Unzulängliches Erkennen von Lügen, weil man sich zu wenig auf statistische Hinweise und zu sehr auf die eigene Ehrlichkeit verlässt
03.04.2024 Das Internet hat neue Formen der Täuschung und Fehlinformation hervorgebracht, darunter Phishing-Angriffe, Beziehungsbetrug (‚Heiratsschwindel‘) und Fake-News. Während viele psychologische Studien die Faktoren untersucht haben, die die Fähigkeit der Menschen zur Erkennung von persönlichen Lügen beeinflussen, wurde das Erkennen von Lügen online bisher nur selten erforscht.
Wissenschaftler des University College London (UCL) und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben vor kurzem eine Studie zur Klärung durchgeführt, warum Menschen online betrogen werden. Ihre in der Zeitschrift Communications Psychology veröffentlichte Arbeit zeigt interessante Muster auf, die der Erkennung von Lügen im Internet zugrundeliegen.
Online-Betrug und Fake-News
„Menschen auf der ganzen Welt verlieren Jahr für Jahr Milliarden durch Online-Betrug“, so Tali Sharot und Sarah Zheng, Mitautoren der Studie. „Dieser Trend hat sich seit der COVID-19-Pandemie verschlimmert und wird mit dem Aufkommen der generativen KI noch schlimmer. Bevor wir den Menschen helfen können, Online-Betrug zu erkennen, müssen wir verstehen, warum die Menschen überhaupt darauf hereinfallen.“
Da sowohl Betrug als auch Fake-News auf Lügen beruhen, untersuchten Zheng, Rozenkrantz und Sharot zunächst die bisherige Literatur zum Thema Lügenerkennung. Sie fanden heraus, dass sich die meisten früheren Arbeiten auf Offline-Kontexte bezogen, in denen Menschen auch versuchen können, Lügen anhand von subtilen Hinweisen wie dem Tonfall einer Person, ihrem Blick und ihrer Körpersprache zu erkennen.
In Online-Umgebungen können wir uns in der Regel nicht auf solche Anhaltspunkte verlassen, erklärten Sharot und Zheng. „Wir wollten daher untersuchen, warum Menschen im Online-Kontext besonders schlecht Lügen und damit Betrug erkennen.“
Sie führten drei Experimente mit 310 Personen durch, die an einem Online-Kartenspiel zu zweit teilnehmen sollten. Im Rahmen dieses Spiels erhielten sie Informationen darüber, wie wahrscheinlich es war, dass sie eine Karte aus einem Kartenspiel erhalten würden. Bestimmte Karten würden zu einem Geldgewinn führen, während andere einen finanziellen Verlust bedeuten würden.
Die Teilnehmer konnten sich dafür entscheiden, bezüglich der erhaltenen Karte zu lügen, da sie dadurch auf Kosten eines anderen Spielers mehr Geld gewinnen konnten. Die Teilnehmer wurden nie angewiesen zu lügen; die Entscheidung, ob sie ehrlich sind oder nicht, lag also allein bei ihnen.
Misstrauischer, wenn man selbst lügt
Am Ende eines jeden Spiels bewerteten die Teilnehmer, wie ehrlich sie den anderen Spieler einschätzten, so Sharot und Zheng. „Wir haben untersucht, welche Anhaltspunkte die Teilnehmer nutzten, um die Ehrlichkeit der anderen zu beurteilen. Glaubten sie zum Beispiel, dass andere logen, wenn sie selbst es taten? Glaubten sie, dass andere lügen, wenn die andere Person angab, eine seltene Karte zu besitzen? Und glaubten sie, dass andere gelogen haben, wenn sie selbst verloren haben?“
Bei der Analyse der gesammelten Daten stellten die Forscher zwei faszinierende Muster fest. Erstens beobachteten sie, dass die Menschen anderen gegenüber misstrauischer waren, wenn sie selbst während des Spiels gelogen hatten, aber auch, wenn andere Spieler berichtet hatten, eine statistisch unwahrscheinliche Karte zu besitzen.
Schlechtere Lügenerkennung
Die Wissenschaftler verglichen das Verhalten der Spieler auch mit den Vorhersagen eines künstlichen, simulierten Lügendetektors. Interessanterweise fanden sie heraus, dass eine schlechte Lügenerkennung mit einem übermäßigen Vertrauen in die eigene Ehrlichkeit (oder Unehrlichkeit) und einem geringeren Vertrauen in statistische Anhaltspunkte verbunden war.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ehrliche Menschen besonders anfällig für Betrügereien sind, weil sie am wenigsten geneigt sind, eine Lüge zu vermuten und somit einen Betrug zu erkennen, erklärten die Forscher. „Da Social-Media-Plattformen Empfehlungssysteme verwenden, die Menschen mit mehr von denselben Inhalten füttern, die sie mögen, verzerren diese Systeme die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Informationen zu sehen – einschließlich Falschnachrichten. Das natürliche Vertrauen der Menschen auf statistische Wahrscheinlichkeiten, um auf die Wahrheit zu schließen, funktioniert in diesem Kontext nicht gut.“
Die Arbeit der Wissenschaftler wirft ein neues Licht auf die Faktoren, die der Fähigkeit der Menschen zugrundeliegen, die Täuschungen anderer online zu erkennen. In Zukunft könnten sie die Bemühungen von politischen Entscheidungsträgern und Technologieunternehmen unterstützen, die verhindern wollen, dass Internetnutzer in die Fallen von Betrügern und Plattformen tappen, die falsche Informationen verbreiten.
„Unsere Ergebnisse führten zu der Idee, ein ‚Gegentraining‘ zu entwickeln, das den Menschen hilft, Online-Betrügereien zu erkennen“, fügten sie hinzu. „Das heißt, dass Menschen besser darin werden, Betrug zu erkennen, wenn sie sich selbst mit der Schaffung von Betrug beschäftigen. Die ersten Ergebnisse bei der Erkennung von Phishing-E-Mails sehen vielversprechend aus, und wir wollen dies nun in anderen Kontexten weiter testen.“
© Psylex.de – Quellenangabe: Communications Psychology (2024). DOI: 10.1038/s44271-024-00068-7