Worin das Geheimnis der Samba-Musik liegt

Feeling the Groove: Warum uns Samba besonders zum Tanzen bringt

Worin das Geheimnis der Samba-Musik liegt

02.03.2022 Die Karnevalsumzüge in Rio de Janeiro machen es jedes Jahr aufs Neue deutlich: Sambarhythmen reißen die Menschen mit – sie entlocken ihnen ausgelassene Bewegungen und lösen enorme Freude aus. Worin aber liegt das Geheimnis dieser Musik und die Ausdruckskraft der Trommelgruppen?

WissenschaftlerInnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) und des D’OR Institut für Forschung und Lehre in Rio de Janeiro haben jetzt herausgefunden: Es ist die Synchronie, mit der die MusikerInnen zusammenspielen. Die aktiviert besonders die Hirnareale, in denen Rhythmus und Bewegung verarbeitet werden und die zu Vorhersagen beitragen.

Der Karneval am Zuckerhut n Brasilien ist einzigartig. Charakteristisch für die Umzüge sind die Trommeleinheiten von hunderten Perkussionisten, die mit ihren Rhythmen die Gesänge und den Umzug einer Sambaschule begleiten. Diese Gruppen versetzen nicht nur die MusikerInnen und TänzerInnen selbst in Ekstase. Sondern auch die meisten ZuschauerInnen. Die werden von der Stimmung mitgerissen, bewegen sich ausgelassen und fühlen sich mit den Menschen um sich herum verbunden. Darunter selbst Menschen, die sich eigentlich als Karneval- und Tanzmuffel bezeichnen.

Annerose Engel, Neurowissenschaftlerin und Neuropsychologin am MPI CBS und dem Universitätsklinikum Leipzig wollte wissen: Was steckt in der Trommelmusik, dass sie ein derart starkes Gefühl von „Groove“ auslöst, also die Freude und den unwiderstehlichen Drang, sich zu bewegen und zu tanzen? Welchen Einfluss haben dabei das synchrone Zusammenspiel der MusikerInnen oder die Lautstärke? Und was passiert im Gehirn, wenn wir diesen Groove empfinden?

Um das herauszufinden, reiste Annerose Engel nach Rio de Janeiro, Brasilien, und engagierte einen anerkannten Meister einer Samba-Trommeleinheit. Der nahm die typischen neun Rhythmusinstrumente auf und arrangierte daraus ein typisches Musikstück. Im Anschluss daran variierte Engel diese Aufnahmen, indem sie das Zusammenspiel dieser Instrumentengruppen manipulierte. Im Mittelpunkt standen dabei die snare drums, die Marschtrommeln, die der Gruppe einen akzentuierten stetigen Puls vorgeben. Sie erklangen entweder in ihrer Originalversion ohne Verzögerung – oder mit 28, 55 oder 83 Millisekunden Verzögerung im Verhältnis zu den anderen Instrumenten. So, als spiele die gesamte Truppe nicht mehr exakt im Takt.

Diese Versionen bekamen zuerst 12 StudienteilnehmerInnen in unterschiedlicher Lautstärke  (laut mit 85 db oder sehr laut mit 95 db) zu hören. Sie beurteilten jeweils, wie stark ihr Drang war, sich dazu zu bewegen und wie angenehm sie die Aufnahmen empfanden. In einem zweiten Experiment lauschten weitere 21 StudienteilnehmerInnen den Musikausschnitten, während ihre Gehirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomographie gemessen wurde. Dabei nahmen nur die Menschen an der Studie teil, die Sambarhythmen mochten und meist selbst den Samba Rhythmus auch spielen konnten.

Es zeigte sich: Die Trommeleinheiten, die exakt im Takt spielten, wurden als besonders angenehm und animierend wahrgenommen. Selbst kleine Abweichungen vom Takt (weniger als 50 ms) lösten noch Freude beim Hören und die Lust zu tanzen, also das Groove Gefühl, aus. Je lauter die Stücke ertönten, desto stärker wurde der Drang, sich zu bewegen – jedoch nur dann, wenn die Instrumente im Takt spielten. Interessanterweise waren StudienteilnehmerInnen, die in einem Test ein besonders gutes Rhythmusgefühl zeigten, besonders sensitiv für die Manipulation der Synchronie zwischen den Instrumentengruppen.

Dieses Groove-Erleben spiegelte sich auch in den Hirnprozessen der TeilnehmerInnen wider. Je synchroner die Trommeln der verschiedenen Instrumentengruppen erklangen, desto aktiver war ein Netzwerk, das für Bewegungen und die Wahrnehmung von Rhythmen zuständig ist: Das supplementär-motorische Areal, der linke prämotorische Cortex und der linke frontale Gyrus. Diese Hirnregionen treten nicht nur bei Bewegungen in Aktion, sondern auch, wenn etwas vorhergesagt werden soll – ein fundamentaler Prozess unserer Wahrnehmung. „Die Aktivität im Netzwerk dieser motorisch assoziierten Regionen könnte die neuronale Grundlage für das Empfinden von Groove sein, insbesondere dem ausgeprägten Bewegungsdrang“, erklärt Engel, Erstautorin der zugrundeliegenden Studie, die jetzt im Fachmagazin „Frontiers of Neuroscience“ erschienen ist. „Je synchroner die Instrumente zusammenspielen, desto klarer kann der zugrundeliegende Takt erfasst werden. Das vereinfacht vermutlich die Vorhersageprozesse.“

Zudem könnte die Wahrnehmung von Synchronie zwischen den Instrumenten auch eine soziale Verbundenheit erzeugen. Ein Teil der StudienteilnehmerInnen gab an, bei Sambamusik besonders intensive Emotionen zu empfinden. Bei ihnen, den sogenannten deep listeners, zeigte sich während der synchronen Trommeleinheiten eine stärkere Aktivität im subgenualen cingulären Kortex – einer Hirnregion, in der soziale Bindung, prosoziales Verhalten und Gruppenidentifikation verarbeitet wird. Vermutlich triggert die Wahrnehmung von Synchronie Kopplungsprozesse im Gehirn, die wiederum eine wichtige Rolle beim emotionalen Erleben haben.

Die ForscherInnen gehen davon aus, dass sich die Beobachtungen auch auf andere Musikstile wie Jazz oder elektronische Musik aber auch auf rituelle Trommelmusik anderer Kulturen übertragen lassen. Je besser das Zusammenspiel zwischen MusikerInnen oder Klängen, desto klarer der Puls – und desto stärker das erzeugte Groove-Empfinden.

„Diese Erkenntnisse könnten uns auch in der Neurorehabilitation helfen“, sagt Engel. Für die Behandlung eines Schlaganfalls oder anderer neurologischer Erkrankungen wird Musik gezielt eingesetzt, um durch rhythmische Stimulation Bewegungsabläufe aber auch Aufmerksamkeit und andere kognitive Fähigkeiten zu trainieren. „Musik, die ein Groove-Erleben fördert, könnte sich dafür besonders eignen“, so die Neuropsychologin.

Zu Hörbeispielen aus der Studie geht es hier.

Quellenangabe: Pressemitteilung Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften

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