Warum Denken uns ermüden / erschöpfen kann

Eine neuro-metabolische Erklärung dafür, warum tagelange kognitive Arbeit die Kontrolle über ökonomische Entscheidungen verändert

Warum Denken uns ermüden / erschöpfen kann

11.08.2022 Es ist keine Überraschung, dass harte körperliche Arbeit uns erschöpfen kann, aber was ist mit harter geistiger Arbeit? Wenn man stundenlang sitzt und viel nachdenkt, fühlt man sich ebenfalls erschöpft.

Nun haben Forscher neue Erkenntnisse gewonnen, die erklären, warum das so ist. Ihren Ergebnissen zufolge ist der Grund dafür, dass man sich bei intensivem Nachdenken geistig erschöpft (im Gegensatz zu schläfrig) fühlt, nicht nur im Kopf zu suchen.

Ihre in Current Biology veröffentlichte Studie zeigt, dass sich bei intensiver kognitiver Arbeit (Nachdenken) über mehrere Stunden hinweg potenziell toxische Nebenprodukte in dem Teil des Gehirns ansammeln, der als präfrontaler Kortex bekannt ist. Dies wiederum verändert die Kontrolle über Entscheidungen, so dass man sich bei einsetzender kognitiver Ermüdung auf weniger aufwendige Handlungen verlegt, die keine Anstrengung oder Warten erfordern, erklären die Forscher.

Geistige Erschöpfung eine vom Gehirn erzeugte Illusion?

„Vorherrschende Theorien besagen, dass Erschöpfung eine Art vom Gehirn erzeugte Illusion ist, damit wir mit einer Tätigkeit aufhören und uns einer anderen zuwenden sollen, die uns mehr Freude bereitet“, sagt Mathias Pessiglione von der Universität Pitié-Salpêtrière in Paris. „Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass kognitive Arbeit zu einer echten funktionellen Veränderung führt – der Akkumulation schädlicher Substanzen -, so dass Erschöpfung tatsächlich ein Signal für die Unterbrechung einer Arbeit ist, allerdings zu einem anderen Zweck: um die Integrität der Gehirnfunktion zu erhalten.

Pessiglione und Kollegen, darunter der Erstautor der Studie Antonius Wiehler, wollten verstehen, was geistige Erschöpfung (Fatigue) wirklich ist. Während Maschinen ununterbrochen rechnen können, kann das Gehirn das nicht. Sie wollten herausfinden, warum. Sie vermuteten, dass der Grund mit der Notwendigkeit zusammenhängt, potenziell toxische Substanzen zu recyceln, die bei neuronaler Aktivität entstehen.

Anzeichen von Erschöpfung nur bei geistig hart arbeitenden Probanden

Zur Untersuchung dieser neuronalen Aktivität verwendeten sie die Magnetresonanzspektroskopie (MRT), um die Gehirnchemie im Laufe eines Arbeitstages zu überwachen. Sie untersuchten zwei Gruppen von Menschen: Personen, die während des Experiments viel denken sollten, und diejenigen, die relativ leichte kognitive Aufgaben hatten.

Anzeichen von Erschöpfung, einschließlich einer verringerten Pupillenerweiterung, sahen sie nur in der Gruppe, die schwer kognitiv arbeiten musste. Probanden dieser Gruppe wählten auch eher Optionen, die eine Belohnung bei kurzer Verzögerung und geringer Anstrengung versprachen.

Höhere Glutamatwerte in den Synapsen des präfrontalen Kortex

Wichtig ist auch, dass sie höhere Glutamatwerte in den Synapsen des präfrontalen Kortex aufwiesen. Zusammen mit früheren Erkenntnissen stützt dies nach Ansicht der Autoren die Vorstellung, dass die Anhäufung von Glutamat eine weitere Aktivierung des präfrontalen Kortex kostspieliger macht, so dass die kognitive Kontrolle nach einem geistig anstrengenden Arbeitstag schwieriger ist.

Gibt es also einen Weg, diese Einschränkung der Denkfähigkeit unseres Gehirns zu umgehen?

Ruhe und Schlaf räumen Glutamat aus den Synapsen

„Nicht wirklich, fürchte ich“, sagte Pessiglione. „Ich würde die guten alten Rezepte anwenden: Ruhe und Schlaf! Es gibt gute Belege dafür, dass Glutamat im Schlaf aus den Synapsen entfernt wird.“

Es könnte noch weitere praktische Auswirkungen geben. So könnte die Überwachung der präfrontalen Stoffwechselprodukte dazu beitragen, schwere geistige Erschöpfung zu erkennen, so die Forscher. Eine solche Möglichkeit könnte die Anpassung von Arbeitsplänen zur Vermeidung von Burnout erleichtern. Außerdem rät er, wichtige Entscheidungen nicht in einem erschöpften Zustand zu treffen.

In künftigen Studien wollen sie herausfinden, warum der präfrontale Kortex besonders anfällig für Glutamatansammlungen und Erschöpfung zu sein scheint. Außerdem wollen sie untersuchen, ob dieselben Marker für Erschöpfung im Gehirn eine Vorhersage über die Genesung von Krankheiten wie Depression oder Krebs treffen können.

© Psylex.de – Quellenangabe: Current Biology (2022). DOI: 10.1016/j.cub.2022.07.010

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