Genetische Algorithmen offenbaren tiefgreifende individuelle Unterschiede in der Emotionserkennung
01.11.2022 Forscher verwendeten einen Algorithmus, mit dem die Menschen angeben konnten, wie ihrer Meinung nach der Gesichtsausdruck einer bestimmten Emotion aussehen sollte. Die Ergebnisse zeigen tiefgreifende individuelle Unterschiede, was darauf hindeutet, dass ein und derselbe Gesichtsausdruck für verschiedene Menschen unterschiedliche Bedeutungen haben kann.
Bisher war die Forschung über die Interpretation von Gefühlsausdrücken begrenzt, weil die experimentellen Instrumente zur Darstellung von Gesichtsausdrücken (Mimik) zu einfach waren. In einer in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Arbeit verbesserten die Forscher die verfügbaren Instrumente durch die Verwendung von 3D-Avataren. Sie wendeten genetische Algorithmen auf die Avatare an, so dass die Benutzer die Gesichtsausdrücke der Avatare nach und nach verändern konnten, bis sie der Meinung waren, dass der Ausdruck das widerspiegelt, was sie sich unter einer bestimmten Emotion vorstellten.
Erhebliche Abweichungen untereinander
Insgesamt 336 Personen benutzten dann die Avatare, um Gesichtsausdrücke zu erzeugen, die Freude, Angst, Traurigkeit und Wut darstellen. Die Forscher stellten fest, dass die von den Menschen erzeugten Mimiken erheblich voneinander abwichen, was darauf hindeutet, dass Menschen unterschiedliche Gesichtsausdrücke mit demselben Gefühlszustand assoziieren.
Die Forscher führten dann auch einen Standardtest zur Erkennung von Emotionen bei den Personen durch, die die Gesichtsausdrücke der Avatare erzeugt hatten. Die Forscher fanden heraus, dass die Unterschiede in der Leistung der Personen dadurch erklärt werden konnten, wie genau die Standard-Testmimiken mit dem Ausdruck übereinstimmten, den sie mit dem Avatar erzeugt hatten.
Die Mitautorin der Studie Isabelle Mareschal, Professorin für visuelle Kognition an der Queen Mary University of London, sagte: „Wir können also nicht davon ausgehen, dass es ein gemeinsames Verständnis dafür gibt, welche Emotionen die verschiedenen Gesichtsausdrücke widerspiegeln. Es hat den Anschein, dass die individuellen Reaktionen der Menschen auf verschiedene Mimiken mehr mit ihrem individuellen Verständnis des Gesichtsausdrucks zu tun haben als damit, wie sie Emotionen innerlich verarbeiten und auf sie reagieren. Dies könnte wichtige Konsequenzen für das klinische Verständnis bestimmter Erkrankungen haben, bei denen Menschen offenbar ‚atypische‘ Reaktionen auf einen Gesichtsausdruck zeigen.“
Die Forscher empfehlen, dass die künftige Forschung über die Verarbeitung von Emotionen von der Verwendung von Methoden und Stimuli, die Stereotypen entsprechen, abrücken und Ansätze bevorzugen sollte, die eine größere Vielfalt und Reichhaltigkeit des Ausdrucks berücksichtigen.
© Psylex.de – Quellenangabe: Proceedings of the National Academy of Sciences (2022). DOI: 10.1073/pnas.2201380119
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