Lesepsychologie; Psychologie des Lesens

Lesepsychologie; Psychologie des Lesens

Medienpsychologie

Lesepsychologie: News und Forschungsartikel, die sich mit dem Einfluss von Büchern, Ebooks etc. auf unsere Psyche beschäftigen.

Es wird immer mehr gelesen … aber weniger behalten

Die Studie mit dem provokativen Namen Macht Google uns dumm? Die Wirkung des Internets auf das Leseverhalten von Dr. Val Hooper hat das Online- und Offline-Leseverhalten der Menschen untersucht.

Online-Lesen

Hoopers Team fand heraus, dass Online-Lesen eine negative Wirkung auf das Wahrnehmungsvermögen der Leser hatte. Konzentration, Verständnis, Aufnahme und Abruf (aus dem Gedächtnis) waren sehr viel schlechter, wenn man sich online mit etwas beschäftigte.

online-lesen

Multitasking

“Multitasking beim Online-Lesen ist häufig anzutreffen: E-Mails und Nachrichten lesen, Hyperlinks erkunden und Videoclips betrachten sorgen für Ablenkungen, was mit unseren Befunden zu tun haben könnte”, sagt Dr. Hooper. “Die Leute erwarten regelrecht, dass sie in ihrer Arbeit unterbrochen werden, wenn sie am Computer sitzen.”

Querlesen / Scannen

Querlesen bzw. ‘Scannen’ (Text nach Schlüsselwörtern zu durchsuchen) war das am häufigsten angetroffene Verhalten der Befragten, und als Resultat können sie mehr Material bearbeiten.

“Viele Befragte sagten, dass sie schneller und selektiver lesen gelernt hätten, was sie als positiv empfinden; aber sie sagten auch, dass sie sich eher an Informationen erinnern, welches sie offline gelesen hatten. Es war immer noch gängige Praxis für viele, sich das Material auszudrucken, was sie als besonders wichtig erachteten.”

Gründe fürs Lesen

Die drei am häufigsten erwähnten Gründe für Lesen waren: Informationssuche, Lesen für die Arbeit oder Studium, und Vergnügen (hierbei zogen dann aber die meisten vor, Bücher, Magazine oder Ebooks zu lesen.

Lineares und digitales Lesen

“Die Forschung zeigt, dass wir immer noch in einer linearen, druckbasierenden Weise lesen. Jedoch ist die Struktur dessen, was wir lesen, meistens ungenügend hinsichtlich wie wir die Informationen erhalten. Wir müssen lernen, wie wir am besten ‘digital’ lesen und schreiben können, und auch wie man wirksam Informationen interpretieren und speichern kann, wenn wir online lesen.

“Wir lassen unseren Kindern das Lesen durch Lehrer beibringen, die auf die lineare Art zu lesen ausgebildet wurden. Also wird es mindestens eine Generation brauchen, damit es zu einer bedeutenden Veränderung kommt.

“Als Pädagogen, macht es wohl Sinn, Nachrichten auf eine Weise zu übermitteln, wie Leser es nun erwarten, statt sie, wie in der Vergangenheit mitzuteilen: Die Schüler von heute finden lange Textpassagen nicht mehr ansprechend.”

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Victoria University: Is Google Making Us Stupid? The Impact of the Internet on Reading Behaviour; Jul 2014

Lesen über Emotionen in einer Fremdsprache

05.09.2015 Lesepsychologie: Warum das Lesen eines Buches in einer Zweitsprache einfach nicht so spannend ist

Wenn wir in einem Buch lesen wie jemand lächelt und glücklich ist, lächeln auch wir – ohne es zu realisieren – und eine ähnliche Reaktion tritt auch bei anderen Emotionen auf. Tritt dieser Effekt auch auf, wenn das Buch nicht in unserer Muttersprache sondern in einer fremden Sprache geschrieben ist?

Die unendliche Geschichte

In “Die unendliche Geschichte” von Michael Ende wird Bastian so von der Erzählung gefesselt, dass er dieselben Emotionen wie die Charaktere erfährt (und letzlich wird er selbst zu einem Teil der vom Buch erzählten Geschichte).

Was dem Hauptcharakter dieses Buches widerfährt, ist genau das, was jedem von uns passiert, wenn wir einen Roman oder eine Kurzgeschichte lesen: wir replizieren die physiologischen Prozesse und Emotionen der im Text beschriebenen Charaktere buchstäblich.

Francesco Foroni, Forscher an der Scuola Internazionale Superiore di Studi Avanzati (Italien), demonstrierte dieses Phänomen schon vor einigen Jahren in einer in Psychological Science (2009) herausgegebenen Studie. In einer neuen Studie zeigt er nun, was geschieht, wenn wir in einer später im Leben gelernten fremden Sprache lesen.

Embodiment-Theorie

Die Interpretation dieser Phänomene, erklärt Foroni in der Zeitschrift Brain and Cognition, wird von der Embodiment-Theorie erklärt (nach der Bewusstsein einen Körper braucht):
Wenn wir emotionale Informationen verarbeiten, ‘ahmt’ unser Körper die spezifische Emotion nach, indem er jene physiologischen Zustände wiederholt, die für die Emotion typisch sind. Dies bedeutet: Wir lächeln, wenn eine Romanfigur glücklich ist, und wir runzeln die Stirn, wenn sie verärgert ist (meistens ist dieses Mienenspiel nicht wahrnehmbar, und wir sind uns dessen normalerweise auch nicht bewusst).

“Das Phänomen ist sehr intensiv, wenn wir in unserer Muttersprache lesen, aber nach der neuen Studie lassen diese physiologischen Reaktionen stark nach, wenn wir in einer Zweitsprache lesen.”

