Bestrafung (Psychologie)

Bestrafung (Psychologie, Psyche)

Entwicklungspsychologie – Kindererziehung – Sozialpsychologie

Vorschulkinder haben eine andere Vorstellung als Erwachsene darüber, was fair ist

24.02.2016 Eine neue Studie der University of Michigan erforschte, wie Kinder auf Disziplinierungsmaßnahmen von Eltern und Lehrern reagieren und was sie dabei für fair halten.

Alle für einen

Ein Lehrer, der eine ganze Klasse für eine gute Tat oder Missetat eines einzelnen Schülers belohnt oder bestraft, wird von 4-5 Jährigen mit größerer Wahrscheinlichkeit als fairer betrachtet als von älteren Kindern, sagt Forscher Craig Smith in der Zeitschrift Developmental Psychology.

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Bild: Gerd Altmann

„Dementsprechend zeigen die Daten, dass ältere Kinder und Erwachsene eher die gängige Praxis – jeden für die Übeltat eines Einzelnen oder einiger zu bestrafen – als unfair empfinden“, sagte er.

Die Befunde zeigen, dass Vorschulkinder eher dazu neigten, Gruppen für die Verstöße einer Person in der Gruppe zu bestrafen. Das bedeutet nicht, sie wären unbedingt strenger als Erwachsene, aber dass sie eine andere Vorstelltung davon haben, was fair ist, sagte Smith.

Mitgefühl motiviert

Tatsächlich können auch sie durch Mitgefühl motiviert werden. So widerstrebte es den Kindern in der Studie, jemanden in einer Gruppe herauszusuchen, damit er/sie diszipliniert wird.

Die Forscher fragten Kinder im Alter zwischen 4 und 10 Jahren nach der fairsten Methode, Belohnungen und Strafen zu verteilen. Die 4- bis 5-jährigen wollten fast alle, dass jeder dasselbe bekommt – bei Belohnung oder Strafe.

In den Grundschuljahren verschiebt sich dies zur reiferen Ansicht, dass Menschen bekommen sollten, was sie verdienen, und es unfair sei, eine ganze Gruppe für die guten oder schlechten Taten einer einzelnen Person zu belohnen oder zu bestrafen. Dies ist die Anschauung, die die meisten Erwachsenen haben, sagte Smith.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of Michigan, Developmental Psychology; Feb. 2016

Paradoxe Folgen von Bestrafung

11.07.2017 Eine im Fachblatt Journal of Experimental Psychology: General veröffentlichte Studie untersuchte, ob Strafen unerwünschtes Verhalten verhindern können.

Wenn sich Kinder nach der Ansicht der Eltern falsch verhalten haben, dann bestrafen sie das Kind normalerweise, damit es zukünftig dieses Verhalten nicht mehr zeigt. Doch eine neue Forschungsarbeit zeigt, dass dies einen paradoxen Effekt beim Kind hervorrufen kann.

In der Studie von Prof. Andreas Eder und Kollegen vom Fachbereich Allgemeine Psychologie der Universität Würzburg sollten die Teilnehmer an einem einfachen Entscheidungsexperiment teilnehmen (ist eine Zahl größer oder kleiner als 5).

Die Probanden konnten auf 2 Tasten drücken: eine für kleiner als 5, die andere für größer als 5. Bei einer der beiden Tasten bekamen sie aber einen leichten Stromschlag, wenn sie sie drückten. Im Experiment lernten sie auf diese Weise, dass sie durch den Druck auf eine der beiden Tasten einen leichten Stromschlag erhielten.

Die Psychologen gingen davon aus, dass die Teilnehmer langsamer auf die Taste mit dem Stromschlag drücken würden, doch sie konnten das Gegenteil beobachten: Die Versuchsteilnehmer drückten noch rascher als zuvor auf die den Stromschlag auslösende Taste.

Die Psychologen schlossen: Bestrafung alleine reicht für eine Verhaltensänderung wohl nicht aus.

Gesteigerte Erregung?

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Bild: Waldryano (pixabay)

Sie vermuteten hinter diesem Verhalten eine erhöhte Erregung als Ursache. „Es hätte sein können, dass die Probanden den Schmerz schnell hinter sich bringen wollen. Dass sie aus Angst rascher drücken würden“, sagte Eder.

In einem weiteren Experiment konnten sie aber zeigen, dass physiologische Erregung nicht die Ursache für diese Wirkung ist. Wieder sollten die Versuchsteilnehmer eine Aufgabe durch das Drücken von einer von zwei Tasten bearbeiten. Diesmal gab es jedoch einen schwachen Stromschlag bei der einen, und einen recht starken elektrischen Schlag bei der anderen.

