Ängstliche Menschen nutzen einen weniger geeigneten Teil des Gehirns, um ihre Emotionen zu kontrollieren
15.08.2023 Bei der Wahl ihres Verhaltens in sozial schwierigen Situationen nutzen ängstliche Menschen einen weniger geeigneten Teil des Vorderhirns als Menschen, die nicht ängstlich sind. Dies lässt sich in Gehirnscans nachweisen, wie die Forschungen von Bob Bramson und Sjoerd Meijer am Donders-Institut der Radboud-Universität zeigen.
Ein Beispiel: Eine ängstliche und eine nicht ängstliche Person treffen beide auf jemanden, in den sie schon seit längerem verliebt sind. Beide finden das sehr aufregend und würden die Person gerne zu einem Date einladen. Aber geht man auf die Person zu? Oder tut man so, als würde man sie nicht sehen, um Peinlichkeiten zu vermeiden?
Während die nicht ängstliche Person diese Emotionen beiseite schieben und ein Verhalten wählen kann, das es ihr erlaubt, sich dem potenziellen Liebespartner zu nähern, ist dies für eine ängstliche Person viel schwieriger. Bramson erklärt: „Ängstliche Menschen nutzen einen weniger geeigneten Teil des Vorderhirns für diese Kontrolle. Es ist für sie schwieriger, sich für ein alternatives Verhalten zu entscheiden, weshalb sie soziale Situationen häufiger meiden.“
Entscheidungen wie diese erfordern eine Abwägung zwischen einer möglichen Bedrohung und einer Belohnung, eine Entscheidung, die nicht-ängstliche Menschen im präfrontalen Kortex treffen. Die Forscher der Radboud-Universität haben nun gezeigt, dass sozial ängstliche Menschen für solche Entscheidungen einen anderen Bereich im Vorderhirn nutzen.
Präfrontaler und motorischer Kortex
Bramson und Meijer untersuchten Gehirnscans, um zu sehen, was bei ängstlichen und nicht-ängstlichen Menschen in einer simulierten sozialen Situation passiert. „Unseren Versuchspersonen wurden fröhliche und wütende Gesichter gezeigt, und sie sollten zunächst einen Joystick in Richtung des fröhlichen Gesichts und weg von dem wütenden Gesicht bewegen. An einem bestimmten Punkt sollten sie dann die umgekehrte Bewegung machen: auf ein wütendes Gesicht zu- und von einem glücklichen Gesicht weggehen. Dies erfordert die Kontrolle über unsere automatische Tendenz, negative Situationen zu vermeiden.“
Es zeigte sich, dass ängstliche Menschen bei dieser einfachen Aufgabe genauso gut abschnitten wie nicht-ängstliche Menschen, aber die Scans zeigten, dass ein ganz anderer Teil des Gehirns aktiv war. „Bei nicht-ängstlichen Menschen sehen wir oft, dass während der emotionalen Kontrolle ein Signal vom vordersten Teil des präfrontalen Kortex an den motorischen Kortex gesendet wird, den Teil des Gehirns, der den Körper zum Handeln anweist. Bei ängstlichen Menschen wird ein weniger effizienter Teil dieses vorderen Teils verwendet.
Überstimulation
Andere Scans zeigten, dass der Grund dafür wahrscheinlich darin liegt, dass der „richtige“ Bereich bei ängstlichen Menschen überstimuliert wird. „Dies könnte erklären, warum ängstliche Menschen Schwierigkeiten haben, ein alternatives Verhalten zu wählen und daher soziale Situationen vermeiden. Das hat den Nachteil, dass sie nie lernen, dass soziale Situationen nicht so negativ sind, wie sie denken.
Gehirnscans haben nun erstmals gezeigt, dass das Vorderhirn von ängstlichen Menschen anders funktioniert als das von nicht-ängstlichen Menschen, wenn es um die Kontrolle von emotionalem Verhalten geht. Die Forscher sind der Ansicht, dass die Ergebnisse dieser in Nature Communications veröffentlichten Studie zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden für Menschen mit Angststörungen genutzt werden könnten.
© Psylex.de – Quellenangabe: Nature Communications (2023). DOI: 10.1038/s41467-023-40666-3
News zu Angst und das Gehirn
- Ängstliche Menschen nutzen einen weniger geeigneten Teil des Gehirns, um ihre Emotionen zu kontrollieren
- (Warum) Angst stinkt
- Angst kann das Gehirn schädigen
- Wie sich Angst aus den Traumata anderer entwickeln kann
- Ängstlichkeit als Persönlichkeitsmerkmal und Angst als Zustand befinden sich an unterschiedlichen Orten im menschlichen Gehirn
- Angst ist mehr als eine simple Reaktion in den Amygdalae
- Weitere News- / Forschungsartikel dazu
(Warum) Angst stinkt
Ein neue Hirnstudie zeigt, dass wenn Menschen verängstigt sind, ursprünglich neutrale Gerüche (im Gehirn) als unangenehm bewertet werden.
