksichtigt. Das mittlere Alter
lag bei 52 Jahren. Diese Personen hatten sich im Rahmen der SHIP-Studie
einem Belastungstest auf dem Fahrrad-Ergometer unterzogen. In weiteren
Untersuchungen waren ihre Gehirne mittels Magnetresonanz-Tomographie
(MRT) vermessen wurden.
Messung der Sauerstoff-Aufnahme
Zur Bestimmung der körperlichen Fitness wurde die von den Probanden
unter Höchstbelastung ein- und ausgeatmete Luft untersucht und daraus
die „maximale Sauerstoff-Aufnahme“ ermittelt. Diese gibt Auskunft über
den Trainingszustand des Herz-Kreislauf-Systems. Für die aktuelle Studie
flossen diese Messwerte sowie die MRT-Daten in eine statistische
Analyse ein. Fazit: „Wir haben einen positiven Zusammenhang zwischen
körperlicher Leistungsfähigkeit und Hirnvolumen gefunden: je besser die
körperliche Fitness, umso größer das Hirnvolumen“, erläutert Dr.
Katharina Wittfeld, DZNE-Wissenschaftlerin und Erstautorin der aktuellen
Veröffentlichung. „Der Effekt betraf nicht nur das Gesamtvolumen,
sondern auch einzelne Hirnbereiche, die für das Gedächtnis sowie für
emotionales und belohnungsbezogenes Verhalten wichtig sind. Mit dem
sogenannten Hippocampus ist auch eine Hirnregion dabei, die bei einer
Alzheimer-Erkrankung involviert ist. Auch hier sehen wir, dass
körperlich fitte Personen tendenziell einen größeren Hippocampus
aufweisen, als Personen, die weniger fit sind.“
Belege, jedoch keine Beweise
„Die nun vorliegenden Daten stützen die Hypothese, dass die
kardiorespiratorische Fitness zu einer verbesserten Gehirngesundheit und
einem verlangsamten altersbedingten Abbau der Hirnmasse beitragen
könnte“, sagt Hans Jörgen Grabe. Tatsächlich sei die aktuelle Studie
eine der bislang umfangreichsten Untersuchungen über die Beziehung von
körperlicher Fitness und Hirnvolumen. Zudem bilde sie einen breiten
Querschnitt der erwachsenen Bevölkerung ab.
„Um die kardiorespiratorische Fitness zu verbessern, wird körperliche
Aktivität dringend empfohlen und sollte Teil von Präventionsprogrammen
sein, um einen gesunden Lebensstil zu führen“, rät Grabe. Die aktuellen
Ergebnisse würden allerdings nicht beweisen, dass Sport das Hirnvolumen
tatsächlich vergrößere. „Der statistische Zusammenhang zwischen Fitness
und Hirnvolumen, den wir festgestellt haben, sagt nichts über die
Ursachen“, schränkt der Greifswalder Forscher ein. So habe man weder
etwaige sportliche Aktivitäten der Versuchsteilnehmer erfasst, noch
untersucht, ob sich durch Training über längere Zeiträume das
Hirnvolumen verändere. „Von den Probanden wurde nur der jeweilige
Ist-Zustand festgehalten. Außerdem stehen wir vor einem
Henne-Ei-Problem. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Größe
mancher Hirnareale in der Weise auf die Hirnfunktion auswirkt, dass die
Betreffenden besonders motiviert sind, Sport zu treiben und deshalb
körperlich fitter sind. Dann wäre nicht Sport die Ursache für ein
vergrößertes Hirnvolumen, es wäre genau umgekehrt.“
Ursachen für den Volumen-Effekt?
Andere Studien legen gleichwohl nahe, dass regelmäßiges körperliches
Training das Hirnvolumen vergrößern kann. „Durch Sport werden
erwiesenermaßen körpereigene Substanzen freigesetzt, die dem Verlust von
Nervenzellen entgegenwirken können. Außerdem gibt es Hinweise dafür,
dass körperliche Aktivität die Neubildung von Nervenzellen anregen kann.
Beide Phänomene könnten die Auswirkungen auf das Hirnvolumen, die wir
und ähnliche Studien nachgewiesen haben, möglicherweise erklären“, sagt
Grabe.
Die aktuelle Studie fand einen Zusammenhang zwischen körperlicher
Fitness und Hirnvolumen nicht nur bei jungen Menschen, sondern auch bei
älteren Erwachsenen. Diese Beobachtung hält Grabe für besonders
bedeutsam: „Dies deutet darauf hin, dass die Förderung körperlicher
Fitness vielleicht sogar in späten Lebensjahren dazu beitragen könnte,
Hirnmasse zu erhalten und somit auch im Kopf möglichst lange fit zu
bleiben.“
Quellenangabe: Pressemitteilung Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) – Cardiorespiratory Fitness and Gray Matter Volume in the Temporal, Frontal, and Cerebellar Regions in the General Population, Katharina Wittfeld et al., Mayo Clinic Proceedings (2020), DOI: 10.1016/j.mayocp.2019.05.030 URL: https://dx.doi.org/10.1016/j.mayocp.2019.05.030