Zwangserkrankung, Zwangsstörungen: Gehirn
Psychische Störungen – Krankheitsbilder
Schlechtere Konnektivität in bestimmten Hirnregionen
Warum Expositionstherapie bei Zwangsstörungen oft nur kurzfristig wirkt,
und wie es zu den Wiederholungen im Verhalten kommt.
09.03.2017 Störungen der Lernvorgänge im Gehirn: Menschen mit Zwangsstörungen scheinen schlechter zu lernen, wann ein Stimulus sicher ist, weshalb sie es so schwer haben, ihre Zwangsgedanken bzw. das obsessive Verhalten zu überwinden laut den Befunden zweier Hirnstudien der Universität Cambridge.
Warum Exposition langfristig nicht wirkt
Die sogenannte ‚Expositions- oder Konfrontationstherapie‚ hat häufig nur einen begrenzten Erfolg bei der Behandlung von Zwangsstörungen und die obsessiven Gedanken kehren oft in Zeiten des Stresses wieder zurück. Eine aktuelle in Proceedings of the National Academy of Sciences veöffentlichte Studie könnte erklären, warum die Erinnerungen an die Sicherheit von Stimuli nicht beständig sind.
Bild: Gerd Altmann
Die Gehirne von 43 Patienten mit Zwangserkrankungen und 35 gesunden Teilnehmern wurden mit fMRT gescannt, während den Probanden nacheinander zwei Gesichter gezeigt wurden: ein rotes oder ein grünes Gesicht: Beim roten Gesicht geschah nichts, beim grünen erhielten die Teilnehmer einen leichten Elektroschock.
Durch die Messung von Hautwiderstand und der Schweißmenge konnten die Forscher feststellen, ob die Probanden gelernt hatten, welcher Reiz sicher und welcher bedrohlich ist.
Nach einiger Zeit tauschten die Forscher die Stimuli aus – nun wurde beim roten Gesicht ein Stromschlag verabreicht, während das grüne Gesicht sicher war.
Sichere Stimuli wurden nicht gelernt
Die Patienten mit einer Zwangsstörung lernten zwar anfangs welcher Stimulus bedrohlich, sie lernten aber nicht, dass der zweite Reiz sicher war – tatsächlich schienen sie diesem sicheren Stimulus nur wenig Aufmerksamkeit zu schenken.
Als die Stimuli umgekehrt wurden, waren die Teilnehmer nicht in der Lage, zwischen dem vorher bedrohlichen Stimulus und dem neuen bedrohlichen Reiz zu unterscheiden.
Ventromedialer präfrontaler Cortex
Das spiegelte sich auch in ihrer Gehirnaktivität wider: Patienten mit Zwangserkrankung zeigten ein niedrigeres Aktivitätsniveau in einer Region des Gehirns, die als ventromedialer präfrontaler Cortex bekannt ist, während sie den sicheren Stimulus ansahen.
Etwas läuft schief im zwangsgestörten Gehirn, wenn es lernt, was sicher ist. Und dies beeinflusst, wie es Bedrohungen unter neuen Bedingungen wahrnimmt, sagte Studienautorin Dr. Annemieke Apergis-Schoute. Dies sollte bei der Entwicklung von zukünftigen Therapien berücksichtigt werden.
Kognitive Inflexibilität
Die aktuellen Konfrontationsbehandlungen können dem Patienten helfen, die Kontrolle über ihre Zwänge zu übernehmen, aber diese Befunde legen nahe: Die Patienten lernen nicht, dass ihre Zwänge unnötig sind. Und sie können in stressenden Phasen erneut auftreten.
In einer zweiten in Biological Psychiatry veröffentlichten Studie zeigten die Forscher aus Cambridge, dass diese kognitive Inflexibilität teilweise ein Ergebnis eines Kommunikationsmangels zwischen bestimmten Gehirnregionen sein könnte.
Gestörte Kommunikation zwischen Gehirnregionen
Sie fanden eine schlechtere Konnektivität innerhalb einiger Schlüsselnetzwerke im Gehirn, die für die fehlende Flexibiltät und auch die schlechten zielgerichteten Fähigkeiten von zwangsgestörten Menschen verantwortlich sein könnte.
Die Forscher fanden eine gestörte Konnektivität innerhalb diskreter frontostriataler Nervenbahnen – neuronale Bahnen, die die Vorderseite des Gehirns mit den Basalganglien (verantwortlich für wichtige Funktionen wie die Kontrolle der Bewegung und ‚Exekutivfunktionen‘ wie Entscheidungsfindung, Lernen und die Gewohnheitsbildung) verbinden.