Lesen in einer Fremdsprache

Foroni maß die Gesichtsausdrücke (mit Elektromyographie: eine Technik, die die Muskelaktivierung aufzeichnet) von 26 Teilnehmern, die Texte in Englisch lasen. Die Teilnehmer waren holländische Muttersprachler, die nach dem Alter von zwölf Jahren Englisch in der Schule gelernt hatten.

Es zeigte sich, dass ihre Reaktionen in der – während des Lesens der emotionalen Inhalte – aufgezeichneten Mimik viel ausdrucksloser war.

Erklärung

Das Ergebnis geht konform mit der Embodiment-Theorie: Wir lernen normalerweise emotionale Wörter ‘aus erster Hand’ in emotionalen Kontexten (z.B.: unsere Mutter lächelt, während sie uns bittet, sie anzulächeln).

Die Zweitsprache wird dagegen normalerweise in einer weniger emotionalen Umgebung und mit formaleren Methoden – z.B. in der Schule – erworben. Deswegen ist die Verbindung zwischen einem emotionalen Wort und der Emotionserfahrung selbst schwächer … “daher die weit schwächeren Reaktionen in der Fremdsprache”.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Scuola Internazionale Superiore di Studi Avanzati, Brain and Cognition; Sept. 2015

Warum lesen wir? Der Nutzen

Psychologie des Lesens

Wenn Sie jemanden fragen, warum er liest, ist die Antwort normalerweise: um zu lernen oder als eine Flucht aus der Alltagsroutine des Lebens. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Lesen viel mehr bewirkt, als “lediglich” zu erziehen oder zu unterhalten.

Lesen erfüllt auch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit

Psychologe Dr. Shira Gabriel untersuchte, wie Lesen eine menschliche Verbindung fördert – wenn wir lesen, werden wir ein Teil der in der Schilderung beschriebenen Gemeinschaft, sogar wenn der Text in ein fiktionales Fantasieland eingebunden ist. Diese Verbindung scheint das zutiefst menschliche, und evolutionär entscheidende, Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu erfüllen.

Die Studie: Twilight und Harry Potter


Bild: Warum lesen wir?

Die Forscher teilten 140 Studenten in Gruppen, und untersuchten das Ausmaß nach dem sie ihre Bedürfnisse nach Verbindung/Zugehörigkeit decken.

Einige lasen eine Passage aus dem Roman “Twilight”, worin der Untote Edward seiner Freundin Bella beschreibt, wie es sich anfühlt, ein Vampir zu sein. Andere lasen eine Passage von “Harry Potter und der Stein der Weisen”, in dem die Hogwarts Studenten in “Häuser” getrennt werden und Harry den Zaubertrank-Professor Severus Snape trifft.

Den Teilnehmern wurde 30 Minuten gegeben, um die Passage zu lesen, und sie wurden angewiesen, einfach nur für ihr eigenes Vergnügen zu lesen.

Zwei Methoden wurden dann angewendet, um die psychologische Verbindung der Teilnehmer an Vampire oder Zauberer abzuschätzen.

In der ersten wurden die Studenten angewiesen, so schnell und genau wie möglich, “ich” Ausdrücke, (selbst, mein, mich) und “Zauberei” Wörter (Besenstiel, Zauberspruch, Zauberstab, Zaubertrank) zu kategorisieren. Sie sollten eine Taste drücken, wenn irgendeines jener Wörter auf dem Bildschirm aufblinkt; und sie sollten eine andere Taste drücken für “nicht ich”-Wörter (sie, ihres) und “Vampir”-Wörter (Blut, Reißzähne, gebissen, Untote).

Dann wurden die Paare ausgewechselt. Gabriel und ihr Forscherteam erwarteten, dass die Teilnehmer schneller antworteten, wenn “ich”-Wörter mit einer Gruppe verbunden wurdenen zu der “ich” gehörte, je nachdem, welches Buch sie lasen.

Identifizierung mit Zauberern und Vampiren

Danach benutzten die Forscher das, was sie die Twilight/Harry Potter Narrative Collective Assimilation Scale nannten: ein Test, der aus Fragen bestand, die die Identifizierung mit Zauberern oder Vampiren anzeigte.

Beispiele: “Denken Sie, dass Sie in der Lage wären, sich verschwinden und woanders wieder erscheinen zu lassen ?” und “Wie scharf sind Ihre Zähne?” Schließlich beurteilten kurze Fragebögen die Lebenszufriedenheit und Stimmung der Teilnehmer.

Harry Potter Leser wurden Zauberer und Twilight-Leser Vampire

Die Ergebnisse des Versuchs waren, wie man erwarten konnte: Harry Potter Leser “wurden” Zauberer und die Twilight-Leser “wurden” Vampire. Und Personen, die gruppenorientierter im Leben waren, zeigten die größten Assimilationseffekte (Anpassungen).

Bedürfnis nach Gemeinschaft wird befriedigt

Schließlich: das ‘Zugehören’ zu diesen fiktionalen Gemeinschaften bescherte die gleiche Zufriedenheit in der Stimmung und die gleiche Lebenszufriedenheit, die die Personen durch die Zugehörigkeit zu wirklichen Gruppen erhielten.

Laut den Forschern zeigt die Studie, dass Lesen nicht nur geeignet ist für Flucht oder Bildung, sondern auch hilft, das tiefe psychologische Bedürfnis nach Gemeinschaft zu befriedigen.

© PSYLEX.de – Quellenangabe: Journal of Psychological Science, April 2011

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