Hören und das Gehirn (Forschung) – Update

Unser Gehirn hört gerne positive Stimmlaute, die von links kommen

Hören und das Gehirn (Forschung) – Update

19.05.2023 Klänge, die wir um uns herum hören, sind physikalisch durch ihre Frequenz und Amplitude definiert. Für uns haben Geräusche jedoch eine Bedeutung, die über diese Parameter hinausgeht: Wir können sie als angenehm oder unangenehm, bedrohlich oder beruhigend, interessant und reich an Informationen oder einfach nur als Lärm wahrnehmen.

Ein Aspekt, der sich auf die emotionale „Valenz“ von Gehörtem auswirkt – d. h. ob wir das Gehörte als positiv, neutral oder negativ wahrnehmen -, ist die Herkunft. Die meisten Menschen bewerten herannahende Geräusche, die sich auf sie zubewegen, als unangenehmer, stärker, erregender und intensiver als zurückweichende Geräusche, insbesondere wenn sie von hinten und nicht von vorne kommen. Diese Voreingenommenheit könnte einen plausiblen evolutionären Vorteil haben: Für unsere Vorfahren in der afrikanischen Savanne könnte ein Geräusch, das sich von hinten nähert, ein Signal für ein Raubtier gewesen sein, das sich an sie heranpirscht.

Nun haben Neurowissenschaftler aus der Schweiz eine weitere Auswirkung der Richtung auf die emotionale Wertigkeit nachgewiesen: Das Gehirn reagiert stärker auf positive menschliche Geräusche, wie Lachen oder angenehme Stimmen, wenn diese von links kommen.

„Wir zeigen hier, dass menschliche Stimmen, die positive emotionale Erfahrungen auslösen, eine starke Aktivität im auditorischen Kortex des Gehirns hervorrufen, wenn sie von der linken Seite des Zuhörers kommen. Dies ist nicht der Fall, wenn positive Vokalisationen von vorne oder von rechts kommen“, sagt Erstautorin Dr. Sandra da Costa, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der EPFL in Lausanne, Schweiz.

„Wir zeigen auch, dass Vokalisationen mit neutraler oder negativer emotionaler Valenz, zum Beispiel bedeutungsschwangere Vokale oder Angstschreie, und andere Laute als menschliche Vokalisationen diese Verbindung mit der linken Seite nicht haben.“

Töne von links, vorne oder rechts

Da Costa und Kollegen verglichen mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), wie stark das Gehirn von 13 Freiwilligen auf Töne reagierte, die von links, vorne oder rechts kamen. Es handelte sich um Frauen und Männer Mitte zwanzig, alle waren Rechtshänder, und keiner von ihnen hatte eine musikalische Ausbildung. Die Forscher verglichen die Reaktion des Gehirns zwischen sechs Kategorien von Klängen: Neben positiven menschlichen Vokalisationen wie erotischen Lauten spielten sie auch neutrale und negative Vokalisationen ab, wie bedeutungslose Vokale und einen Angstschrei, sowie positive, neutrale und negative Nicht-Vokalisationen, wie Applaus, Wind und eine tickende Bombe.

Da Costa et al. konzentrierten sich auf Hirnregionen, von denen bekannt ist, dass sie für die frühen Stadien des Gehörten wichtig sind: die primären auditorischen Areale A1 und R, die umliegenden anderen auditorischen Areale der frühen Phase und das „Stimmareal“ (VA). Jedes dieser Areale befindet sich in der linken und rechten Gehirnhälfte.

Die Ergebnisse zeigen, dass A1 und R in beiden Hemisphären maximal aktiv wurden, wenn man positive Vokalisationen von links hörte, und viel weniger, wenn man positive Vokalisationen von vorne oder rechts, neutrale oder negative Vokalisationen oder Nicht-Vokalisationen hörte.

Auditiver Kortex diskriminiert zugunsten positiver Vokalisationen von links

„Die starke Aktivierung durch Vokalisationen mit positiver emotionaler Valenz, die von links kommen, findet im primären auditorischen Kortex beider Hemisphären statt: die ersten Bereiche in der Hirnrinde, die auditorische Informationen empfangen. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Art eines Geräusches, seine emotionale Valenz und sein räumlicher Ursprung dort zuerst erkannt und verarbeitet werden“, so Koautorin Dr. Tiffany Grisendi.

Darüber hinaus reagierte das Gebiet L3 in der rechten Hemisphäre, nicht aber sein Zwilling in der linken Hemisphäre, stärker auf positive Vokalisationen, die von links oder rechts kamen, als auf solche, die von vorne kamen. Im Gegensatz dazu hatte der räumliche Ursprung des Gehörten keinen Einfluss auf die Reaktion auf Nicht-Vokalisationen.

Die evolutionäre Bedeutung der Vorliebe unseres Gehirns für positive Vokalisationen, die von links kommen, ist noch unklar.

