Genesung von einer Alkoholerkrankung: Langfristige Abstinenz, begleitet von Veränderungen im Gehirn und emotionalen Verbesserungen
29.08.2021 In einer neuen Studie – veröffentlicht in der Zeitschrift Alcoholism: Clinical and Experimental Research – wurden die Zusammenhänge zwischen Trinkverhalten, Stimmung und Gehirnveränderungen bei Frauen und Männern während der Genesung von einer Alkoholerkrankung untersucht.
Es war bereits bekannt, dass die Genesung von Alkoholismus mehrdimensional ist, mit Verhaltensänderungen – vom Aufhören mit starkem Alkoholkonsum bis hin zu völliger Abstinenz -, die mit einer teilweisen Umkehrung der alkoholbedingten Hirnschäden einhergehen.
Während der Zusammenhang zwischen früher Abstinenz (der „Entzugsphase“), negativer Stimmung und geschlechtsspezifischen Auswirkungen des Alkohols auf das „Belohnungssystem“ des Gehirns gut bekannt ist, gibt es immer mehr Belege dafür, dass Alkoholiker in langfristiger Abstinenz (mehr als fünf Jahre) ein höheres Maß an subjektivem Glücksempfinden und emotionalem Wohlbefinden sowie ein deutlich geringeres Risiko eines Rückfalls aufweisen.
Wie diese langfristigen Verhaltens- und Gefühlsverbesserungen mit den zugrundeliegenden Hirnveränderungen zusammenhängen und wie sie sich möglicherweise zwischen Männern und Frauen unterscheiden, ist jedoch noch unbekannt.
Aspekte des Genesungsprozesses
Um diese Aspekte des Genesungsprozesses besser zu verstehen und zu charakterisieren, untersuchten die Forscher der Studie die Zusammenhänge zwischen der Dauer der Abstinenz, den emotionalen Zuständen und strukturellen Messungen von Gehirnregionen, die an der emotionalen Verarbeitung beteiligt sind, bei abstinenten Männern und Frauen mit Alkoholabhängigkeit.
An der Studie von Benjamin L. Thompson von der Yale School of Medicine und Kollegen nahmen sechzig Personen aus dem Raum Boston mit einer klinischen Diagnose einer Alkoholerkrankung und einer Vorgeschichte von fünf oder mehr Jahren starken Alkoholkonsums teil, die mindestens vier Wochen lang alkoholabstinent gewesen waren.
In dieser Gruppe reichte die Dauer der Abstinenz von 4 Wochen bis zu 38 Jahren (Durchschnitt 6 Jahre). Weitere sechzig Personen ohne Alkoholkonsumstörung wurden als Kontrollgruppe herangezogen.
Alle Teilnehmer unterzogen sich einer Reihe von strukturierten Interviews, in denen sie detaillierte Informationen über ihre Trinkgeschichte, die Dauer der Abstinenz (als Maß für erholungsbezogenes Verhalten) und ihre Stimmung erzählten, und unterzogen sich MRT-Scans, mit denen die Größe (Volumen) bestimmter Unterregionen des Belohnungssystems im Gehirn gemessen werden konnte.
Die Forscher verwendeten statistische Modelle, um die Volumina der Gehirnregionen und die Stimmungslage von kurz- bis mittelfristigen Abstinenzlern (weniger als fünf Jahre abstinent), Langzeitabstinenzlern (mindestens fünf Jahre abstinent) und Kontrollpersonen zu vergleichen.
Es wurden Unterschiede zwischen Männern und Frauen untersucht, und alle Analysen wurden um Unterschiede in Bezug auf Alter, Bildung, Schwere des Alkoholkonsums und verbalen IQ bereinigt. Personen mit mittelschweren bis schweren Depressionen wurden ausgeschlossen.
Auswirkungen der Abstinenz auf Gehirn und Emotionen
Die Forscher fanden heraus, dass die kurz- bis mittelfristigen Abstinenzler im Vergleich zur Kontrollgruppe eine niedrigere positive Stimmung und eine höhere negative Stimmung aufwiesen, die beide mit strukturellen Unterschieden in den Gehirnregionen zusammenzuhängen schienen, die an der Schmerzverarbeitung und an sozialen Emotionen beteiligt sind.
Im Gegensatz dazu wiesen Langzeitabstinenzler im Vergleich zur Kontrollgruppe eher normale Stimmungsprofile auf, mit Ausnahme höherer Depressionswerte, in Verbindung mit ihrem eigenen charakteristischen neuronalen Profil.
Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Die Forscher fanden auch signifikante Unterschiede zwischen alkoholabhängigen Männern und Frauen mit unterschiedlicher Dauer der Abstinenz.
Im Vergleich zu Männern mit Alkoholsucht wiesen Frauen mit Alkoholerkrankung signifikant größere Volumina bestimmter Unterregionen des Gehirns sowie größere positive Stimmungswerte für eine bestimmte Dauer der Abstinenz auf, was frühere Belege für geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Auswirkungen des Alkoholismus und bei der Gehirnstruktur und -funktion während der Genesung erweitert.
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass bei Personen, die sich in der Genesung von einer Alkoholerkrankung befinden, die Abstinenz selbst eine eigene Art von Verhaltensintervention zur Veränderung des Gehirns und letztlich zur Veränderung der negativen Stimmungen und Emotionen darstellen kann, die häufig zu einem Rückfall führen, schreiben die Studienautoren.
Darüber hinaus deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass negative Gefühle sowohl bei Männern als auch bei Frauen in der frühen Abstinenz nicht als negatives Feedback interpretiert werden müssen, also dass emotionales Unbehagen ein Zeichen dafür ist, dass in der Genesung etwas „falsch“ läuft.
Vielmehr können solche Gefühle erfolgreich antizipiert und als notwendiger Weg zu dauerhafter Remission und Wohlbefinden akzeptiert werden. Um die Ergebnisse und ihre klinische Relevanz zu untermauern, müssen die Veränderungen bei den Betroffenen im Laufe der Zeit untersucht werden, schließen die Autoren.
© Psylex.de – Quellenangabe: Alcoholism: Clinical and Experimental Research (2021). DOI: 10.1111/acer.14658