Nun wurde nur die Taste mit dem leichteren Elektroschock schneller gedrückt. Beim Drücken der Taste mit dem stärkeren Schlag zeigten die Probanden trotz stärkerer Erregung keine Erleichterung. Eine größere Erregung konnte den Effekt also nicht erklären.

„Wir konnten zeigen, dass eine Bestrafung nicht automatisch zu einer Unterdrückung des bestraften Verhaltens führt“, sagt Eder. Bei routinierter Anwendung konnten sie „die Ausführung des bestraften Verhaltens sogar erleichtern“. „Das ist der Fall, wenn der Bestrafungsreiz als Feedback für die Verhaltenssteuerung genutzt wird“, schreiben die Psychologen.

Sie vermuteten, dass eine Erleichterung der Reaktion auch durch einen neutralen Stimulus – wie einer Vibration – herbeigeführt werden könne; was sie dann auch in einem weiteren Experiment zeigen konnten.

Erklärung des paradoxen Verhaltens

Die Wissenschaftler erklären das damit, dass Verhaltensfolgen vom Gehirn dazu benutzt werden, eine Aktion leichter zu initiieren, sogar wenn die Konsequenzen nicht angenehm sind.

Die Wissenschaftler betonen: „Es ist nicht so, dass Bestrafung generell nicht funktioniert. Sie hat nur nicht immer eine verhaltensunterdrückende Wirkung.“ Und dies trifft auch für den Fall zu, wenn dem Betroffenen klar ist, dass eine unangenehme Strafe folgt.

Und wenn eine (leichtere) Strafe nicht umgangen werden kann, wird eine Handlung schnell erfolgen, wobei sich eine paradoxe erleichternde psychische Wirkung einstellt, erklären die Psychologen die Befunde.

Für erwünschtes Verhalten sollten daher klare Rückmeldungen gegeben werden, an denen die Bestraften sich orientieren können. Problematisches (unerwünschtes) Verhalten kann man nur ablegen, wenn es klare Alternativen zu diesen (bestraften) Verhaltensweisen gibt. Diese Alternativen sollten in der täglichen Erziehung deutlich gemacht werden, damit sich das Kind das nicht-gewünschte Verhalten abgewöhnen kann, schließen die Forscher.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Universität Würzburg, Journal of Experimental Psychology: General – doi.org/10.1037/xge0000332; Juli 2017

Schon sechsjährige Kinder (und auch Affen) wollen unsoziales Verhalten bestraft sehen

20.12.2017 Eine im Fachblatt Nature Human Behaviour veröffentlichte Studie unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften zeigt, dass bereits sechsjährige Kinder und auch Schimpansen unsoziales Verhalten erkennen und bestrafen wollen.

In vorherigen Forschungsarbeiten wurde festgestellt, dass Menschen gerne andere leiden sehen, wenn diese sich zuvor unsozial verhalten haben, und sie sehen die Strafe als Mittel, um deren falsches Verhalten zu korrigieren. Und Menschen empfinden beim Zuschauen solch einer Bestrafung Freude – Schadenfreude.

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Bild: Magyar

Das sozialpsychologische Forscherteam um Natacha Mendes und Nikolaus Steinbeis wollte herausfinden, ab welchem Alter Kinder motiviert sind, bei der Bestrafung einer aus ihrer Sicht verdienten Bestrafung zuzuschauen, und ob dieses Verhalten auch bei den nächsten Verwandten des Menschen – den Schimpansen – zu beobachten ist.

Freude über Bestrafung bösen Verhaltens bei den Kindern

In einem Puppenspiel bei den Kindern (im Alter von 4 bis 6 Jahren) und einer gestellten Szene bei den Schimpansen wurde den Teilnehmern jeweils ein unsozialer ‚böser‘ und ein prosozialer ‚guter‘ Charakter vorgestellt – sowie ein strafender Akteur.

Bei den Kinder nahm die böse Puppe das Spielzeug weg, die gute Puppe gab das Spielzeug zurück. Anschließend konnten die Kinder entscheiden, ob sie bei der Bestrafung zusehen wollten.

Wurde die gute Puppe bestraft, wollten sie erwartungsgemäß normalerweise nicht zugucken; wurde die böse Puppe bestraft, wollten deutlich mehr zuschauen und „bezahlten“ sogar dafür (mit einer ‚wertvollen‘ Münze, für die sie etwas kaufen konnten).

Die Psychologen konnten sogar Freude bei den Kindern in der Mimik angesichts der Leiden des Bestraften feststellen.

Bei den unter sechsjährigen Kindern konnte das differenzierende Verhalten hinsichtlich einer gerechten (pro- / antisozial) Strafe nicht beobachtet werden.

Schimpansen reagierten ähnlich

Auch bei den Schimpansen waren viele Tiere motiviert zu beobachten, wie der ‚Bösewicht‘ – ein ungeliebter Pfleger – bestraft wurde. Sie mussten unter einigen Strapazen eine schwere Tür öffnen, um bei der Strafaktion zuschauen zu können.

