ADHS und das Gehirn

Forscher bestätigen mithilfe von Neuroimaging kumulative, gehirnweite Auswirkungen von ADHS

ADHS und das Gehirn

01.02.2024 Forscher der Oregon Health & Science University und des University of Minnesota Masonic Institute for the Developing Brain nutzten einen großen nationalen Datensatz und Neuroimaging, um die gehirnweiten Auswirkungen der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zu bestätigen.

Die im Journal of Neuroscience veröffentlichte Studie entschlüsselt die komplexe Beziehung zwischen der Konnektivität des Gehirns und Verhaltensstörungen weiter.

Ganzhirnansatz

Frühere Studien untersuchten häufig, ob Kinder mit ADHS Unterschiede in bestimmten Netzwerken oder Bereichen des Gehirns aufweisen, doch diese Studie stellte diese Methode in Frage. In der Studie konnten die Forscher durch die Analyse von Neuroimaging-Daten bestätigen, dass es kumulative, gehirnweite Auswirkungen von ADHS gibt, was einen Ganzhirnansatz für die Erforschung, Diagnose und Behandlung von ADHS erfordert.

Gehirnweites Signal

Die Studie nutzte den Datensatz der Adolescent Brain Cognitive Development Study (ABCD), einer Studie mit fast 12.000 Kindern im Alter von 9 und 10 Jahren, die die Entwicklung des Verhaltens, des Sozialverhaltens und des Gehirns über einen Zeitraum von 10 Jahren erfasst.

Anhand dieses Datensatzes erstellten die Forscher mit Hilfe von Neuroimaging-Daten einen Polyneuro-Risiko-Score (PNRS), eine Methode zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit eines Gesundheitszustands auf der Grundlage der Hirnaktivität eines Patienten – oder genauer gesagt der Konnektivität des Gehirns, d. h. der Korrelation der Aktivität zwischen mehreren verschiedenen Hirnregionen.

Die PNRS-Methode besteht aus zwei Schritten. Zunächst wird ein Datensatz verwendet, um ein hirnweites Konnektivitätsmuster zu ermitteln, das mit einem bestimmten Merkmal in Verbindung steht, in diesem Fall mit ADHS-Symptomen. Dann wird ein zweiter Datensatz verwendet, um zu überprüfen, ob dieses Konnektivitätsmuster tatsächlich das Merkmal vorhersagt. Teilnehmer mit einer Gehirnaktivität, die dem zuvor identifizierten Muster sehr ähnlich ist, erhalten eine höhere Punktzahl, während Teilnehmer, die diesem Muster weniger ähnlich sind, eine niedrigere Punktzahl erhalten.

Der Zusammenhang zwischen dem PNRS und ADHS-Symptomen wurde in einer Untergruppe der ABCD-Studiengruppe und anschließend in der unabhängigen Fall-Kontroll-Studiengruppe Oregon-ADHD-1000 getestet. In beiden Gruppen deuteten die Ergebnisse auf einen robusten Zusammenhang zwischen der hirnweiten Konnektivität und ADHS-Symptomen hin.

„Das ist spannend, denn ein Großteil der bisherigen Forschung hat sich auf einzelne Hirnregionen konzentriert, aber unsere Studie hat gezeigt, dass dies nicht durchgängig der Fall ist“, so Dr. Michael A. Mooney von der OHSU School of Medicine. „Tatsächlich gibt es Signale aus allen Bereichen des Gehirns, die zum Risiko für ADHS beitragen.“

In Zukunft werden die Forscher untersuchen, ob diese Ergebnisse in verschiedenen Altersstufen und zu verschiedenen Zeitpunkten über die gesamte Lebensspanne des Kindes hinweg konsistent sind. Darüber hinaus sind die Forscher an der Anwendung der PNRS-Methode zur Vorhersage des Risikos für andere neurologische Störungen wie Depressionen oder Angstzustände interessiert.

© Psylex.de – Quellenangabe: The Journal of Neuroscience (2024). DOI: 10.1523/JNEUROSCI.1202-23.2023

News zu: ADHS und das Gehirn

Strukturelle Unterschiede im Gehirn

16.02.2017 Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) haben leicht kleinere Gehirne im Vergleich zu Personen ohne die Störung laut einer im Fachblatt The Lancet Psychiatry veröffentlichten Studie, die nahelegt, dass es eine neurologische Komponente der Störung gibt.

