Verstärkte Schmerzhemmung und stärkere Integration von schmerzregulierenden Gehirnnetzwerken bei Frauen mit selbstverletzendem Verhalten
13.06.2022 Forscher am Karolinska Institutet in Schweden haben möglicherweise eine Erklärung dafür gefunden, warum Menschen mit selbstverletzendem Verhalten im Allgemeinen weniger Schmerzen empfinden als andere. Der Schlüssel dazu scheint ein effektiveres Schmerzregulationssystem zu sein laut den in der Zeitschrift Molecular Psychiatry veröffentlichten Studienergebnissen.
„Wir versuchen seit langem zu verstehen, wie sich absichtlich selbstverletzende Menschen von anderen unterscheiden und warum der Schmerz selbst keine ausreichende Abschreckung darstellt“, sagt Studienautorin Karin Jensen, Forscherin und Gruppenleiterin am Department of Clinical Neuroscience, Karolinska Institutet. „Frühere Studien haben gezeigt, dass Menschen mit selbstverletzendem Verhalten generell weniger schmerzempfindlich sind, aber die dahinter stehenden Mechanismen sind noch nicht vollständig geklärt.“
Tolerieren mehr Schmerzen
In der vorliegenden Studie untersuchten die Forscher diese Mechanismen, indem sie die Schmerzverarbeitung von 41 Frauen, die sich im letzten Jahr mindestens fünfmal selbst verletzt hatten, mit 40 vergleichbaren Frauen ohne selbstverletzendes Verhalten verglichen. Die Frauen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren unterzogen sich 2019-2020 zweimal einem Schmerzlabor-Test im Karolinska Universitätskrankenhaus, bei dem sie den Schmerz bewerten sollten, den sie durch vorübergehende Druck- und Hitzereize empfanden. Außerdem wurde ihre Gehirnaktivität während des Schmerzes mithilfe von MRT-Scans gemessen.
Die Forscher fanden heraus, dass die sich selbst verletzenden Frauen im Durchschnitt ein höheres Maß an Schmerzen tolerierten als die Kontrollpersonen. Die Gehirnscans zeigten auch Unterschiede in der Aktivierung zwischen den Gruppen. Im Vergleich zu den Kontrollpersonen wies die Hirnaktivität der Frauen mit selbstverletzendem Verhalten mehr Verbindungen zwischen Hirnarealen auf, die direkt an der Schmerzwahrnehmung beteiligt sind, und solchen, die mit der Schmerzsteuerung zusammenhängen.
Ein weiteres Ergebnis war, dass der Unterschied in der Schmerzverarbeitung nicht davon abhing, wie lange, wie oft oder auf welche Weise die Teilnehmerinnen sich selbst verletzt hatten.
Klinisch nützliches Wissen
„Unsere Studie deutet darauf hin, dass eine wirksame Schmerzmodulation ein Risikofaktor für selbstverletzendes Verhalten ist“, sagt Koautorin Maria Lalouni. „Dieses Wissen kann genutzt werden, um die Unterstützung für Menschen zu verbessern, die wegen ihres selbstverletzenden Verhaltens Hilfe suchen, und um Gespräche mit Patienten zu führen, um ihnen zu helfen, ihre Selbstverletzungen und die Notwendigkeit einer Behandlung zu verstehen.
Zu den Einschränkungen der Studie gehört die Tatsache, dass Frauen mit selbstverletzendem Verhalten tendenziell mehr psychiatrische Komorbiditäten aufwiesen als die Kontrollgruppe. Außerdem nahmen sie mehr Medikamente ein, z. B. Antidepressiva, was die Forscher bei ihrer Analyse berücksichtigten.
© Psylex.de – Quellenangabe: Molecular Psychiatry (2022). DOI: 10.1038/s41380-022-01639-y