Wurde ein freundlicher Pfleger bestraft, machten sie sich jedoch nicht die Mühe, die Tür aufzustemmen – sie protestierten sogar lautstark, als man den prosozialen Pfleger Schmerzen zufügen wollte.

Ob die Schimpansen bei der Bestrafung des ‚Bösewichts‘ Freude wie die Kinder empfanden, können die Psychologen nicht sagen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften; Nature Human Behaviour – doi:10.1038/s41562-017-0264-5; Dez. 2017

Ist Bestrafung ein effektives Werkzeug, um Menschen kooperativer zu machen?

29.12.2017 Eine neue psychologische Studie zur Erforschung des menschlichen Verhaltens konnte zeigen, dass Bestrafung ein wirkungsloses Mittel zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Team-Spielern ist.

Die Wissenschaftler Marko Jusup von der Hokkaido Universität in Japan und Zhen Wang von der Northwestern Polytechnical University in China benutzten in verschiedenen Versuchsreihen eine Version des weit verbreiteten „Gefangenendilemma“-Spiels, in dem die Spieler mit anderen kooperieren, nicht zusammenarbeiten oder andere bestrafen konnten.

Mehr Gewinn durch Zusammenarbeit

Die Erwartung war, dass der Einzelne, wenn er über mehrere Runden hinweg mehr mit denselben Gegnern spielt, den Vorteil der Zusammenarbeit sieht, um mehr Punkte zu sammeln. Die Einführung der Bestrafung als Option bedeutet im Grunde genommen: Wenn du nicht mit mir kooperierst, werde ich dich bestrafen. Theoretisch ist davon auszugehen, dass die Anwendung dieser Option zu einer verstärkten Zusammenarbeit führen würde.

Im Spiel hatte man die Optionen zu kooperieren (die Gegner und man selbst bekam Punkte), nicht zu kooperieren (man selbst bekam Punkte) oder ‚unkooperative‘ Spieler zu bestrafen (dem Gegner wurden Punkte abgezogen; einem selbst auch etwas). Kooperative Spieler erreichten im Schnitt mehr Punkte, die sie am Ende der Spiele gegen Geld eintauschen konnten.

Die Forscher fanden heraus, dass die Akteure in sich ständig (in der Zusammensetzung) ändernden Gruppen wesentlich weniger kooperierten (4%) als in statischen Gruppen (38%), in denen sie feststellen konnten, welche Akteure kooperationsbereit waren und somit ein höherer durchschnittlicher finanzieller Gewinn für alle Beteiligten erzielt wurde.

Strafe verbesserte nicht die Kooperation

Überraschenderweise führte die Option der Bestrafung jedoch nicht zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit (37%). Auch die finanziellen Auszahlungen in der Versuchsgruppe – in der das Bestrafen erlaubt war – waren im Durchschnitt deutlich geringer als bei den Spielern der statischen Gruppe.

Interessanterweise wurde in der Bestrafungsgruppe im Vergleich zur statischen Gruppe weniger unkooperatives Verhalten beobachtet; einige Spieler ersetzten unkooperative Entscheidungen durch bestrafende Maßnahmen.

Implizite Botschaft der Bestrafung

Während die implizite Botschaft bei der Bestrafung von jemandem ist: „Ich möchte, dass Du kooperierst“, ist der unmittelbare Effekt einhergehend mit der Botschaft: „Ich will Dich verletzen“, schreiben die Psychologen in ihrer Studie.

Bestrafung scheint eine demoralisierende Gesamtwirkung zu haben, da mehrfach bestrafte Personen in kurzer Zeit einen großen Teil ihres gesamten Erlöses verlieren konnten, erklären die Forscher. Dies konnte dazu führen, dass die Spieler das Interesse am Spiel verlieren und die verbleibenden Runden mit einer weniger rationalen Strategie spielen.

Die Möglichkeit der Bestrafung als Option scheint auch den psychologischen Anreiz zu verringern, Kooperationen dem Wettbewerb vorzuziehen.

Warum wird dann so oft bestraft?

Warum ist dann die Strafe in den menschlichen Gesellschaften so häufig und allgegenwärtig?

Es könnte sein, dass menschliche Gehirne fest darauf ‚gemünzt‘ sind, Freude an der Bestrafung von Konkurrenten zu haben, sagt Jusup im Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences.

Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass dominante Personen oder Organisationen im wirklichen Leben bestrafen können, ohne Vergeltungsmaßnahmen zu provozieren, fügt Wang hinzu.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Hokkaido Universität, Northwestern Polytechnical University; Proceedings of the National Academy of Sciences (2017). DOI: 10.1073/pnas.1707505115; Dez. 2017

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