Definition
Der bekanntgewordende Suizid wird zum Modell – in Abwesenheit von Schutzfaktoren – für den nächsten Suizid. Dies bezeichnet man als Suizid-Ansteckung. Diese verbreitet sich gelegentlich in einem Schulsystem oder einer Gemeinschaft, oder in Form einer Selbstmord-Welle auf nationaler Ebene, wenn sich z.B. ein Prominenter umgebracht hat. Dies wird Suizidcluster genannt.
Suicidcluster werden durch das soziale Lernen suizidalen Verhaltens verursacht – oder dem „Werther-Effekt“.
Punkt-Cluster
Punkt-Cluster sind Cluster von Suiziden in Zeit und Raum, und konnten mit direktem sozialen Lernen von nahestehenden Personen verknüpft werden.
Massen-Cluster
Massen-Cluster sind Cluster von Selbstmorden in der Zeit aber nicht im Raum, und konnten mit der Ausstrahlung von Informationen in den Massenmedien über den Suizid von Berühmtheiten in Verbindung gebracht werden.
Beispiele von Prominenten, deren Selbstmord zu Suizid-Clustern führte, gibt es einige; am berühmtesten ist sicherlich Marilyn Monroe, nach deren Tod es zu einer Zunahme von 200 Suiziden über dem Durchschnitt im betreffenden Monat (August) kam.
Großer Erfolgsdruck und soziale Verbundenheit vergrößern Risiko für Suizidcluster
11.09.2016 Das Leben in einer Gemeinschaft, mit einem großen Druck erfolgreich zu sein, und ein hoher Grad sozialer Verbundenheit kann das Suizidrisiko – insbesondere unter Jugendlichen – erhöhen laut einer im Fachblatt American Sociological Review veröffentlichten qualitativen Studie der Universitäten Chicago und Memphis.
Phänomen Suizidcluster
Die Forscher fanden, dass diese zwei sozialen Bedingungen tendentiell an den sogenannten Suizidclustern beteiligt sind – ein Phänomen, bei dem es zu einer Reihe von Selbsttötungen zur gleichen Zeit und in räumlicher Nähe kommt (zur Definition).
Obwohl Nachrichtenmedien über das Auftreten von Clustern berichten, ist bisher wenig darüber bekannt, warum es dazu kommt, und wie dem vorgebeugt werden kann.
Die Studie gewährt neue Einblicke in die Anstrengungen zur Suizidprävention, die sich normalerweise auf die negativen Folgen sozialer Isolation und die Rolle von psychischen Krankheiten konzentrieren.
Kehrseite starker sozialer Bindungen
Bild: Ulrike Mai
Die Forscher der aktuellen Studie demonstrieren, dass die Gemeinschaft auch in Betracht gezogen werden sollte, wenn das Selbstmordrisiko gemessen wird, und warum Präventionsorganisationen nicht länger die soziale Verbundenheit als ausschließlich positive Kraft bei der Vorbeugung gegenüber Suiziden gesehen werden sollte.
Vielleicht ist eines der interessantesten Ergebnisse dieser Studie, dass sie die Kehrseite von starken sozialen Bindungen betonen, die gewöhnlich als ein wichtiges Instrument für die Suizidprävention gesehen wird, sagte Studienautorin Anna S. Mueller.
Gemeinschaftlicher Druck
Es hilft auch zu erklären, warum einige Schulen mit großen akademischen Druck Probleme mit Selbstmorden haben, während bei anderen dies nicht der Fall ist.
Es ist aber nicht nur dieser Druck: Der mit bestimmten Gruppenfaktoren verbundene Druck kann den Ruf nach Hilfe erschweren, sagte sie.
Für die Studie untersuchten Mueller und Ko-Forscher Seth Abrutyn eine vorstädtische Gemeinschaft des oberen Mittelstands, die mindestens vier Suizidcluster in den letzten 15 Jahren erlebten.
Die Ergebnisse zeigen, dass die größte Gefahr für Suizid ein extremer Erfolgsdruck war, verbunden mit eng definierten Idealen darüber, wie Jugendliche sein sollten, insbesondere wenn es um Schule und Sport ging.
Die Ängste, nicht diesen Idealen entsprechen zu können, zusammen mit der Leichtigkeit mit der private Informationen – aufgrund starker sozialer Bindungen – in die Öffentlichkeit gelangen, lässt Jugendliche und deren Eltern weniger wahrscheinlich Hilfe wegen psychischer Probleme aufsuchen – aus Angst abgestempelt zu werden.
Diese Bedingungen belasten für Suizid anfällige Jugendliche zusätzlich, trotz ihrer sozialen Verbindungen innerhalb der Gemeinschaft.
Empfehlungen
In ihren Ergebnissen empfehlen die Forscher, Schüler / Studenten zu lehren, mit Misserfolgen und akademischen Stress umzugehen.
Sie schreiben auch, dass Strategien zur Suizidprävention in Betracht ziehen sollten, dass soziale Verbundenheit nicht immer eine gute Sache ist. Die Autoren schlagen vor, dass sich mehr Soziologen auf das Thema Suizid konzentrieren sollte: „Seit der wichtigen Arbeit von Émile Durkheim hat die Soziologie überraschend wenig zum Verständnis und zur Prävention des Selbstmords beigetragen, besonders im Vergleich zur Psychologie und Epidemiologie“, sagte Mueller.
Das ist bedauerlich, sagte sie, da Soziologen die theoretischen und empirischen Werkzeuge haben, die notwendig sind, um einige grundsätzliche unbeantwortete Fragen zum Suizid zu untersuchen; eine der wichtigsten wäre: Wie stoppen wir Suizidcluster in ihrer Ausbreitung?
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universitäten Chicago und Memphis, American Sociological Review – doi: 10.1177/0003122416663464; Sept. 2016