Straßenbäume als Mittel gegen Depressionen
26.01.2021 Forscher zeigen: Bäume bereichern nicht nur die Stadtnatur, sondern könnten auch die seelische Gesundheit stärken.
Straßenbäume im direkten Lebensumfeld könnten das Risiko für Depressionen und den Bedarf an Antidepressiva in der Stadtbevölkerung reduzieren. Das ist das Ergebnis einer Studie von Forschern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Leipzig (UL) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU).
Straßenbäume in städtischen Wohngebieten zu pflanzen könnte demnach eine effektive und preiswerte naturbasierte Lösung sein, um psychische Krankheiten, den lokalen Klimawandel und den Verlust biologischer Vielfalt zu bekämpfen. Laut den Wissenschaftlern sollten Stadtplaner, Gesundheitsexperten und Naturschützern diese Maßnahme öfter in Betracht ziehen. Die Studie ist in der Zeitschrift Scientific Reports erschienen.
Depressionen sind seit längerem auf dem Vormarsch – insbesondere in städtischen Gebieten. Die aktuelle Pandemie verstärkt dieses Phänomen noch zusätzlich. Einen Einfluss auf das seelische Wohlbefinden hat unter anderem das direkte Lebensumfeld. Frühere Studien haben gezeigt, dass Grünflächen sich hier positiv auswirken. Jedoch stützen sich die meisten dieser Studien auf Selbsteinschätzungen von Befragten, was einen Vergleich und Verallgemeinerungen der Ergebnisse schwierig macht.
Ein interdisziplinäres Forschungsteam von UFZ, iDiv, UL und FSU hat für dieses Problem eine Lösung gefunden und einen objektiven Indikator genutzt: Die Zahl der Verschreibungen von Antidepressiva. Um herauszufinden, ob eine bestimmte Art von „alltäglichem“ Grün die psychische Gesundheit positiv beeinflussen könnte, wählten die Forscher ein in europäischen Städten sehr typisches Element der Stadtnatur: Straßenbäume. Dabei konzentrierten sie sich auf die Frage, wie sich die Anzahl und Art der Bäume und ihre Nähe zum Wohnort zur Anzahl der verschriebenen Antidepressiva verhielt.
Die Forscher setzten die Daten von fast 10.000 erwachsenen Einwohnern der Stadt Leipzig, die an der LIFE-Gesundheitsstudie der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig teilgenommen hatten, mit räumlich genauen Daten zu Straßenbäumen der Stadt Leipzig in Beziehung. So konnten die Forscher den Zusammenhang zwischen Antidepressiva-Verordnungen und der Anzahl der Straßenbäume in unterschiedlichen Entfernungen von den Wohnorten der Menschen ermitteln. Weitere für Depressionen bekannte Faktoren wie etwa Beschäftigungsstatus, Geschlecht, Alter und Körpergewicht wurden aus den Ergebnissen herausgerechnet.
Straßenbäume im Umkreis unter 100 Metern könnten das Risiko, an einer Depression zu erkranken, verringern
Die Forscher konnten zeigen, dass mehr Bäume in unmittelbarer Umgebung des Hauses (unter 100 Meter Entfernung) häufig mit einer geringeren Zahl von Antidepressiva-Verschreibungen einhergingen. Dieser Zusammenhang war besonders klar für sozial schwache Gruppen, die in Deutschland am gefährdetsten gelten, an Depressionen zu erkranken. Straßenbäume in Städten könnten also als einfache naturnahe Lösung für eine gute psychische Gesundheit dienen, schreiben die Forscher. Die verschiedenen Baumarten scheinen dabei keine signifikante Rolle zu spielen.
„Unser Ergebnis deutet darauf hin, dass Straßenbäume dazu beitragen können, die Lücke der gesundheitlichen Ungleichheit zu schließen“, sagt die Hauptautorin der Studie Dr. Melissa Marselle. „Das ist eine gute Nachricht, da Straßenbäume relativ leicht zugänglich sind, und ihre Zahl ohne großen planerischen Aufwand erhöht werden kann.“ Als Umweltpsychologin führte sie die Forschung am UFZ und am iDiv durch und ist nun an der De Montford University in Leicester, Großbritannien, tätig.
Marselle hofft, dass die Forschungsergebnisse „Gemeinderäte und städtische Behörden dazu veranlassen, Straßenbäume in städtischen Gebieten zu pflanzen, um die psychische Gesundheit zu verbessern und soziale Ungleichheiten zu verringern“. Straßenbäume sollten laut Marselle gleichmäßig in Wohngebieten gepflanzt werden, um sicherzustellen, dass diejenigen, die sozial benachteiligt sind, den gleichen Zugang haben, um von den gesundheitlichen Vorteilen zu profitieren.
„Die meisten Planungsrichtlinien für städtische Grünflächen beschränken sich auf Erholungsräume, die extra aufgesucht werden müssen, wie etwa Parks“, ergänzt Dr. Diana Bowler (iDiv, FSU, UFZ), Datenanalystin im Team. „Unsere Studie zeigt aber, dass die alltägliche Natur in der Nähe des Hauses – die Artenvielfalt, die man beim Blick aus dem Fenster sieht oder wenn man zu Fuß oder mit dem Auto zur Arbeit, zur Schule oder zum Einkaufen geht – genauso wichtig für die psychische Gesundheit ist.“ Diese Erkenntnis sei gerade jetzt in Zeiten der Corona-Lockdowns von besonderer Bedeutung, fügt Bowler hinzu.
Baumpflanzungen fördern sowohl Natur- und Klimaschutz als auch soziale Gleichheit
„Dieser wissenschaftliche Beitrag kann eine Grundlage für Stadtplaner sein, um insbesondere in dicht besiedelten Gebieten und in zentralen Stadtbereichen die Lebensqualität für die Bewohner zu erhalten und möglicherweise zu verbessern“, ergänzt Toralf Kirsten, Professor für Informatik an der Universität Leipzig. Deshalb solle dieser Aspekt bei der Neugestaltung und Planung von Stadtgebieten berücksichtigt werden. „Ein gesundes Leben für alle Lebewesen ist unser höchstes Gut“, sagt Kirsten.
Und es ist nicht nur die menschliche Gesundheit, die von Baumpflanzungen profitieren könnte. „Mehr Straßenbäume in städtischen Wohngebieten können als sogenannte naturbasierte Lösung nicht nur zur Förderung der psychischen Gesundheit gesehen werden, sondern auch als Beitrag zum Klimaschutz und zur Erhaltung der Biodiversität“, sagt Senior-Autorin Prof. Aletta Bonn, Leiterin des Departments für Ökosystemdienstleistungen bei UFZ, iDiv und FSU.
„Um diese Synergieeffekte zu erzielen, braucht es nicht einmal große, neue Parks: Mehr Bäume entlang der Straßen können einen wesentlichen Beitrag leisten – eine verhältnismäßig kostengünstige Lösung für Klima, Gesundheit und Natur.“
Quellenangabe: Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung – Scientific Reports, DOI: 10.1038/s41598-020-79924-5
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