Negative Feedbackschleife
Laut den Neuroforschern kann dies zu einer negativen Feedbackschleife führen, die die seelische Bedrängnis erhöhen, und in Probleme wie Angststörung und Depression resultieren kann.
Mit Hilfe von behavioralen Techniken und funktioneller Kernspintomographie (fMRT) untersuchte das Forscherteam der Psychologin Dr. Wen Li (Universität von Wisconsin-Madison Waisman Center) die Gehirnaktivitäten von zwölf verängstigten Personen, während diese neutrale Gerüche schnupperten.
Neutrale Gerüche rochen abstossend
Vor dem Beginn der MRT, in der sich die Probanden eine Serie beängstigende Bilder und Texte ansahen, wurden sie einer Reihe neutraler Gerüche ausgesetzt, die von ihnen beurteilt werden sollten.
Sobald sie aus der MRT entlassen wurden, sollten sie die neutralen Gerüche erneut bewerten. Dieses Mal beurteilten die meisten Teilnehmer die Gerüche negativ (die sie zuvor als neutral bewertet hatten).
Im Verlauf des Experiments, beobachteten die Forscher, dass zwei bestimmte und normalerweise unabhängige Schaltkreise des Gehirns – der eine auf die Geruchsverarbeitung, der andere auf Emotion spezialisiert – sich unter den Bedingungen der Angst miteinander verknüpften.
Geruchs- und emotionales System arbeiten bei Angst zusammen
Bei der typischen Geruchsverarbeitung wird normalerweise nur das Geruchssystem aktiviert, sagte Li.
Aber, wenn eine Person ängstlich ist, schaltet sich das emotionale System hinzu.
Obwohl die zwei Systeme des Gehirns nebeneinander liegen, gibt es unter normalen Umständen nur wenig Interaktion zwischen den beiden, sagte er. Jedoch, in der Situation der induzierten Angst, beobachteten die Forscher die Entstehung eines einheitlichen Netzwerks zwischen den beiden Systemen.
Wir erfahren etwas, das uns einen Schrecken einjagt, und als Ergebnis sehen wir die Welt negativer, sagte Li.
Teufelskreislauf hin zur Angststörung
Die Umwelt/Umgebung riecht schlecht im Kontext der Ängstlichkeit. Dies kann sich zu einem Teufelskreislauf entwickeln, der einen hinsichtlich eines klinischen Zustands der Angst (also Angststörung) anfälliger macht, wenn sich die Effekte akkumulieren.
Es kann potentiell zu einer höheren Ebene emotionaler Störungen mit steigendem umgebungssensorischen (durch die andere Wahrnehmung der Umgebung) Stress führen.
© PSYLEX.de – Quelle: Universität von Wisconsin-Madison, Sept. 2013
Angst kann das Gehirn schädigen
Leichte kognitive Beeinträchtigung ist bekannt dafür, das Risiko für Alzheimer zu erhöhen; eine neue Studie zeigt nun, dass Angst dieses Risiko beträchtlich erhöht.
Die Befunde der in The American Journal of Geriatric Psychiatry veröffentlichten Studie zeigen zum ersten Mal, dass Angstsymptome bei Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (LKB; auch Leichte kognitive Störung genannt) das Risiko für einen schnelleren Verlust von kognitiven Funktionen erhöhen – unabhängig von Depression (einem anderen Risikomarker). Bei LKB-Patienten mit leichter, moderater oder schwerwiegender Angst stieg das Alzheimerrisiko um 33, 78 bzw. 135 Prozent.
Das Forscherteam des Baycrest Health Sciences‘ Rotman Research Institute stellte auch fest, dass LKB-Patienten, die irgendwann von Angstsymptomen in der Nachtestperiode berichtet hatten, größere Raten von Atrophie (Schwund) in den Regionen des Temporallappens zeigten – die Schläfenlappen des Gehirns sind besonders wichtig, um Erinnerungen abzuspeichern, und sind von der Alzheimerentwicklung betroffen.
