Psychologische Studie versucht die ‚Persönlichkeitssignatur‘ der extremistischen Psyche zu ‚zeichnen‘
22.02.2021 Forscher haben eine zugrundeliegende „psychologische Signatur“ für Menschen kartiert, die dazu neigen, extreme soziale, politische oder religiöse Einstellungen zu vertreten und Gewalt im Namen ihrer Ideologie zu unterstützen.
Schlechteres Arbeitsgedächtnis und langsamere „Wahrnehmungsstrategien“
Eine neue Studie legt nahe, dass eine bestimmte Mischung aus Persönlichkeitsmerkmalen und unbewusster Kognition – also wie unser Gehirn grundlegende Informationen aufnimmt – ein starker Prädiktor für extremistische Ansichten in Glaubensrichtungen ist, einschließlich Nationalismus und religiösem Eifer.
Zu diesen mentalen Merkmalen gehören ein schlechteres Arbeitsgedächtnis und langsamere „Wahrnehmungsstrategien“ – die unbewusste Verarbeitung von sich verändernden Reizen wie Form und Farbe – sowie Tendenzen zu Impulsivität und Sensationslust.
Diese Kombination von kognitiven und emotionalen Eigenschaften prognostiziert die Befürwortung von Gewalt zur Unterstützung der ideologischen „Gruppe“ einer Person laut den in Philosophical Transactions of the Royal Society B veröffentlichten psychologischen Ergebnissen.
Konservatismus und „Dogmatismus“
Die Studie kartographiert auch die psychologischen Signaturen, die heftigen politischen Konservatismus sowie „Dogmatismus“ untermauern: Menschen, die eine feste Weltanschauung haben und resistent gegenüber Belegen sind.
Die Psychologen fanden heraus, dass Konservatismus mit kognitiver „Vorsicht“ verbunden ist: langsame und genaue unbewusste Entscheidungsfindung, im Vergleich zu den schnellen und präzisen „Wahrnehmungsstrategien“, die in liberaleren Psychen zu finden sind.
Die Gehirne dogmatischerer Menschen sind langsamer bei der Verarbeitung von Wahrnehmungen, aber sie sind in Bezug auf ihre Persönlichkeit impulsiver. Die mentale Signatur für Extremismus ist insgesamt eine Mischung aus konservativer und dogmatischer Psychologie.
Die Forscher der Universität Cambridge sagen, dass diese psychologische Forschung, obwohl sie sich noch in einem frühen Stadium befindet, dazu beitragen könnte, die für Radikalisierung anfälligen Menschen im gesamten politischen und religiösen Spektrum besser zu identifizieren und zu unterstützen.
Die aktuelle psychologische Forschung baut auf Arbeiten der Stanford University auf, bei denen Hunderte von Studienteilnehmern in den Jahren 2016 und 2017 37 verschiedene kognitive Aufgaben durchführten und an 22 verschiedene Persönlichkeitsumfragen teilnahmen.
Leor Zmigrod vom Fachbereich Psychologie der Cambridge University und Kollegen führten 2018 eine Reihe von Nachfolgetests mit 334 der ursprünglichen Teilnehmer durch, wobei sie weitere 16 Umfragen verwendeten, um die Einstellungen und die Stärke der Emotionen gegenüber verschiedenen Ideologien zu bestimmen.
Zielgerichtetheit, Impulsivität, Belohnungssensibilität und verringerte soziale Risikobereitschaft
Politischer Konservatismus und Nationalismus stand im Zusammenhang mit „Vorsicht“ bei unbewussten Entscheidungen, sowie „temporal discounting“ – wenn Belohnungen als wertlos angesehen werden, wenn sie verzögert eintreffen – und leicht verringerter strategischer Informationsverarbeitung im kognitiven Bereich.
Zu den Persönlichkeitsmerkmalen für Konservatismus und Nationalismus gehörten größere Zielgerichtetheit, Impulsivität und Belohnungssensibilität sowie eine verringerte soziale Risikobereitschaft. Demografische Merkmale allein hatten eine Vorhersagekraft von weniger als 8 % für diese Ideologien, aber psychologische Merkmale hinzugenommen erhöhten sie auf 32,5 %.
Dogmatismus war mit einer verringerten Geschwindigkeit der wahrnehmungsbezogenen „Evidenzakkumulation“ und einer verringerten sozialen Risikobereitschaft und Verträglichkeit verbunden, aber mit erhöhter Impulsivität und ethischer Risikobereitschaft im Persönlichkeitsbereich. Religiosität war kognitiv ähnlich wie Konservatismus, aber mit höheren Werten von Verträglichkeit und „Risikowahrnehmung“.
Ein ‚erstaunlich‘ einheitliches psychologisches Persönlichkeitsprofil
Das Hinzufügen der psychologischen Signaturen zu den demografischen Daten erhöhte die Vorhersagekraft für Dogmatismus von 1,53% auf 23,6% und für Religiosität von 2,9% auf 23,4%.
Über alle von den Forschern untersuchten Ideologien hinweg wiesen Personen, die „extremes Pro-Gruppen-Handeln“, einschließlich ideologisch motivierter Gewalt gegen andere, befürworteten, ein ‚erstaunlich‘ einheitliches psychologisches Persönlichkeitsprofil auf.
Die extremistische Psyche – eine Mischung aus konservativen und dogmatischen psychologischen Signaturen – ist kognitiv vorsichtig, langsamer in der Wahrnehmungsverarbeitung und hat ein schwächeres Arbeitsgedächtnis. Dies wird kombiniert mit impulsiven Persönlichkeitsmerkmalen, die nach Sensationen und riskanten Erfahrungen suchen.
Zmigrod fügte hinzu: Es scheint versteckte Ähnlichkeiten in den Köpfen derjenigen zu geben, die am ehesten bereit sind, extreme Maßnahmen zu ergreifen, um ihre ideologischen Doktrinen zu unterstützen. Das Verständnis darüber könnte uns helfen, jene Personen zu unterstützen, die für Extremismus anfällig sind, und das soziale Verständnis über ideologische Grenzen hinweg zu fördern.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: Philosophical Transactions of the Royal Society B – doi.org/10.1098/rstb.2020.0424
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