Frankensteins Monster: Ethikdebatte in der menschlichen Hirnforschung überfällig
01.05.2018 Wenn menschliches Hirngewebe, das in das Gehirn eines Tieres implantiert wurde, einen Teil des Selbstbewusstseins und der Erinnerungen des menschlichen Spenders überträgt – darf diese Art von Gehirnforschung erlaubt werden?
Ein solches Szenario, das vorerst noch nicht erreichbar ist, wird nach Ansicht einer Gruppe von Wissenschaftlern, Ethikern und Philosophen, die zu einer Debatte über die Ethik der Aufbewahrung und Nutzung menschlicher Hirnsubstanz aufgerufen haben, immer denkbarer.
Bild: Gerd Altmann
‚Gehirn-Surrogate‘ aus echten menschlichen Zellen – ob in winzigen Organoiden, die im Labor gezüchtet werden, in der grauen Substanz, die einem menschlichen Patienten entnommen wird, oder in Hirngewebe, das in Tiere implantiert wird – sind entscheidend für das Studium des Organs, das es uns erlaubt zu denken, behaupten die Neurowissenschaftler.
Empfindungen
Aber es gibt Risiken, warnen 17 Experten in einem Kommentar in der Wissenschaftszeitschrift Nature.
Während die Gehirn-Surrogate größer und anspruchsvoller werden, wird es auch wahrscheinlicher, dass sie etwas Ähnliches wie menschliche Empfindungen entwickeln oder besitzen, schreiben sie.
Solche Fähigkeiten könnten (bis zu einem gewissen Grad) z.B. sein: Vergnügen, Schmerz oder Not spüren, Erinnerungen speichern und wieder abrufen oder vielleicht sogar eine gewisse Wahrnehmung von Handlungsfähigkeit oder Selbstbewusstsein haben. (Anm.: Übrigens Empfindungen und Gedanken, die man den meisten Tieren nicht absprechen kann, mit denen experimentiert wird.)
Klare Richtlinien für die Hirnforschung
Es bestehe Bedarf an „klaren Richtlinien für die Hirnforschung“ und an speziellen Aufsichtsgremien, schreiben die Wissenschaftler.
Sie verwiesen auf eine Studie, in der Wissenschaftler „neuronale Aktivität“ feststellten, nachdem sie eine Region eines menschlichen Organoids mit Augen- und Gehirnzellen beleuchtet hatten.
Organoide
Organoide sind rudimentäre, aus menschlichen Stammzellen gewachsene 3-D-Strukturen, die zur Nachahmung von Merkmalen eines sich entwickelnden Organs zur Untersuchung von Krankheiten und Behinderungen verwendet werden.
Die Autoren verwiesen auf eine weitere Studie, in der winzige, menschliche Gehirnorganoide, die in das Gehirn von Mäusen implantiert wurden, überlebten und mit dem Wirtshirn kommunizierten.
Auf der Spur des Bewusstseins
Ohne mehr darüber zu wissen, was Bewusstsein ist und welche Bausteine es benötigt, könnte es schwierig sein, zu wissen, nach welchen Signalen zu suchen ist, heißt es in der Mitteilung.
Eine Lösung könnte darin bestehen, schreiben sie, Tiere mit menschlichem Hirngewebe durch Narkose in einem komatösen Zustand zu halten, schlagen die Studienautoren vor.
Vielleicht könnten bestimmte Hirnfunktionen oder ein vorab festgelegtes Maß an Hirnaktivität, das einen Mangel an Kapazität signalisiert, dazu benutzt werden, ethisch vertretbare Forschung abzugrenzen, sagen die Autoren.
Sie bemerken, dass Gehirnsurrogate bzw. Hirnorganoide helfen können, die Geheimnisse psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen zu entschlüsseln.
Die Studienautoren schließen: Um den Erfolg und die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Forschung langfristig zu sichern, muss jetzt ein ethischer Rahmen geschaffen werden, während die Gehirn-Surrogate noch in der Anfangsphase der Entwicklung stehen.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Nature (2018). nature.com/articles/doi:10.1038/d41586-018-04813-x
Diese Forschung auf dem Gebiet der (Gehirn-) Organoiden wird wohl auch nicht aufzuhalten sein, da beträchtliche wirtschaftliche und gesundheitspolitische Faktoren eine Rolle spielen; moralische Bedenken und Schranken – wenn sie überhaupt ernsthaft zum Zuge kommen – dürften mit der Zeit immer weiter aufgeweicht werden. Gemacht wird, was machbar ist.