Sie nehmen an, dass diese dem repetitiven Verhalten bei Zwangsstörungen zugrunde liegen könnten.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Cambridge, Proceedings of the National Academy of Sciences – DOI: 10.1073/pnas.1609194114, Biological Psychiatry – DOI: 10.1016/j.biopsych.2016.08.009; März 2017
In der Fehlerschleife gefangen: Gehirnstudie zeigt Wurzeln der Zwangsstörung
03.12.2018 Eine im Fachblatt Biological Psychiatry veröffentlichte Studie untersuchte funktionelle Hirnscans und anderen Daten aus der Forschung zu Zwangserkrankungen, und kombinierten sie für eine neue Metaanalyse, um herauszufinden, was in den Gehirnen von Menschen mit krankhaften Zwängen falsch läuft.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn bei der Zwangsstörung zu sehr auf Fehler anspricht und zu wenig darauf, Signale zu stoppen. Dies sind bereits zuvor entdeckte Anomalien bei pathologischen Zwängen, die aber aufgrund der geringen Anzahl von Teilnehmern in den einzelnen Studien nicht eindeutig belegt werden konnten, sagt Luke Norman vom Fachbereich Psychiatrie der Universität Michigan.
Durch die Kombination von Daten aus zehn Studien von fast 500 Patienten und gesunden Freiwilligen konnten die Psychiater entdecken, wie Gehirnnetze, die lange Zeit als entscheidend für Zwangsstörungen angesehen wurden, tatsächlich an der Erkrankung beteiligt sind.
Cingulo-operculare Netzwerk
In ihrer Arbeit konzentrieren sich die Forscher auf das cingulo-operculare Netzwerk. Das ist eine Sammlung von Hirnarealen, die durch ‚Autobahnen‘ von Nervenverbindungen tief im Zentrum des Gehirns verbunden sind.
Es fungiert normalerweise als Überwachungssystem für Fehler oder die potenzielle Notwendigkeit, eine Aktion zu stoppen, und bezieht die Entscheidungsbereiche an der Vorderseite des Gehirns ein, wenn es spürt, dass etwas „off“ ist.
Gefangen in der Fehlerschleife
Aus den kombinierten Daten entstand ein durchgängiges Muster: Im Vergleich zu gesunden Probanden hatten zwangsgestörte Teilnehmer viel mehr Aktivität in den spezifischen Gehirnarealen, die daran beteiligt waren, zu erkennen, dass sie einen Fehler machten, aber weniger Aktivität in den Bereichen, die ihnen helfen konnten, aufzuhören.
Die Wissenschaftler nehmen an, dass Zwangsstörungspatienten eine „ineffiziente“ Verknüpfung zwischen dem Gehirnsystem, das ihre Fähigkeit zur Fehlererkennung verbindet, und dem System, das ihre Fähigkeit zur Beseitigung dieser Fehler regelt, haben könnten. Das könnte dazu führen, dass ihre Überreaktion auf Fehler ihre unzureichende Fähigkeit, sich selbst zu sagen, dass sie aufhören sollen, überwältigt.
Die Studie kann aber nicht sagen, ob die Unterschiede in der Gehirnaktivität die Ursache oder die Wirkung der Zwangserkrankungen sind.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Biological Psychiatry, 2018; 83 (9): S354 DOI: 10.1016/j.biopsych.2018.02.911
Veränderungen der Gehirnvernetzung bei Zwangserkrankten
03.03.2019 Die Zwangsstörung ist durch Veränderungen in der Gehirnvernetzung gekennzeichnet, d.h. Patienten weisen eine Dysfunktion auf, die mit der Synchronisation der Aktivität zwischen verschiedenen Gruppen von Neuronen im Gehirn zusammenhängt, wie jüngste in der Zeitschrift Cerebral Cortex veröffentlichte Forschungsergebnisse zeigen.
Die Neurowissenschaftler sagen, dass sich die Dysfunktion der Konnektivität zwischen den einzelnen kortikalen Regionen bevorzugt in Bezug auf Neuronencluster in unterschiedlichen Abständen manifestiert.
So zeigten beispielsweise Patienten mit Zwangserkrankungen eine Abnahme der Vernetzung zwischen dem vordersten Teil des orbitofrontalen Cortex und Regionen ihrer unmittelbaren Umgebung, während der hintere Teil desselben Cortex eine Abnahme der Verbindung mit entfernteren Cortizen zeigte.
Erklärung für intrusive Gedanken
Ebenso konnte nachgewiesen werden, dass alle primären sensorischen Hirnrinden (somatosensorische, visuelle, auditorische, gustatorische und olfaktorische) eine Abnahme der Konnektivität mit nahen und fernen neuronalen Gruppen aufwiesen.
Diese Tatsache könnte das Vorhandensein von aufdringlichen, unerwünschten (intrusiven) Gedanken bei Zwangserkrankten als Folge einer ineffizienten sensorischen Filterung erklären, die irrelevante Reize nicht ausschließen würde, schreiben die Forscher um Jesus Pujol und Carles Soriano-Mas.
Defizitäres hemmendes Interneuronensystem im Gehirn
Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass die Zwangsstörung durch ein defizitäres hemmendes Interneuronensystem im Gehirn gekennzeichnet ist, das zu Diskrepanzen bei der Synchronisation der neuronalen Aktivität in verschiedenen Entfernungsskalen führen kann.
Für die Studie wurden 160 erwachsene Patienten mit Zwangsstörung aus der Obsessive Compulsive Disorder Unit des Bellvitge Universitätshospital (Barcelona) rekrutiert, nachdem sie mindestens ein Jahr vor der Studie mit der Störung diagnostiziert worden waren.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Cerebral Cortex (2019). DOI: 10.1093/cercor/bhz008
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