Untersuchung der abstrakten, modalitätsspezifischen und erfahrungsabhängigen Kodierung von Affekten im menschlichen Gehirn
11.03.2024 Wie sehr hängen unsere Emotionen von unseren Sinnesorganen ab? Reagieren unser Gehirn und unser Körper auf die gleiche Weise, wenn wir einen angstvollen Schrei hören, einen unheimlichen Schatten sehen oder einen unheimlichen Geruch riechen? Und bereitet es uns dieselbe Freude, wenn wir fröhliche Musik hören oder eine bunte Landschaft sehen?
In einer innovativen Studie, die in Science Advances veröffentlicht wurde, haben Forscher neue Einblicke in die komplizierte Beziehung zwischen Emotionen und Wahrnehmung gewonnen.
Das von einem Team italienischer Neurowissenschaftler der IMT School for Advanced Studies Lucca geleitete und in Zusammenarbeit mit der Universität Turin durchgeführte Forschungsprojekt untersuchte, ob das Gehirn sensorische oder abstrakte Codes verwendet, um emotionale Erfahrungen zu konstruieren.
„Emotionen und Wahrnehmung sind eng miteinander verwoben, doch die genauen Mechanismen, mit denen das Gehirn emotionale Vorgänge darstellt, waren bisher nicht bekannt“, sagt Giada Lettieri, Psychologin an der IMT School und Hauptautorin der Studie.
„Unsere Forschung befasst sich mit dieser grundlegenden Frage und bietet entscheidende Einblicke in die Art und Weise, wie das Gehirn emotionale Informationen über verschiedene sensorische Modalitäten und als Ergebnis früherer sensorischer Erfahrungen organisiert und darstellt.“
Die Studie
Zur Durchführung der Studie zeigten die Forscher einer Gruppe von 50 Freiwilligen den Film „101 Dalmatiner“ und verfolgten mit funktioneller Magnetresonanztomographie die Gehirnaktivität, die mit der Entfaltung der Filmhandlung verbunden war.
Bei den Zuschauern im Scanner handelte es sich sowohl um Personen mit typischer Entwicklung als auch um kongenital blinde und kongenital taube Freiwillige, denen das Hörspiel bzw. die stumme Version des Films vorgeführt wurde.
Die Forscher baten auch eine Gruppe von 124 unabhängigen Teilnehmern, ihre Emotionen auszudrücken und zu bewerten, während sie denselben Film außerhalb des Scanners ansahen, und versuchten so, die Gehirnreaktion von Menschen mit und ohne sensorischen Entzug während des Erlebens von u. a. Belustigung, Angst und Traurigkeit vorherzusagen.
Die Einbeziehung von Personen mit angeborenem Sinnesverlust – blinde und taube Menschen – in das Experiment ist eine Möglichkeit, den Beitrag der sensorischen Erfahrung zu den neuronalen Mechanismen, die den Emotionen zugrundeliegen, zu analysieren und zu entschlüsseln, erklärt Luca Cecchetti von der IMT School.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Emotionskategorien im Gehirn unabhängig von der sensorischen Erfahrung und den Modalitäten dargestellt werden. Insbesondere gibt es ein verteiltes Netzwerk, das sensorische, präfrontale und temporale Bereiche des Gehirns umfasst, die gemeinsam emotionale Instanzen kodieren. Bemerkenswert ist, dass sich der ventromediale präfrontale Kortex als Schlüsselstelle für die Speicherung einer abstrakten Repräsentation von Emotionen herausstellte, die nicht von vorheriger sensorischer Erfahrung oder Modalität abhängt.“
Das Vorhandensein einer abstrakten Kodierung von Emotionen im Gehirn bedeutet, dass, obwohl wir versucht sind zu glauben, dass unsere Emotionen direkt von den Geschehnissen in der Umgebung abhängen, unser Gehirn so verdrahtet ist, dass es emotionale Bedeutung erzeugt, unabhängig davon, ob wir sehen oder hören können, sagen die Wissenschaftler.
„In einer Welt, in der Menschen ohne Sinnesorgane häufig übersehen werden, ist es wichtig zu verstehen, wie sich geistige Fähigkeiten und ihre entsprechenden neuronalen Repräsentationen ohne Sinneseindrücke entwickeln und verfeinern können, um das Verständnis von Emotionen und des menschlichen Gehirns weiter voranzutreiben“, sagt Lettieri.
© Psylex.de – Quellenangabe: Science Advances (2024). DOI: 10.1126/sciadv.adk6840