Die Studie analysierte die Daten zu den Gehirnscans von 1.713 Personen mit ADHS und verglich sie mit denen von 1.529 Kontrollteilnehmern, und fand strukturelle Unterschiede sowie Belege für eine verzögerte Entwicklung, berichteten die Forscher von der Radboud Universität.

Neurologische Erkrankung?

Die Studienautorin Martine Hoogman sagte, die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass die Betroffenen Unterschiede in ihrer Gehirnstruktur aufweisen und schlägt deshalb vor, ADHS als eine Störung des Gehirns zu klassifizieren. Sie hofft, dass dadurch das Stigma verringert wird, ADHS sei ‘bloß’ eine Bezeichnung für schwierige Kinder oder die Störung würde durch eine schlechte Erziehung entstehen.

Für die Studie analysierten Hoogman und ihr Team die MRT-Scans der Teilnehmer (Alter 4 – 63), und maßen das gesamte Gehirnvolumen sowie die Größe von sieben Gehirnregionen, die zuvor mit der Störung in Verbindung gebracht worden waren.

Leicht kleineres Gesamtvolumen

Das Gesamtvolumen war bei den ADHS-Teilnehmern kleiner, ebenso fünf der gemessenen Hirnregionen, schreiben die Forscher.

Allerdings waren die Unterschiede sehr klein – nur einige Prozent – und nur die Größe der Studie ermöglichte die Entdeckung, weshalb die vorherigen (und kleineren) Studien sie nicht entdeckten, sagte Hoogman.

Ähnliche Unterschiede im Gehirnvolumen werden auch bei anderen psychiatrischen Störungen, insbesondere klinischer Depression beobachtet, schreibt sie.

Gehirnregionen

Eine der betroffenen Hirnregionen ist die Amygdala, eine an der Emotionsregulation beteiligte Region im Gehirn.

Die anderen betroffenen Hirnregionen waren Accumbens, Nucleus caudatusHippocampus und Putamen; außerdem war das intrakranielle Volumen bei ADHS-Teilnehmern kleiner als bei den Kontrollen. Es gab keine Unterschiede in der Volumengröße beim Pallidum und Thalamus.

Die in ihrer Studie beobachteten Unterschiede waren bei Kindern stärker ausgeprägt, fanden sich aber auch bei Erwachsenen mit ADHS.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Verzögerungen in der Entwicklung mehrerer Gehirngebiete für die Störung charakteristisch waren, sagten die Forscher.

Sie fanden keinen Unterschied zwischen Teilnehmern, die ADHS-Medikamente nahmen und denjenigen, die solche Medikamente nie genommen hatten, was nahelegt, dass die Gehirnveränderungen nicht durch Psychostimulanzien verursacht wurden.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Radboud Universität, The Lancet Psychiatry – dx.doi.org/10.1016/S2215-0366(17)30049-4; Feb. 2017

Jüngere Kinder mit ADHS-Symptomen haben ein reduziertes Hirnvolumen

27.03.2018 Kinder im Alter von vier Jahren mit Symptomen von Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zeigten reduzierte Hirnvolumina in den für die Verhaltenskontrolle wichtigen Gehirnregionen laut einer im Journal of the International Neuropsychological Society veröffentlichten Studie.

Gehirnentwicklung von nicht mit Medikamenten behandelten Kindern

Mit hochauflösenden anatomischen MRT-Gehirnscans sowie kognitiven und verhaltensbezogenen Messverfahren untersuchten die Forscher um Dr. E. Mark Mahone vom Kennedy Krieger Institut die Gehirnentwicklung von 90 noch nicht mit Medikamenten behandelten Vorschulkindern im Alter von 4 bis 5 Jahren.

Die Studienbefunde zeigten, dass Vorschulkinder mit ADHS in mehreren Regionen der Großhirnrinde, einschließlich der frontalentemporalen und parietalen Lappen, ein deutlich reduziertes Hirnvolumen aufwiesen.

Frontallappen

In einer Subanalyse der Teilregionen des Frontallappens zeigten sich die größten Unterschiede zwischen den Gruppeneffektgrößen für den linken orbitofrontalen Cortex, den linken primären Motorkomplex (M1) und den linken ergänzenden Motorkomplex (SMC).