© Psylex.de – Quellenangabe: Frontiers in Neuroscience (2023). DOI: 10.3389/fnins.2023.1164334

News zu Hören und das Gehirn

Synchronisation der Hirnhälften ermöglicht Hören mit zwei Ohren

09.02.2021 Meistens geben unsere beiden Ohren dem Gehirn unterschiedlichen Input. Trotzdem nehmen wir Gesagtes immer als einheitliche Sprachlaute wahr. Dies geschieht durch den Abgleich der beteiligten Hirnareale mit Hilfe von Gamma-Wellen, wie Neurolinguisten der Universität Zürich herausgefunden haben. Daraus lässt sich möglicherweise ein Therapieansatz gegen Tinnitus ableiten.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass wir nicht alles zweimal hören: Denn unsere Ohren sitzen auf gegenüberliegenden Seiten des Kopfes und die meisten Töne erreichen die Ohrmuscheln zeitlich leicht versetzt. «Dies hilft uns zwar zu bestimmen, aus welcher Richtung Geräusche kommen, bedeutet aber auch, dass unser Gehirn die Informationen beider Ohren zusammenführen muss. Ansonsten würden wir ein Echo hören», erklärt Basil Preisig vom Psychologischen Institut der Universität Zürich.

Hinzu kommt, dass Input vom rechten Ohr zuerst die linke Hirnhälfte und Input vom linken Ohr zuerst die rechte Hirnhälfte erreicht. Die beiden Hälften übernehmen bei der Sprachverarbeitung unterschiedliche Aufgaben: Die linke Seite ist für die Unterscheidung der Silben zuständig, die rechte erkennt die Sprachmelodie. Obwohl beide Hälften also die Informationen zeitlich verschoben erhalten und unterschiedliche Sprachmerkmale verarbeiten, integriert das Gehirn das Gehörte zu einem einzelnen Sprachlaut.

Hirnwellen stellen Verbindung her

Der genaue Mechanismus hinter diesem Integrationsprozess war bis jetzt nicht bekannt. In früheren Studien fand Preisig jedoch Hinweise darauf, dass vom Gehirn hervorgerufene messbare Schwingungen – sogenannte Gamma-Wellen – dabei eine Rolle spielen. Nun ist es ihm gelungen, einen direkten Zusammenhang zwischen der Integration des Gehörten und der Synchronisierung durch Gamma-Wellen nachzuweisen. Neben den Neurolinguisten der UZH waren an dem Projekt auch Forschende aus den Niederlanden und Frankreich beteiligt.

Zweideutige Informationen verarbeiten

An der Untersuchung, welche am Donders Center for Cognitive Neuroimaging im niederländischen Nijmegen stattfand, nahmen 28 gesunde Versuchspersonen teil, die wiederholt eine Höraufgabe lösen mussten: Sie bekamen auf dem rechten Ohr eine zweideutige Silbe (einen Sprachlaut zwischen ga und da) und auf dem linken Ohr unbemerkt ein Klicken eingespielt, das ein Fragment der Silben da oder ga enthielt. Davon abhängig hörten die Versuchspersonen entweder ga oder da. Bei jeder Wiederholung mussten die Versuchspersonen angeben, was sie gehört hatten. Während dieses Vorgangs verfolgten die Forschenden die Aktivität in beiden Hirnhälften mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI).

Elektrische Stimulation beeinträchtigt Synchronisation

Im Verlauf der Experimente störten sie das natürliche Aktivitätsmuster der Gamma-Wellen durch elektrische Stimulation der beiden Hirnhälften mit am Kopf befestigten Elektroden. Diese Manipulation beeinflusste die Fähigkeit der Teilnehmenden, die gehörte Silbe richtig zu identifizieren. Die fMRI-Analyse zeigte, dass dabei gleichzeitig auch Veränderungen in der Aktivität der Nervenverbindungen zwischen den beiden Hirnhälften auftraten.

Je nachdem, ob der Rhythmus der Gamma-Wellen mit Hilfe der elektrischen Stimulation in den beiden Hirnhälften synchron oder asynchron zueinander beeinflusst wurde, veränderte sich die Stärke der Verbindung. Diese Störung ging zudem mit einer Verschlechterung der Integration einher. Die Synchronisation der Gamma-Wellen scheint also die verschiedenen Inputs der beiden Hirnhälften miteinander abzugleichen und so für einen eindeutigen akustischen Eindruck zu sorgen.

Mögliche Therapie für Tinnitus

«Unsere Resultate unterstützen die Idee, dass die durch Gamma-Wellen vermittelte Synchronisation zwischen verschiedenen Hirnarealen ein grundlegender Mechanismus für die neuronale Integration ist», sagt Preisig. «Darüber hinaus zeigt diese Forschung erstmals am Beispiel des menschlichen Hörens, dass die Verbindung der beiden Hirnhälften erfolgreich durch elektrische Stimulation moduliert werden kann», ergänzt Alexis Hervais-Adelman, Leiter der Neurolinguistik am UZH-Institut für Psychologie, der ebenfalls der Studie beteiligt war.

Diese Erkenntnisse könnten in naher Zukunft auch Anwendung in der Klinik finden. «Frühere Studien zeigen, dass Störungen der Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften mit auditiven Phantomwahrnehmungen wie Tinnitus und Stimmenhören einhergehen», so Preisig. «Somit könnte die elektrische Hirnstimulation einen vielversprechenden Weg für die Entwicklung von therapeutischen Interventionen darstellen.»

Quellenangabe: Universität Zürich – Preisig BC, Riecke L, Sjerps M, Kösem A, Kop BR, Bramson B, Hagoort P, Hervais-Adelman A. Selective modulation of interhemispheric connectivity by transcranial alternating current stimulation influences binaural integration. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2015488118

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