Audiovisuelle temporale Verarbeitung bei Schizophrenen und Autisten

Audiovisuelle temporale Verarbeitung bei erwachsenen Patienten mit Schizophrenie in der ersten Episode und hochfunktionalem Autismus

Audiovisuelle temporale Verarbeitung bei Schizophrenen und Autisten

28.09.2022 Schizophrenie und Autismus-Spektrum-Störung (ASS) sind beides neurologische Entwicklungsstörungen, die eine veränderte sensorische Verarbeitung aufweisen.

Ein erweitertes zeitliches Bindungsfenster bedeutet eine verringerte Sensitivität für die Erkennung von Reiz-Asynchronität und könnte ein gemeinsames Merkmal von Schizophrenie und Autismus sein. Nur wenige Studien haben die audiovisuelle temporale Verarbeitungskapazität bei den beiden Störungen direkt verglichen.

Temporales Bindungsfenster

Dr. Raymond Chan und sein Team vom Institut für Psychologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften haben bei Schizophrenie im Frühstadium allgemeine Schwierigkeiten bei der zeitlichen Verarbeitung festgestellt, während Autismus mit zeitlichen Verarbeitungsunterschieden verbunden war, die nur Sprachreize betreffen.

Allerdings wurden die Stichproben für die beiden Störungen getrennt rekrutiert, und der Vergleich zwischen den beiden Störungen im temporalen Bindungsfenster (Temporal binding windows; TBW; darunter ist ein Zeitfenster bzw. Toleranzbereich zu verstehen, in dem Reize verschiedener Sinnessysteme noch multisensorisch integriert & gleichzeitig wahrgenommen werden) wurde nur post-hoc durchgeführt, und die Ergebnisse wurden durch die nicht übereinstimmenden demografischen Merkmale der beiden klinischen Gruppen verfälscht.

In Anbetracht der drastischen Entwicklungsveränderungen des zeitlichen Bindungsfensters im Kindes- und Jugendalter ist es von großem Forschungsinteresse, ob sich die Unterschiede in der zeitlichen sensorischen Verarbeitung bei Patienten mit Autismus und Patienten mit Schizophrenie im Erwachsenenalter verändern.

Die Studie

Um diese ungelösten Fragen zu klären, haben das Team von Dr. Raymond Chan und seine Mitarbeiter eine Studie durchgeführt, die sich auf erwachsene Patienten konzentrierte. Sie rekrutierten 43 erwachsene Patienten mit Schizophrenie in der ersten Episode (FES), 35 durchschnittlich intelligente und sprachgewandte erwachsene Patienten mit hochfunktionaler ASS und 48 Kontrollpersonen.

Sie führten zwei unisensorische Aufgaben zur Beurteilung der zeitlichen Reihenfolge (Temporal Order Judgment, TOJ) mit visuellen oder auditiven Modalitäten durch sowie zwei audiovisuelle Aufgaben zur Beurteilung der Gleichzeitigkeit mit Flash-Piepsen und Videos von Silbenäußerungen als Stimuli.

Den Forschern zufolge wiesen die Teilnehmer mit Schizophrenie ein erweitertes zeitliches Bindungsfenster auf, das sich sowohl auf die Sprach- als auch auf die Nicht-Sprachverarbeitung auswirkte, was nicht auf eine veränderte einseitige sensorische Schärfe zurückzuführen war, da sie normale visuelle und auditive TOJ-Schwellenwerte aufwiesen. Erwachsene mit Autismus zeigten jedoch eine intakte unisensorische und audiovisuelle temporale Verarbeitung.

Zusammengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass ein erweitertes zeitliches Bindungsfenster unabhängig von Alter und Krankheitsstadium mit Schizophrenie verbunden ist. Die veränderte audiovisuelle zeitliche Verarbeitung bei Autismus kann sich nach Erreichen des Erwachsenenalters bessern.

© Psylex.de – Quellenangabe: Schizophrenia (2022). DOI: 10.1038/s41537-022-00284-2

Ähnliche Artikel / News / Themen