Wo und wie im Gehirn Neugier entsteht

Neuronale Repräsentationen von sensorischer Ungewissheit und Sicherheit stehen in Zusammenhang mit ‚Wahrnehmungsneugier‘

Wo und wie im Gehirn Neugier entsteht

11.07.2024 Sie blicken in den klaren blauen Himmel und sehen etwas, das Sie nicht genau identifizieren können. Ist es ein Ballon? Ein Flugzeug? EIN UFO? SUPERMAN? Sie sind neugierig, richtig? Ein Forscherteam des Zuckerman-Instituts der Columbia University hat zum ersten Mal beobachtet, was im menschlichen Gehirn passiert, wenn solche Gefühle der Neugierde aufkommen.

In einer im Journal of Neuroscience veröffentlichten Studie deckten die Wissenschaftler Hirnareale auf, die den Grad der Unsicherheit in visuell mehrdeutigen Situationen zu bewerten scheinen, was zu subjektiven Gefühlen der Neugier führt.

„Neugier hat einen tiefgreifenden biologischen Ursprung“, sagt Studienautorin Dr. Jacqueline Gottlieb. Der primäre evolutionäre Nutzen der Neugier bestünde darin, Lebewesen zu ermutigen, ihre Welt zu erforschen, um ihr Überleben zu sichern.

In der Studie setzten die Forscher eine nicht-invasive, weit verbreitete Technologie ein, um Veränderungen des Blutsauerstoffgehalts im Gehirn von 32 Freiwilligen zu messen. Mit der sogenannten funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) konnten die Wissenschaftler aufzeichnen, wie viel Sauerstoff verschiedene Teile des Gehirns der Probanden verbrauchten, während sie Bilder betrachteten. Je mehr Sauerstoff eine Hirnregion verbraucht, desto aktiver ist sie.

Um die an der Neugier beteiligten Hirnregionen aufzudecken, präsentierte das Forscherteam den Teilnehmern spezielle Bilder, sogenannte Texforms. Dabei handelt es sich um Bilder von Objekten wie einem Walross, einem Frosch, einem Panzer oder einem Hut, die in unterschiedlichem Maße verzerrt wurden, damit sie mehr oder weniger schwer zu erkennen sind.

Sicherheit und Neugier

Die Teilnehmer sollten ihre Sicherheit und Neugier in Bezug auf jede Texform einschätzen und stellten fest, dass die beiden Bewertungen in umgekehrtem Verhältnis zueinander standen. Je sicherer die Probanden waren, dass sie wussten, was die Texform darstellte, desto weniger neugierig waren sie auf sie. Umgekehrt waren die Probanden umso neugieriger, je weniger sie sich sicher waren, dass sie die Texform erraten konnten.

Mithilfe der fMRT untersuchten die Forscher dann, was im Gehirn geschah, während den Probanden die Texformen präsentiert wurden. Die Hirnscan-Daten zeigten eine hohe Aktivität im okzipitotemporalen Cortex (OTC), einer Region direkt über den Ohren, von der seit langem bekannt ist, dass sie beim Sehen und beim Erkennen von Objektkategorien eine Rolle spielt.

Auf der Grundlage früherer Studien erwarteten die Forscher, dass diese Hirnregion, wenn sie den Teilnehmern klare Bilder präsentierten, unterschiedliche Aktivitätsmuster für belebte und unbelebte Objekte zeigen würde. „Man kann sich jedes Muster als einen ‚Strichcode‘ vorstellen, der die Texformkategorie identifiziert“, sagte Gottlied.

Die Forscher nutzten diese Muster zur Entwicklung eines Maßes, das sie als „OTC-Unsicherheit“ bezeichneten und das angibt, wie unsicher dieser kortikale Bereich hinsichtlich der Kategorie einer verzerrten Texform war. So zeigte sich, dass die OTC-Aktivität bei weniger neugierigen Versuchspersonen nur einem Strichcode entsprach, als ob dieser eindeutig kennzeichnete, ob das Bild zur Kategorie „belebt“ oder „unbelebt“ gehörte. Wenn die Versuchspersonen dagegen neugieriger waren, wies ihr OTC Merkmale beider Strichcodes auf, so als ob sie die Bildkategorie nicht eindeutig identifizieren konnten.

Ventromedialer präfrontaler und anteriorer cingulärer Cortex

Zwei Regionen im vorderen Teil des Gehirns waren während der Texform-Präsentation ebenfalls aktiv. Bei der einen handelt es sich um den anterioren cingulären Cortex, der in früheren Studien mit der Informationsaufnahme in Verbindung gebracht wurde. Der andere ist der ventromediale präfrontale Cortex (vmPFC), der an der Überwachung der subjektiven Wert- und Vertrauenswahrnehmung einer Person in verschiedenen Situationen beteiligt ist. In der neuen Studie waren beide Bereiche aktiver, wenn die Probanden angaben, dass sie die Identität eines Textes besser kennen (und daher weniger neugierig auf das klargestellte Bild waren).

Wichtig ist, so Gottlieb, dass die Aktivität des vmPFC eine neurologische Brücke zwischen dem subjektiven Gefühl der Neugier und der OTC-Gewissheitsmessung zu bilden scheint. Es ist, als ob diese Region die Unsicherheit, die durch das verteilte Aktivitätsmuster im OTC kodiert wird, ausliest und einer Person hilft zu entscheiden, ob sie neugierig auf die Texform sein muss.

„Dies ist das erste Mal, dass wir das subjektive Gefühl der Neugier auf eine Information mit der Art und Weise in Verbindung bringen können, wie das Gehirn diese Information darstellt“, sagte Gottlieb.

Mechanismus auch auf andere Formen der Neugierde übertragbar

Die Studie hat zwei wichtige Implikationen, so Gottlieb. Erstens: Obwohl sich die Studie auf die durch visuelle Reize ausgelöste Wahrnehmungsneugier konzentrierte, erleben Menschen auch andere Formen der Neugier, wie z. B. die Neugier auf Trivialfragen und Sachfragen (z. B. wie hoch ist der Eiffelturm?) oder soziale Neugier (in welches Restaurant sind meine Freunde gestern Abend gegangen?).

Eine interessante Möglichkeit der Studie besteht darin, dass der entdeckte Mechanismus auch auf andere Formen der Neugierde übertragbar ist. So könnte eine fMRT-Studie, die Geräusche mit unterschiedlicher Erkennbarkeit untersucht, zeigen, dass auditorische Bereiche im Gehirn die Unsicherheit bezüglich des Geräuschs vermitteln und der vmPFC diese Unsicherheit ausliest, um die Neugier zu bestimmen.

Eine zweite Möglichkeit laut Gottlieb ist, dass die Ergebnisse diagnostische und sogar therapeutische Auswirkungen auf Menschen mit Depressionen, Apathie oder Anhedonie (die Unfähigkeit, Freude zu empfinden) haben könnten, die häufig durch einen Mangel an Neugier gekennzeichnet sind.

„Neugier ist eine Art Enthusiasmus, eine Bereitschaft, Energie aufzuwenden und die Umgebung zu erforschen. Und sie ist intrinsisch motiviert, d. h. niemand bezahlt Sie dafür, dass Sie neugierig sind; Ihre Neugier beruht lediglich auf der Hoffnung, dass etwas Gutes dabei herauskommt, wenn Sie etwas lernen“, sagte Gottlieb. „Das sind nur einige der erstaunlichen Eigenschaften der Neugier.“

© Psylex.de – Quellenangabe: The Journal of Neuroscience (2024). DOI: 10.1523/JNEUROSCI.0974-23.2024

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