Mit Symptom-Schweregrad verbunden

ADHS-bedingte Reduktionen in bestimmten Subregionen (links präfrontal, links prämotorisch, links frontal, links M1 und rechts SMC) waren signifikant mit dem Schweregrad der Symptome korreliert, so dass höhere Werte für hyperaktive/impulsive Symptome mit reduzierten kortikalen Volumina einhergingen.

Die Hirnregionen, die die größten ADHS-relevanten Reduktionen aufwiesen, umfassten diejenigen, von denen bekannt ist, dass sie für die kognitive und Verhaltenskontrolle und die Vorhersagbarkeit von Verhaltenssymptomen entscheidend sind, schlossen die Neurowissenschaftler.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Journal of the International Neuropsychological Society – https://doi.org/10.1017/S1355617718000103

Ähnliche Veränderungen im Gehirn von Menschen mit ADHS und emotionaler Instabilität

01.09.2018 Sowohl bei ADHS als auch bei Störungen der emotionalen Stabilität (z.B. Borderline- und antisoziale Persönlichkeitsstörungen sowie Verhaltensstörungen bei Kindern) zeigt das Gehirn ähnliche Veränderungen in überlappenden Bereichen, so dass die beiden Krankheitsbilder als verwandt betrachtet und bei der Diagnose berücksichtigt werden sollten.

Dies geht aus einer neuen Studie hervor, die in Molecular Psychiatry veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse können zu einer besseren Behandlung beider Erkrankungen führen.

Gestörte Emotionsregulation

Klinische Aufmerksamkeit wurde lange Zeit der Tatsache gewidmet, dass Menschen mit ADHS auch emotionale Probleme wie chaotische emotionale Reaktionen, Angst und Depressionen zeigen.

Dennoch ist die Beziehung zwischen ADHS und einer gestörten emotionalen Regulation nicht geklärt, auch wenn Theorien beide psychischen Krankheitsbilder in einer Dysfunktion der Steuerung der Informationsverarbeitung durch das Gehirn liegen sehen.

Ähnliche, überlappende Gehirnveränderungen

Eine neue Studie von Forschern des Karolinska Institutet in Schweden untermauert die Hypothese, indem sie zeigt, dass sowohl ADHS als auch eine Form der emotionalen Instabilität (Verhaltensstörung bei Kindern) ähnliche, überlappende Veränderungen im Gehirn aufweisen. Die Studie umfasste mehr als 1.000 Jugendliche.

Mit Hilfe von struktureller Hirnbildgebung konnte das Team zeigen, wie sich sowohl ADHS als auch Verhaltensstörungen bei Jugendlichen in Form eines reduzierten Gehirnvolumens und -fläche in Teilen des Frontallappens und der Umgebung manifestieren.

Die betroffenen Gehirnbereiche waren im Allgemeinen überlappend, aber die Forscher fanden auch Hirnveränderungen, die spezifisch mit ADHS-Symptomen oder Symptomen zusammenhingen, die bei Verhaltensstörungen beobachtet wurden. Die Studie beinhaltete auch Verhaltensexperimente, die beide Bedingungen aufzeigten.

Diese Ergebnisse sind nicht zuletzt für die Patienten mit emotionaler Instabilität wichtig, da sie in vielen Fällen mit Skepsis behandelt werden und sich frustriert fühlen, weil sie nicht ernst genommen werden, sagt Studienautor Predrag Petrovic.

Wir zeigen nun, dass dies mit Veränderungen im Gehirn zusammenhängt, die denen ähneln, die bei Patienten mit ADHS beobachtet wurden, was zu einem breiteren Verständnis und einer besseren Diagnose führen kann.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Molecular Psychiatry (2018). DOI: 10.1038/s41380-018-0202-6

Hirnscans zeigen, dass Gehirnmuster ADHS-Variationen prognostizieren können

24.09.2018 Bestimmte Hirnmuster können die bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) auftretenden Variationen erklären laut einer im Fachblatt American Journal of Psychiatry veröffentlichten Forschungsarbeit.

Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren konnten Tim Silk vom psychologischen Fachbereich der Deakin Universität und Kollegen beobachten, dass bestimmte Muster über das gesamte Gehirn mit ADHS-Symptomen, Entwicklung und Kognition verbunden zu sein scheinen.

Spezifische biologische Grundlagen im Gehirn

Die Ergebnisse legen nahe, dass die verschiedenen Arten, wie sich ADHS bei Kindern darstellt, aus einer Kombination von Faktoren resultieren können, die spezifische biologische Grundlagen im Gehirn haben.