Für die Studie griffen die Forscher auf die Daten einer Alzheimer-Forschungsarbeit mit 376 Erwachsenen mit LKB im Alter von 55 bis 91 zu, bei denen über drei Jahre (alle sechs Monate) das Gehirn mit bildgebenden Verfahren auf strukturelle Veränderungen untersucht worden waren; außerdem wurden Angst, Depression und kognitive Veränderungen erfasst. Alle Teilnehmer hatten einen niedrigen Depressionsscore, so dass dieser Risikofaktor ausgeschlossen werden konnte.
Unsere Befunde legen nahe, dass Kliniker Menschen mit Gedächtnisproblemen routinemäßig auf Angststörungen, Ängste screenen sollten, denn Angst signalisiert, dass diese Personen ein größeres Risiko für die Entwicklung von Alzheimer haben, sagte die leitende Autorin Linda Mah.
© PSYLEX.de – Quelle: The American Journal of Geriatric Psychiatry / Baycrest Health Sciences‘ Rotman Research Institute, November 2014
Wie sich Angst aus den Traumata anderer entwickeln kann
Soziales Angstlernen – Entstehung von Angststörungen
26.05.2017 Was passiert in unserem Gehirn, wenn andere Menschen ein Trauma erleben oder Schmerzen ausgesetzt sind? Nun, die gleichen Regionen im Gehirn – die beteiligt sind, wenn wir Schmerzen selbst fühlen – werden auch aktiviert, wenn wir andere Menschen bei scheinbar schmerzlichen Erfahrungen beobachten.
Unterschiedlich ausgeprägte Angstsensitivität
In einer Studie des Karolinska Institutet konnten die Wissenschaftler zeigen, dass wir aber unterschiedlich empfindlich auf die Angst anderer Menschen reagieren, und eine Erklärung dafür scheint im endogenen Opioidsystem zu liegen.
Wenn andere Schmerzen oder Angst zeigen, gibt uns das wichtige Informationen über Dinge um uns herum, die gefährlich sind und vermieden werden sollten. Manchmal aber können wir auch Angst vor Situationen entwickeln, die rational nicht gefährlich sind.
Das Opioidsystem soll Schmerzen und Angst lindern, aber es funktioniert nicht so effektiv bei uns allen, was einer der Gründe sein könnte, warum manche Menschen eine Angststörung entwickeln können, wenn sie sehen, dass andere ein Trauma erleben.
Form des sozialen Lernens
Einige Menschen reagieren überempfindlich auf diese Form des sozialen Lernens. Die Studie zeigt, dass das endogene Opioidsystem beeinflusst, wie sensitiv wir sind und sie kann erklären, warum manche Menschen posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) entwickeln, bloß indem sie andere beobachten, die traumatischen Ereignissen ausgesetzt wurden.
Z.B. nach Terroranschlägen können sensible Menschen große Angst haben, auch wenn sie selbst nicht dabei waren, sagt Studienautor Jan Haaker.
Das endogene Opioidsystem
In einer doppelblinden Studie veränderten die Forscher die interne Chemie des Gehirns bei 22 gesunden Probanden, indem sie eine pharmazeutische Substanz (Naltrexon) benutzten, um das Opioidsystem zu blockieren.
21 andere Teilnehmer erhielten dagegen ein inaktives Placebo. Die Probanden sahen sich dann ein Video an, in dem Personen Elektroschocks ausgesetzt waren.
Das Gehirn aktualisiert normalerweise sein Wissen um Gefahren, abhängig davon, ob wir überrascht sind, aber wenn das Opioidsystem blockiert wurde, reagierten die Teilnehmer als ob sie überrascht waren, obwohl sie wussten, dass der Elektroschock kommen würde.
Und die Reaktion verstärkte sich, wenn sie weiterhin beobachteten, wie anderen Menschen Schocks verpasst wurden.
Periaquäduktales Grau, Amygdala, Thalamus
Die Reaktion erhöhte sich in den Gebieten des Gehirns wie der Amygdala, dem periaquäduktalen Grau und dem Thalamus, was nahe legt, dass die gleichen Funktionen wie bei den selbst wahrgenommenen Schmerzen beteiligt waren, schreibt Haaker im Fachblatt Nature Communications.
Die Kommunikation zwischen diesen und anderen Regionen des Gehirns, die zuvor schon mit der Fähigkeit verknüpft worden waren, die Erfahrungen und Gedanken von anderen zu verstehen, verstärkte sich.
