Benachteiligte Menschen fühlen sich durch Coronakrise stärker psychisch belastet

„Die Pandemie trifft psychisch vor allem Menschen am Rand der Gesellschaft“

Benachteiligte Menschen fühlen sich durch Coronakrise stärker psychisch belastet – Erste Ergebnisse aus internationalem Forschungsprojekt „Coping with Corona“ – Linksorientierte leiden stärker emotional, Rechtsorientierte unzufriedener mit Politik – Religiosität hängt zusammen mit sozialer Verbundenheit, aber auch mit Misstrauen in Wissenschaft

Benachteiligte Menschen fühlen sich durch Coronakrise stärker psychisch belastet

09.03.2022 Wer sich in Deutschland benachteiligt fühlt, leidet einer psychologischen Studie zufolge besonders unter der Pandemie. „Menschen, die sich kulturell, politisch und ökonomisch an den Rand gedrängt fühlen, geben an, stärker durch die Krise eingeschränkt zu werden, weniger glücklich zu sein, und empfinden die Pandemie deprimierender als andere“, stellt Psychologe Prof. Dr. Mitja Back vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster erste Ergebnisse des internationalen und global einmaligen Forschungsprojektes „Coping with Corona“ (CoCo) vor.

Psychologen der WWU Münster, LMU München und Uni Osnabrück haben über vier Wochen täglich Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten zu ihren Einstellungen, Emotionen und Alltagserfahrungen befragt. Einen wesentlichen Unterschied hinsichtlich der psychischen Belastung durch Corona mache die politische Orientierung.

„Politisch linksorientierte Menschen scheinen sorgenvoller und ängstlicher zu sein und wünschen sich ein stärkeres Durchgreifen der Politik.“ Eher Rechtsorientierte schätzten das Risiko des Coronavirus deutlich geringer ein. „Sie sind unzufriedener mit der Demokratie im Land, sind gegen Einschränkungen und halten sich weniger an Schutzempfehlungen.“ Diese Unterschiede zwischen politischen Lagern werden durch Marginalisierungsgefühle noch verstärkt. Die Studie lässt auch erste Rückschlüsse auf den Einfluss von Religiosität auf das Pandemieerleben zu. „Religiösere Menschen fühlen sich sozial besser integriert, misstrauen Wissenschaft aber stärker und sind anfälliger für Verschwörungstheorien. Hier werden wir die Auswertungen noch stark ausdifferenzieren.“

Interessierte Bürgerinnen und Bürger können weiter an der Studie teilnehmen. „Je mehr Menschen wir erfassen, desto vollständiger wird das Bild von den psychischen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie. Durch das vierwöchige Studiendesign können wir die Effekte präzise und alltagsnah untersuchen“, erläutert der Psychologe Julian Scharbert vom Forschungsprojekt. Mitja Back führt aus: „Die ersten Ergebnisse zeigen, dass sich das psychische Erleben der Pandemie stark zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen unterscheidet. Wir müssen die Unterschiede verstehen, um konkret helfen und den Zusammenhalt in der Bevölkerung bewahren zu können. „Menschen in Deutschland erleben und deuten die Corona-Krise individuell und werden durch ihre sozialen Gruppen beeinflusst.“

Individuelle Religiosität hat ambivalente Auswirkungen

Religiosität scheint den Umgang mit der Krise zu erleichtern, wie der Forscher darlegt. „Religiösere Menschen fühlen sich laut Befragung verbundener zu ihrem sozialen Umfeld und empfinden die Pandemie als weniger deprimierend.“ Auf der anderen Seite zeigten sich für religiösere Personen auch Tendenzen zu einem geringeren Vertrauen in die Wissenschaft und einem stärkeren Hang zu Verschwörungstheorien. „Hinsichtlich dieser möglichen Effekte der Religiosität kratzen wir wissenschaftlich allerdings erst an der Oberfläche“, betont Back. „Wir werden dies ausdifferenzieren und verschiedene Aspekte individueller Religiosität wie Glaubenspraktiken und dogmatische religiöse Vorstellungen getrennt analysieren. Außerdem können die Effekte der Religiosität über Länder mit verschiedenen religiösen Prägungen hinweg sehr unterschiedlich ausfallen.“

Die Studie ist Teil umfassender Forschungen am Exzellenzcluster zur Wirkung gesellschaftlicher Benachteiligung. Danach sind Marginalisierungsgefühle etwa zentral für Bedrohungsgefühle gegenüber ethnisch-religiösen Minderheiten und identitätsbezogene Spaltungen in der Gesellschaft. Die internationale Erhebung „Von Verteidigern und Entdeckern“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ hatte erstmals empirisch eine identitätspolitische Spaltung europäischer Gesellschaften in zwei verfestigte Lager von substantieller Größe nachgewiesen. „In unseren aktuellen Daten aus Deutschland zeigt sich wieder, dass Gefühle der gesellschaftlichen Benachteiligung, aber auch politische und religiöse Einstellungen damit zusammenhängen, wie sich unsere Emotionen, Verhaltensweisen und Bewertungen in gesellschaftlichen Krisen entwickeln“, erläutert Mitja Back. (sca/vvm)

Alle Informationen zur Teilnahme an der Studie:  https://formr.uni-muenster.de/CoCoDE
Publikationshinweis: https://osf.io/5az36/ (Preprint)

Quellenangabe: Pressemitteilung Uni Münster

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