Die Studie kombinierte mehrere Magnetresonanzbilder, um die Gehirne von 160 australischen Kindern im Alter von neun bis zwölf Jahren zu untersuchen, von denen 70 die diagnostischen Kriterien für ADHS erfüllten.

Nachdem sie eine Reihe von Hirnmustern identifiziert hatten, zeigten die Psychologen, dass diese Muster die Symptome von ADHS in einer unabhängigen Gruppe von Kindern vorhersagen konnten.

Vier Hirnmuster

Die Forscher identifizierten vier verschiedene Muster im gesamten Gehirn, die jeweils mit individuellen Profilen verbunden waren.

Dabei wurden demographische Merkmale wie Geschlecht und sozioökonomischer Status, frühe Lebensvariablen wie Geburtsgewicht und Rauchen in der Schwangerschaft, kognitive Faktoren wie Denken, Sprache und Schulleistungen sowie ADHS-bezogene Faktoren wie typische Symptome, Medikamenteneinnahme, soziale Schwierigkeiten und Lebensqualität berücksichtigt.

Das erste bildgebende Muster erfasste die Zuordnung von Kopfgröße zu Geschlecht, sozioökonomischem Status sowie Mathematik- und Leseleistung.

Das zweite Muster war mit einem bestimmten Profil der schlechteren Kognition und Reizbarkeit unabhängig von ADHS verbunden.

Zwei für ADHS besonders relevante Gehirnmuster

Die Psychologen fanden zwei Gehirnmuster, die für ADHS besonders relevant waren. In einem zeigten Kinder mit (in der Reife) geringer entwickelten Gehirnen mehr hyperaktive Symptome und erhielten eher Medikamente gegen ADHS.

Das andere Muster spiegelte typische klinische Merkmale von ADHS wider, wie z.B. eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das männliche Geschlecht, Hyperaktivitätssymptome, soziale Probleme, schlechtere Kognition, geringere elterliche Bildung, geringere Lebensqualität, Reizbarkeit, niedrigere kognitive und schulische Punktwerte und ADHS-Medikation.

Unterschiede in der Gesamtstruktur des Gehirns können zu funktionellen Veränderungen in Gehirnnetzwerken führen, die für kognitive Funktion, sensorische und motorische Prozesse verantwortlich sind, schließt Silk.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: American Journal of Psychiatry (2018). DOI: 10.1176/appi.ajp.2018.18010034

Kinder mit ADHS weisen Unterschiede im motorischen Cortex des Gehirns auf

07.08.2019 Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) können Unterschiede im Gehirn aufweisen, die geeignete Reaktionen auf “Stoppzeichen” beeinträchtigen laut einer in Neurology veröffentlichten Forschungsarbeit.

Donald Gilbert von der Universität Cincinnati und Kollegen untersuchten die Physiologie des ruhenden motorischen Cortex (M1) des Gehirns während einer kognitiven Kontrollaufgabe (Rennwagenspiel), die eine Auswahl / Hemmung der motorischen Reaktion erforderte.

Die Analyse umfasste Verhaltensbewertungen, Motorik-Tests und die linke M1-Physiologie bei 131 rechtshändigen 8- bis 12-jährigen Kindern (66 mit ADHS: Durchschnittsalter 10,5 Jahre; 65 mit typischer Entwicklung: Durchschnittsalter 10,6 Jahre).

Die Forscher fanden heraus, dass die Go-Reaktionen bei ADHS signifikant langsamer und variabler waren. Kinder mit ADHS zeigten weniger kurzzeitige kortikale M1-Hemmung in Ruhe sowie während der Go and Stopp-Tests. Während der Aufgabe zur Reaktionshemmung erhöhte sich die Erregbarkeit des Ruhe-M1.

Schwere der Symptome

Die verminderte Aufgaben-Upmodulation war mit signifikant schwereren ADHD-Verhaltenssymptomen und langsameren Stoppsignal-Reaktionszeiten verbunden, schreiben die Wissenschaftler.

Die Ergebnisse der Forschung deuten darauf hin, dass die Schwere der ADHS-Symptome eines Kindes mit einer verminderten Fähigkeit des Gehirns verbunden sein kann, sich angemessen an wichtigen Aufgaben zu beteiligen, sagte Gilbert.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Neurology – DOI: https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000007899

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