Über-80-Jährige, deren Gedächtnisleistung der von 30 Jahre Jüngeren entspricht, verdanken ihre geistige Fitness vor allem ihrer Widerstandsfähigkeit gegen altersbedingte Veränderungen des Gehirns.
03.08.2023 Vor mehr als zehn Jahren startete die Vallecas-Studie in Spanien, an der weit über 1000 Menschen jenseits der 70 ohne neurologische oder schwere psychiatrische Störungen teilnehmen. Das Studienteam bittet die Senioren einmal im Jahr zu Tests und Untersuchungen, darunter auch MRT-Scans des Gehirns. Ziel des Gesamtprojektes ist es, frühe Anzeichen für kognitive Beeinträchtigungen und beginnende Demenz zu identifizieren.
Zusammen mit spanischen Kollegen wertete der Neurowissenschaftler Prof. Dr. Christian Gaser vom Universitätsklinikum Jena jetzt im Projekt erhobene MRT-Daten zur Hirnstruktur aus und interessierte sich dabei vor allem für Super-Ager. So werden Menschen im Alter von 80 Jahren und älter bezeichnet, wenn sie über eine Gedächtnisleistung verfügen, die eigentlich für 30 Jahre jüngere Menschen typisch ist. Die Analyse ging der Frage nach, warum Super-Ager anders altern als die Mehrheit der Bevölkerung.
Mithilfe eines Gedächtnistests filterte das Studienteam 64 Super-Ager aus der gesamten Kohorte und stellte ihnen 55 ältere Erwachsene mit alterstypischer Gedächtnisfunktion gegenüber. In diesen Gruppen verglichen die Wissenschaftler die Hirnstrukturscans, Testergebnisse und Laborwerte, die im Schnitt über mehrere Jahre erhoben wurden. “Diese Studie ist eine der bisher größten Beobachtungsstudien über Super-Ager und die erste, die die Gehirnstruktur von Super-Agern im Laufe der Zeit untersucht”, sagt Christian Gaser und erklärt, dass dieses Längsschnittdesign der Studie entscheidend ist, um zu verstehen, warum Super-Ager anders altern.
Graue Substanz im Gehirn nimmt langsamer ab
Im Ergebnis wurden frühere Studien bestätigt, die zeigten, dass die Gehirne von Super-Agern mehr graue Substanz haben als typisch alternde Erwachsene. Die aktuelle Analyse ergab zudem, dass bei Super-Agern die graue Substanz in Schlüsselbereichen des Gehirns im Laufe von fünf Jahren insgesamt langsamer abnahm als bei der Vergleichsgruppe. Die Konzentration von Demenz-Biomarkern im Blut war dagegen in beiden Gruppen ähnlich. „Wir schließen daraus, dass es nicht einfach bessere Bewältigungsmechanismen sind, die Super-Ager vor altersbedingtem Gedächtnisverlust bewahren, sondern dass sie widerstandsfähiger gegen altersbedingte Veränderungen der Hirnstruktur sind“, so Christian Gaser. „Die genauen Gründe dafür sind jedoch noch unklar.“
Unter insgesamt 89 demografischen, lebensstilbezogenen und klinischen Faktoren suchten die Forscher schließlich mit einem maschinellen Lernmodell nach denjenigen, die mit Super-Agern in Verbindung stehen. Dabei zeigte sich, dass Super-Ager über eine bessere geistige Gesundheit und mehr Mobilität verfügen als andere in ihrer Altersgruppe. „Allerdings war das Modell nur in zwei Dritteln der Fälle in der Lage, Super-Ager von typischen älteren Erwachsenen zu unterscheiden“, so Gaser. Dies deutet darauf hin, dass das Superaging möglicherweise durch zusätzliche genetische Faktoren beeinflusst wird.
Gaser merkt an, dass es nicht klar ist, ob alle Menschen das Potenzial haben, Super-Ager zu werden. Er betont jedoch, dass lebenslanges Lernen, soziale Aktivitäten, ein aktiverer Lebensstil und die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit im täglichen Leben dazu beitragen können, dass man ein Super-Ager werden kann. „Ein aktiverer Lebensstil in der Lebensmitte und Aktivitäten wie das Spielen eines Instruments sowie die Aufrechterhaltung der Beweglichkeit und Kontrolle des Bluthochdrucks und des Blutzuckerspiegels könnten dazu beitragen, ein gesundes Gedächtnis im Alter zu erhalten“, sagt er.
Die Forschungsarbeit wurde im Rahmen des IMPULS-Verbundes von der Carl-Zeiss-Stiftung und als Teil des Promotionsnetzwerkes SmartAge von der EU gefördert.
Originalpublikation: Garo-Pascual, M., et al. Brain structure and phenotypic profile of superagers compared with age-matched older adults: a longitudinal analysis from the Vallecas Project. Lancet Healthy Longev. 2023 Jul 12, doi: 10.1016/S2666-7568(23)00079-X.
Quellenangabe: Pressemitteilung Universitätsklinikum Jena