Wurden die Studienteilnehmer selbst den bedrohlichen Reizen ausgesetzt, die sie zuvor mit den Schmerzen anderer Menschen verknüpft hatten, schwitzten sie mehr und zeigten mehr Angst als diejenigen, denen ein Placebo gegeben worden war. Dieses verbesserte Lernen war sogar noch drei Tage nach der Phase des sozialen Lernens beobachtbar, sagte der Leiter des Forschungsteams Andreas Olsson.
Die Studie trägt zu einem besseren Verständnis der Psychologie hinter der Angst bei. Die Forscher hoffen, dass die neuen Erkenntnisse letztlich bedeuten, dass Menschen mit Angstzuständen eine bessere, individuellere klinische Hilfe erhalten können.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Karolinska Institutet, Nature Communications – DOI: 10.1038/NCOMMS15495; Mai 2017
Ängstlichkeit als Persönlichkeitsmerkmal und Angst als Zustand befinden sich an unterschiedlichen Orten im menschlichen Gehirn
26.07.2020 Ängstlichkeit ist ein psychischer Zustand, der durch ein intensives Gefühl der Anspannung, Beunruhigung oder Besorgnis im Verhältnis zu etwas Widrigem, das in der Zukunft passieren könnte, gekennzeichnet ist.
Zwei Aspekte der Angst
Forscher unterscheiden Aspekte der Angst, definiert als
- Zustand: eine vorübergehende Reaktion auf eine widrige Situation bzw.
- Eigenschaft: ein stabileres Persönlichkeitsmerkmal beim Erleben von Ereignissen.
Es war noch unklar, ob strukturelle und funktionelle Merkmale des Gehirns diese Aspekte der Angst unterscheiden können
Um dies zu untersuchen, testeten die Wissenschaftler um Francesca Saviola vom Center for Mind/Brain Sciences (CIMeC) der University of Trento, Rovereto, TN, und Kollegen 42 gesunde Teilnehmer mit dem State-Trait Anxiety-Inventar und scannten ihre Gehirne dann mit MRT, um die strukturelle Kovarianz der grauen Substanz und die funktionelle Konnektivität im Ruhezustand (rs-FC) zu charakterisieren.
Unterschiede bei der Verortung der beiden Angsttyten im Gehirn
Sie fanden mehrere Unterschiede in den strukturell-funktionellen Mustern im Gehirn bei den verschiedenen Angsttypen:
- Das Persönlichkeitsmerkmal Ängstlichkeit war sowohl mit der strukturellen Kovarianz des Default Mode Network (DMN) verknüpft, mit einer Zunahme der dorsalen Knoten und einer Abnahme im ventralen Teil, als auch mit der rs-FC des DMN innerhalb der frontalen Regionen.
- Der Zustand Angst war hingegen weitgehend mit der rs-FC des Salience Network und des DMN verbunden, insbesondere in den ventralen Knoten, aber nicht mit einem strukturellen Muster.
D.h., das Persönlichkeitsmerkmal Angst war mit permanenten anatomischen Merkmalen (im anterioren cingulären Cortex und medialen präfrontalen Cortex) verbunden, während sich der Zustand Angst durch vorübergehende Reaktionen in der Hirnaktivität manifestiert.
Zusammenfassend sagen die Neurowissenschaftler, dass die Studie eine neuroanatomische und funktionelle Unterscheidung zwischen Zustands- und Merkmalsangst nachweist. Diese neuronalen Merkmale könnten zusätzliche Marker in zukünftigen Studien zur Bewertung von Frühdiagnose von Angststörungen oder Behandlungseffekten sein.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Scientific Reports (2020). DOI: 10.1038/s41598-020-68008-z
Weitere Artikel, News dazu
- Phobien verbunden mit Veränderungen im Gehirn. Hirnveränderungen bei spezifischer Phobie und unterschiedliche Hirnveränderungen bei Tier- und Blut-/Injektionsphobien
- Angststörung: Kognitive Verhaltenstherapie und das Gehirn. Normalisierung der fronto-parietalen Aktivierung durch kognitive Verhaltenstherapie bei nicht medikamentös behandelten pädiatrischen Patienten mit Angststörungen
- Angststörung: Trotz sicherer Umgebung finden sich im Gehirn Hinweise auf Ängste
zum Artikel - Eine neue Studie zeigt, dass Angst und Furcht die gleichen Wurzeln im Gehirn teilen.
zum Artikel - Hippocampus und Amygdala: Volumen der Gehirnbereiche verändern sich, wenn man ängstlich und depressiv ist.
zum Artikel - Anormales Striatum mit der Angst vor Unsicherheit, Ungewissheit verbunden
zum Artikel - Angst wird nicht im Furchtzentrum des Gehirns überwunden
zum Artikel