Studie untersuchte, warum bzw. wie das Gehirn Realität und Imagination verwechselt
24.04.2023 Je lebhafter eine Person sich etwas vorstellt, desto wahrscheinlicher hält sie es für real laut einer neuen Studie von Forschern des University College London.
An der in Nature Communications veröffentlichten Studie nahmen mehr als 600 Personen teil, die sich in einem Online-Experiment abwechselnd schwarze und weiße Linien vorstellen sollten, während sie auf einen Computerbildschirm blickten.
Nachdem sie sich einen Stimulus vorgestellt hatten, sollten die Teilnehmer angeben, wie lebhaft sie ihn sich vorstellen konnten.
Ganz am Ende des Experiments wurde dann ohne das Wissen der Teilnehmer ein tatsächlicher Stimulus mit denselben Merkmalen wie die, die sich die Teilnehmer imaginierten, nach und nach auf dem Computerbildschirm eingeblendet. Die Teilnehmer sollten dann bewerten, wie lebhaft sie sich den Reiz vorstellten, und beschreiben, ob das, was sie sahen, real oder eingebildet war.
Die Ergebnisse zeigten, dass sich die imaginierten und die wahrgenommenen Reize in den Köpfen der Teilnehmer vermischten. Wenn zum Beispiel ein realer Stimulus eingeblendet wurde, glaubten die Teilnehmer, dass ihre Vorstellung einfach lebhafter geworden war.
Gehirn kodiert Stärke oder Lebendigkeit von realen und eingebildeten Reizen auf ähnliche Weise
Bei einer lebhafteren Imagination hingegen glaubten die Teilnehmer eher, dass sie einen realen Reiz gesehen hatten – auch wenn ihnen nichts präsentiert wurde.
Die Hauptautorin Dr. Nadine Dijkstra (Wellcome Center for Human Neuroimaging am UCL) sagte: „Im täglichen Leben stellen wir uns oft Dinge vor, die nicht da sind. Wenn wir zum Beispiel gefragt werden, ob die Ohren einer Katze rund oder spitz sind, sehen wir uns vielleicht ein Bild vor unserem geistigen Auge an, um die Frage zu beantworten.“
„Die Neurowissenschaft hat herausgefunden, dass Vorstellungskraft und Wahrnehmung auf sich überschneidenden Verschaltungen im Gehirn beruhen. Wir wollten wissen, ob diese Überschneidung zu einer Verwechslung der beiden führt: Wenn dieselben Schaltkreise beteiligt sind, wie können wir dann sicher sein, was real ist und was nicht?“
Die Forscher verwendeten ein Computermodell, um festzustellen, ob das Ergebnismuster mit der Theorie übereinstimmt, dass Menschen anhand der Lebendigkeit des Erlebnisses beurteilen, ob etwas real oder eingebildet ist.
Das Team bestätigte dieses Modell mit Hilfe der Neurobildgebung und zeigte, dass das Gehirn die Stärke oder Lebendigkeit von realen und eingebildeten Reizen auf ähnliche Weise kodiert – und dabei Realität und Imagination verwechselt.
Kein kategorischer Unterschied zwischen Imagination und Realität
Dijkstra: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es keinen kategorischen Unterschied zwischen Imagination und Realität gibt, sondern dass es sich um einen graduellen und nicht um einen generellen Unterschied handelt.“
Hauptautor Professor Stephen Fleming (UCL Psychology & Language Sciences, Wellcome Center for Human Neuroimaging am UCL und Max Planck UCL Center for Computational Psychiatry & Aging Research) fügte hinzu: „Normalerweise ist die Vorstellungskraft relativ schwach, so dass wir sie nicht mit der Realität verwechseln. Wenn die Imagination jedoch stark oder lebhaft genug ist, kann sie als real angesehen werden“.
„In Szenarien der nahen Zukunft, in denen die Hirnstimulation oder die Technologie der virtuellen Realität zu neuen Quellen starker sensorischer Signale werden, lassen unsere Ergebnisse vermuten, dass es schwieriger sein könnte als wir denken, zwischen Realität und Irrealität zu unterscheiden.“
© Psylex.de – Quellenangabe: Dijkstra, N., Fleming, S.M. Subjective signal strength distinguishes reality from imagination. Nat Commun 14, 1627 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-37322-1